Ist die EZB unfähig die Inflation zu bekämpfen?
Die Inflation ist im Januar wieder auf 3,2% gestiegen. Die Ezb müsste so bald wie möglich die Zinsen wieder auf 3% erhöhen bevor sie unkontrollierbar wird.
4 Antworten
Ja, die EZB scheitert regelmäßig. Das liegt jedoch an der Natur der Sache: Der Leitzins ist nur ein indirektes Instrument zur Inflationsbekämpfung und unzureichend für bestimmte Inflationsformen. Eine Zinserhöhung könnte jedoch das eigentlich dringend benötigte Wachstum behindern und die Stagflation nur in eine andere Richtung schieben.
A) GrundlagenA.1) Nachfrageinflation
Die Stellschraube des Leitzines kann eigentlich nur eingesetzt werden, um nachfrageinduzierte Inflation durch monetäre Anreize indirekt und mit einer gewissen Zeitverzögerung zu steuern. Diese Art der Inflation entsteht u.a. durch niedrige Zinsen und vereinfacht gesagt, wenn Menschen mehr kaufen wollen, als es Güter gibt. Bildlich gesehen stehen sie Schlange vor den Werkstoren der Produzenten und überbieten sich gegenseitig.
Mit anderen Worten: Ein niedriger Zins soll zunächst Anreize setzen, dass Haushalte konsumieren und weniger sparen. Unternehmen können sich günstiger Geld beschaffen, sollen damit investieren und für Wachstum sorgen. Die Wirtschaft soll demnach angekurbelt werden, was wiederum zur nachfrageinduzierten Inflation beitragen kann. Und zwar genau dann, wenn die Nachfrage schneller wächst (Nachfrageüberhang) als die Produktivität der Unternehmen. Insbesondere im Falle von Vollbeschäftigung (<3% Arbeitslose) sind die Unternehmen am Limit und können nur noch durch technologische Vorsprünge an Produktivität gewinnen.
Ein hoher Zins soll zum Gegenteil führen: es wird gespart und die Wirtschaft wird gezügelt. Die Nachfrage geht zurück und die Inflation wird mit einigen Monaten Verzögerungen wieder abgedämpft.
A.2) Angebotsinflation
Inflation entsteht aber nicht nur auf der Nachfragerseite, sondern kann auch angebotsinduziert sein (Cost Push Inflation). Das bedeutet, dass die Preise durch Teuerungseffekte in der Produktion steigen - nicht durch schlangestehende Konsumenten, die sich gegenseitig überbieten. Und solche Teuerungen spielen in einer globalen Wirtschaft mit internationalen Lieferketten und komplexer Arbeitsteilung eine immer größere Rolle. Sie kann z.B. durch externe Schocks ausgelöst werden oder weil die eigene Währung abgewertet wird und Importe teurer werden. Wenn man dann obendrein auch kein oder nur sehr wenig Wachstum hat, spricht man von Stagflation (=Inflation trotz Stillstand).
Und hier hat die EZB kaum Einfluss über den Leitzins bzw. befindet sich in einer Zwickmühle, insb. wenn man die Fiskalpolitik ausblendet:
- Höhere Zinsen würden die Inflation dämpfen, aber gleichzeitig das Wachstum noch weiter abwürgen.
- Niedrigere Zinsen könnten das Wachstum ankurbeln, aber die Inflation weiter anheizen.
Die Angebotsinflation kann sich sehr hartnäckig festsetzen, insb. wenn Lohn-Preis-Spiralen einsetzen.
A.3) Geldmengeninflation
Wenn die allgemeine Unsicherheit groß ist, sparen Haushalte, Banken und Unternehmen trotz niedriger Zinsen, anstatt zu konsumieren oder zu investieren (siehe z. B. Japan). Geld bleibt im System, wird aber nicht produktiv genutzt. Solange es unter dem Kopfkissen liegt, hat es keinen Einfluss auf Inflation oder Wachstum.
Die EZB kann dann nach maximalen Zinssenkungen versuchen, mit Maßnahmen wie Quantitative Easing (QE) weiteres Geld in den Markt zu pumpen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Diese Art der Anleihenkäufe sind im Prinzip nichts anderes als eine direkte Aktivierung der Druckerpresse. Und dies kann, wie eine Chemotherapie, auch zu großen Schäden führen. Z.B. zu Vermögenspreisblasen, Zombieunternehmen oder einer allgemeinen Geldmengeninflation.
Denn wenn die Geldmange eines Tages aktiviert wird, ist mehr Geld im Umlauf als zuvor. Und das, obwohl die Gütermenge nicht mitgezogen ist. Die Folge: Preiserhöhungen.
