Arbeiterkind - Akademikerkind ... Dazwischen gibt es doch noch was - oder?

4 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Meiner Meinung nach ist das deutsche Bildungssystem vom Höheren Beamtentum (Akademiker) vor allem für die Kinder des Höheren Beamtentums optimiert. Ich möchte dies nun weiter begründen:

Scheinbar ist das System gerecht und durchlässig, in Wirklichkeit ist es das aber nur bedingt. Es gibt gewissse Stellschrauben in dem System um bestimmten Schichten den Zugang zur Universitätsausbildung erheblich zu erschweren. Ich möchte diese Stellschrauben nur stichwortartig anreissen:

  • nur 4 Jahre Grundschule statt 6, Mütter aus Akademikerhaushalten wissen schon was zu tun ist, um Kinder auf das Gymnasium zu bringen
  • zur Zeit noch eine Lehrerschaft mit zum Teil erheblichen Qualitätsunterschied in der Ausbildung zwischen den einzelnen Schulsystemen, daraus resultierende Defizite der nichtgymnasialen Schulformen
  • mangelnde Durchlässigkeit zwischen den Schulformen, Wechsel eigentlich nur nach dem mittlerem Schulabschluss möglich statt permanent, Q-Vermerk nur für Real- und Hauptschüler nicht jedoch für Gymnasiasten

-völlig mangelnde Durchlässigkeit im Oberstufenbereich zwischen Fachhochschulreife und Abitur, kein Modulsystem, erbrachte Leistungen werden meist nicht anerkannt und müssen wiederholt werden, Fachhochschulreife ist praktisch eine Bildungsackgasse für Realschüler die unmittelbar in der Fachhochschule mündet

-völlig getrennte und weitgehend undurchlässige Hochschulsysteme Universität und Fachhochschule, Lehramt und Promotion für Fachhochschulstudenten praktisch unmöglich, Fachhochschulen folgen weitgehend den verkappten Interessen der Wirtschaft, die Universitäten jedoch den Interessen der Höheren Beamtenschaft. Fachhochschulprofessoren rekrutieren sich selbstverständlich nur aus Universitätsabsolventen ebenso wie alle Lehrer in Deutschland (Höheres Beamtentum).

Prinzipiell hat in Deutschland jeder die Chance auf eine gute Schulbildung und ein Studium. Diese Klassifizierung finde ich nicht gut.

Ich selbst komme auch aus keiner wohlhabenden Familie. Meine Eltern haben beide keine besondere Schulbildung. Das hat mich jedoch nicht davon abgehalten, nach der Realschule die Fachhochschulreife zu machen und zu studieren.

Sicherlich haben es Kinder aus wohlhabenden Familien einfacher, da sie sich neben dem Studium nicht noch um ihren eigenen Lebensunterhalt kümmern müssen, aber es geht auch ohne, wenn man will.

Prudentia2013 
Fragesteller
 01.11.2013, 00:23

Ich stimme Dir grundsätzlich zu! Dennoch gibt es eben wesentlich mehr Kinder aus armen Familien, die es nicht schaffen, als aus reichen Familien! Leider kann nicht immer jeder, der will!

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Interesierter  01.11.2013, 23:36
@Prudentia2013

Das liegt aber nicht unbedingt an den besagten geringeren Chancen sondern vielfach auch an der Vorbildfunktion der Eltern und der Gesellschaft in der die Kinder aufwachsen.

So gehört es in "besseren Kreisen" zum guten Ton, das Abitur zu machen und zu studieren, während es in anderen Kreisen eher "uncool" ist, konsequent zu lernen und gute Zensuren vorzuweisen.

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Da es immer weniger Arbeiter gibt, gibt es natürlich auch immer weniger Arbeiterkinder und bei den Akademikern läuft das genau umgekehrt.

Der Begriff Arbeiterkind stammt noch aus dem vorletzten Jahrhundert und der letzte namhafte Politiker, der sich noch auf die Fahnen geschrieben hatte, mehr Arbeiterkinder an die Hochschulen zu bringen, war wohl Willy Brandt.

Hallo Prudentia,

Die Bezeichnungen "Arbeiterkind" - "Akademikerkind" haben sich einfach etabliert um die soziale Herkunft aus akademische oder nicht-akademischen Familien zu umschreiben. Die anderen Kategorien, die du hier vorschlägst wären nicht geeignet um diese Unterscheidung zu treffen. "Angestellter" sagt nur etwas über das Beschäftigungsverhältnis aus. Derjenige kann aber auch studiert haben. Genauso wie eine alleinerziehende Mutter einen akademischen Hintergrund haben kann.

Die Kategorisierung ist zwar je nach Kontext mehr oder weniger sinnvoll, um das Phänomen der sozialen Ungleichheit im Zugang zu Bildung zu beschreiben, macht die Abgrenzung aber durchaus Sinn. Auch solltest du bedenken, dass es im wissenschaftlichen Kontext ja nicht die einzigen existierenden Kategorisierungen sind. Kategorien dienen immer dazu real existierende Phänomene (die natürlich immer Komplexer sind) zu vereinfachen und beobachtbar zu machen. Ansonsten müsste man ja immer beim Einzelfall bleiben und wäre nicht in der Lage vergleichend zu forschen. Es gibt aber natürlich weitere Kategorien der sozialen Abgrenzung innerhalb der Soziologie. Viele davon, z.B. der Millieubegriff haben sich aber nie in der Alltagssprache durchgesetzt.

Gerade die Soziologie setzt sich sehr intensiv mit der Frage nach der Durchlässigkeit unseres Bildungssystems auseinander. Da gibt es sehr interessante Forschungsarbeiten zu diesem Thema. Die Gründe warum Kinder aus nicht-akademischen Haushalten es schwerer haben in unserem Bildungssystem aufzusteigen, sind aber sehr divers und sprengen definitiv den Rahmen dieser Plattform. Der größte Feind eines solchen Aufstieges ist die eigene Herkunft. Auf der einen Seite weil es, wie du richtig erkannt hast, gewisse Hindernisse gibt, die es zu überwinden gilt (insb. finanzieller Art), auf der anderen Seite aber auch die Erwartungshaltung der eigenen Familie. Und vielfach sind die äußeren Hindernisse sehr viel leichter zu meistern als gegen die eigene Familie anzukommen. Das gelingt dann in der Regel nur, wenn die Person von anderer Seite Zuspruch und Hilfestellung bekommt. Und spätestens da stehen wir dann wieder vor dem Problem, dass unsere Schulen (und andere soziale Einrichtungen) gar nicht die Kapazitäten haben um in Einzelfällen so intensiv beratend zur Seite stehen zu können.

Beste Grüße,

Susan