B) Was bisher geschah...Die drei Inflationsarten spielen natürlich auch zusammen. Dazu kommt die psychologische Komponente: die Inflationserwartungen der Wirtschaft, insbesondere in Zeiten großer Unsicherheit, unvorhersehbarer Boom-&-Bust-Zyklen und Zentralbankpolitik. Seit der Finanzkrise 2008 wirkt das Handeln der EZB in diesem Zusammenhang eher reaktiv und erscheint teilweise hilflos.
- 2008-2019: Finanzkrise, Eurorettung, Niedrigzinsphase: Nach der Finanzkrise senkt die EZB die Zinsen auf nahezu 0 % und startet QE, um Banken und Staaten mit Liquidität zu versorgen und zu stabilisieren. Die Geldmenge wächst, doch Inflation bleibt aus, da die Kreditvergabe schwach bleibt (niedrige Umlaufgeschwindigkeit des Geldes). Banken verdienen kaum noch an Zinsen und investieren verstärkt in Immobilien, was die Preise in die Höhe treibt (u.a. deshalb haben wir heute so hohe Häuserpreise). Auch Unternehmen halten sich mit Investitionen zurück, was das Produktivitätswachstum zusätzlich bremst.
- 2020-2021: Corona-Schock + extreme Geldpolitik: Lockdowns stören massiv die Lieferketten, Produktion stoppt, Importpreise steigen. Gleichzeitig stützen Staaten mit massiven Hilfspaketen die Binnenwirtschaft, während die EZB mit noch mehr QE und negativen Realzinsen Liquidität in den Markt pumpt. Der Konsum ist wegen Lockdowns begrenzt, sodass sich eine aufgestaute Nachfrage aufbaut.
- 2021-2022: Post-Corona-Boom + Inflation: Nach den Lockdowns kurbelt der Konsum plötzlich wieder an, doch das Angebot bleibt knapp. Unternehmen können Preise erhöhen, während steigende Löhne und billiges Geld weitere Inflation antreiben. Die EZB hält an QE fest und unterschätzt die Inflation als vorübergehend.
- 2022-2023: Ukraine-Krieg + Energiepreis-Schock: Russlands Invasion treibt Energiepreise in die Höhe, was Produktionskosten und Verbraucherpreise weiter nach oben korrigiert. Der schwache Euro verteuert Importe zusätzlich, während Staatshilfen die Nachfrage stabil halten. Inflation bleibt hoch, die EZB zögert mit Zinserhöhungen.
- 2023-2024: Zinswende und Anleihenverkäufe: Die EZB schwenkt von QE auf QT um (Quantitative Tightening, Geld wird durch Anleihenverkäufe aus dem Markt genommen) und erhöht die Zinsen auf vor 2008 übliche Werte. Kredite werden wieder teurer, Investitionen und Konsum kühlen ab. Die Liquidität im Markt schrumpft - in einigen Sektoren (insb. international bezogene Rohstoffe und Halbfabrikate) bleiben Preissteigerungen aber hartnäckig.
Die EZB ahmt regelmäßig Entscheidungen der FED mit gewissem Abstand nach. Das führt u.a. auch zu Arbitrage-Effekten, Kapitalflucht und einem schwachen Euro. Nach vielen Jahren in der Liquiditätsfalle mit niedrigen Zinsen war Europa externen Schocks ausgeliefert - und Zinspolitik hilft wenig gegen Lieferkettenprobleme oder Energiepreissteigerungen. Insofern verhaften wir leider in einer Stagflation und Deindustrialisierung in gewissen Sektoren, die vor allem Deutschland betrifft.
Die Rolle der Erwartungen sollte ggf. nicht unterschätzt werden. Neben laufenden geopolitischen Spannungen befinden wir uns gerade in einer globalen Umbruchphase, auch hinsichtlich Digitalisierung und KI. Viele Unternehmen sehen in KI große, disruptive Potenziale und sind verunsichert, welchen Einfluss dies auf ihr Geschäftsmodell und auf die Märkte generell hat. Auch unklare Klimaschutzziele und Bürokratie hemmt viele europäische Unternehmen, langfristige Investitionsentscheidungen zu treffen.
Das größere Problem kommt aber erst noch auf uns zu: Europas Wirtschaft verliert zunehmend im internationalen Vergleich. Als einstige Preisgeberindustrie verwandeln wir uns in eine Preisnehmerindustrie. Schwellenländer holen auf was Innovationen und Produktivität angeht und bei den Top-Innovationen sind wir schon recht weit ins Hintertreffen geraten. Geldpolitik kann das nicht lösen, ohne strukturelle Änderungen unseres Wirtschaftssystems bleibt die EZB nichts weiter als eine Feuerwehr und kann nur reagieren.
Die EZB hat keine geeigneten Instrumente, gegen eine Inflation anzukämpfen, die gar keine Inflation im klassischen Sinne ist. Das einzige Mandat der EZB ist die Währungsstabilität. Das einzige Instrument ist der Leitzins. Tatsächlich verschlechtert dieses eine Instrument unsere Lage.
Die Inflation ist nicht entstanden, weil die breite Masse der Bevölkerung plötzlich zu viel Kaufkraft hatte und die Märkte dadurch beeinflusst wurden.
Ganz im Gegenteil. Die Bevölkerung hat eigentlich in der Breite viel zu wenig Kaufkraft und wird mit Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung konfrontiert, die die eigene Situation noch verschlechtert. Zinserhöhungen sollen dazu führen, vermehrt zu konsumieren und erspartes aufzubrauchen. Schlimm nur, wenn nichts erspartes da ist und man kaum Geld zum konsumieren hat. Wenn keine Kaufkraft in der Binnenwirtschaft vorhanden ist, kann auch der Wirtschaftsmotor nicht angetrieben werden. Entsprechend führt die Zinserhöhung zu nichts.
Eine hohe Auslastung und Produktivität soll Preise senken und für Beschäftigung sorgen. Die Arbeitnehmerseite erhält mehr Verhandlungsmacht bei Lohnerhöhungen. Das klappt alles aktuell nicht.
Trotz eines hohen Leitzinses ist die Binnenwirtschaft am Boden und die Arbeitslosigkeit steigt unermesslich. Senkt man den Leitzins wieder, verschlimmert man die Situation.
Zinserhöhungen sollen dazu führen, vermehrt zu konsumieren und erspartes aufzubrauchen.
Zinserhöhungen sollen dazu führen, dass weniger Fremdkapital beschafft wird, weniger Giralgeld erzeugt und weniger investiert wird. Haushalte sollen mehr sparen statt konsumieren (=niedrige Zeitpräferenz). Zinserhöhungen dämpfen die Wirtschaft und die Geldmengenausweitung.
Zinssenkungen sollen dazu führen, dass mehr investiert und konsumiert wird. Zinssenkungen sollen die Wirtschaft stimulieren und führen klassischerweise zu Inflation.
Eine hohe Auslastung und Produktivität soll Preise senken und für Beschäftigung sorgen.
Hohe Auslastung (Vollbeschäftigung) treibt die Inflation, Produktivitätssteigerungen senken die Herstellkosten und dämpft die Preise. Beides kann sich in der Theorie gegenseitig ausgleichen, wobei Produktivitätssteigerungen eher keinen deflationären Effekt mehr haben, wenn absolute Vollbeschäftigung herrscht.
Senkt man den Leitzins wieder, verschlimmert man die Situation.
Senkt man den Leitzins, sollte die Wirtschaft wie gesagt stimuliert werden - so zumindest die Idee. Das hat zwischen 2008 und 2020 aber schon nicht geklappt und hat in eine mehr oder weniger permanente Liquidity Trap geführt. Durch Zinssenkungen entstehen aber auch andere negative Effekte, z.B. Vermögenspreisblasen oder Zombiefirmen.
Ich denke der Einfluss bzw die Möglichkeiten der Zentralbanken in einer globalisierten Wirtschaft werden überschätzt. Das funktioniert nicht wie im Lehrbuch.
Inflation weil die Wirtschaft boomt und mit billigem Geld immer mehr gekauft wird auf Kredit.. weil nächstes Jahr ist ja alles noch teurer.
Wir haben aber keine heisslaufende Wirtschaft, Inflation durch äußere Einflüsse, Energiepreise, Zölle .. da helfen steigende Zinsen auch nichts.
Die EZB steckt tief in den roten Zahlen, offenbar eine Folge der riesigen Inflation in den vergangenen Jahren, die sie erfolgreich bekämpft hat. Je höher die Leitzinsen, desto mehr muss sie zahlen für die Gelder, die Banken bei ihr einlagern. Jetzt muss sie drauf achten, dass sie ihre Handlungsfähigkeit nicht verspielt, und vorsichtig mit Leitzinserhöhungen umgehen.
Die EZB ist Geldschöpfer. Sie kann gar keine roten Zahlen haben. Die EZB ist Gott des Euro.
Dann besser D-Mark einführen bevor Euro wertlos wird!?