War das Sozialsystem Ende 70er Anfang 80er Jahre besser als heute?
Damals wusste man, dass die soziale Absicherung des Sozialstaates für den Einzelnen so aussieht:
- War man wenigstens 6 Monate fest angestellt, hatte man sich einen Anspruch auf "Arbeitslosenhilfe" erarbeitet, welches zeitlich sogar unbegrenzt bezahlt wurde.
- Hatte man wenigstens ein ganzes Jahr fest angestellt gearbeitet, hatte man für eine besitmmte, relativ kurze Zeit den Anspruch auf "Arbeitslosengeld", welches nach Ablauf der Anspruchsdauer auf Arbeitslosenhilfe umgestellt wurde.
- Hatte man keine 6 oder 12 Monate fest angestellt gearbeitet, gab es kein Arbeitslosengeld UND keine Arbeitslosenhilfe, aber dafür die "Sozialhilfe".
Finanziell musste man sich auf Folgendes einstellen:
- Gehe ich gar nicht arbeiten, bekomme ich ein Minimum um zu überleben, muss mich vielleicht auch irgendwo unterbringen lassen, wo ich eigentlich nicht leben will, oder letztlich sogar auf der Straße leben, aber eben ohne zu verhungern. Das heißt "Sozialhilfe" und wird unbegrenzt und jedem bezahlt.
- ODER ich arbeite mindestens 6 Monate fest angestellt in einer Firma, um dann Anspruch auf Arbeitslosenhilfe zu haben, was finanziell bedeutet, dass ich mir eine günstige Wohnung mieten kann, nicht nur nicht verhungern muss, sondern auch die Nahrungsmittel kaufen kann, die ich gerne essen würde, dass ich aber trotzdem dauernd jeden Euro umdrehen muss und mir keine größeren Wünsche erfüllen kann.
- ODER ich arbeite minimum ein ganzes Jahr fest angestellt in einer Firma, um dann Anspruch auf einige Monate Arbeitslosengeld zu haben. Finanziell bedeutet das, dass ich mir einen am unteren Ende der Mitte erarbeiteten Lebensstandard noch mühsam einige Monate aufrecht erhalten kann, aber spätestens beim Wechsel zur Arbeitslosenhilfe die Entscheidung treffen muss, meinen bisherigen Lebensstandard aufzugeben und Abstriche bei all meinen materiellen Wünschen zu machen.
ÜBRIGENS:
Ich habe auch gerade noch diese Zeit bewusst erlebt, als man Arbeitslosenhilfe schon nach einer 3 monatigen Festanstellung bekam, und Arbeitslosengeld schon nach einer 6 monatigen Festanstellung.
MEINE MEINUNG:
Bei diesem System wusste jeder, dass er in einem der Wohlstandsländer lebt, welches zudem ein funktionierendes Sozialsystem hat, bei dem leztlich keiner verhungern oder erfrieren braucht.
Es gab einen dreistufigen Anreizplan, der dazu motivieren musste, für einen einigermaßen mittelmäßigen Lebensstandard eine dauerhafte Festanstellung zu haben. Oder man stieg deutlich spürbar die soziale Leiter nach unten bis zur Sozialhilfe, wo man froh sein musste etwas zu essen zu bekommen (oder ein Bisschen Geld dafür), egal was, und froh sein musste, bei Regen und Schnee trocken und warm schlafen zu können, egal wo!
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4 Antworten
Natürlich war das besser! Das Ding dabei ist, dass die meisten Leute trotzdem versucht haben, aus dem Bezug schnellstmöglich wieder raus zu kommen. Dieses System hat nur deshalb funktioniert. Heute wird auf der Hauptschule gelehrt, wie man den Antrag auf "Bürgergeld" stellt! Das ist ein Unterschied! So wichtig die Erhaltung des Sozialstaates ist, so unmöglich ist es aber, Leute, die keinen Grund haben den ganzen Tag zu Hause zu sitzen auf "ewig" zu finanzieren.
Nun.. ich wurde sogar obdachlos wegen dieser beknackten Regel, daß man mindestens 6 Monate in Festanstellunggearbeitet haben muss um Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben. Ich wurde unverschuldet arbeitslos nach 5 Monaten und 14 Tagen wegen Firmenpleite. Und plötzlich fühlte sich niemand zuständig. Weder Arbeitsamt noch Sozialamt. So viel zum Thema das ist ein gutes System.
So sicher war es also nicht immer, daß man wirklich Hilfe bekam. Vor allem nicht, wenn man alleine war und das System noch nicht durchschaut hat. Viele heute als Langzeitobdachlose geltende sind Opfer dieses Systems geworden. Und die frieren halt schon auch mal zutode weil die sogenannte feindliche Architektur in den Städten ihnen auch noch den letzten Rest Überlebenschance nimmt. 🙄
Und sowohl damals als auch heute noch passieren da in den Ämtern Dinge, die nicht passieren dürften. Egal ob Behörden-Tennis (niemand fühlt sich zuständig) oder schlichte Inkompetenz, die z.B. dazu führt, daß ein Leistungsempfänger einen Monat kein Geld hat weil der Sachbearbeiter sich bei der Kontonummer vertippt hat und ne neue Zahlungsanweisung erst rausgibt wenn die vorher fehlgeleitete Zahlung wieder zurückgekommen ist. 🤪
Die Systeme sind zwar immer gut gedacht, aber halt schlecht umgesetzt.
Wenn Du nicht weißt, wo Du die nächste Nacht pennen kannst und wann Du mal wieder was ordentliches Zu Essen hast dann haste auch nicht den Kopf frei für Jobsuche. Das Problem bei Deiner dreistufigen Motivationsleiter ist nämlich, daß es super einfach ist, runterzurutschen, aber extrem schwer, wieder hochzuklettern.
Auch heute noch haben Langzeitarbeitslose kaum Chancen. Egal, wie sehr sie sich bemühen. Sie werden halt generell als Schmarotzer gesehen und nicht gefördert. Und viel Spaß als Langzeitobdachloser. Wenn Du da mal angekommen bist wirste sogar von Langzeitarbeitslosen angespuckt.
Die Menschheit ist halt einfach asozial.
warehouse14
Wenn man krank war um mit dem Taxi zum Arzt gefahren ist, hat die Krankenkasse die Fahrtkosten voll gezahlt. Jemand der neue Zähne brauchte, bekam die damals komplett alle auf Krankenschein, ohne einen Pfenning zahlen zu müssen. Es gab keine blutige Entlassungen aus dem Krankenhaus, jemand wurde längere Zeit im Krankenhaus stationär behandelt bis der Kranke wieder gesundet war und für den Krankenhausaufenthalt brauchte der Kranke selbst nichts zahlen. Medikamente hat die Krankenkasse bezahlt. Das Sozialssystem war damals bis in die 90erjahre besser. Die deutschen Ärzte in den 80erjahren waren besser.
Den Missbrauch kann man abstellen und es trotzdem besser machen, so gut wie es damals war, für Krieg ist doch auch auf einmal Geld da laut BlackRockkanzler Merz.
Das mit dem Pendel ist halt fast schon pure Physik, die man auf gesellschaftliche Veränderungen übertragen sehen kann:
Ich sehe das in vielen Bereichen. Erst das eine Extrem zu viel und lange, und dann zurück und weit über die Mitte zum anderen Extrem.
Ja, früher war das meiner Meinung nach besser. Mit Hart IV ist es zu einer enormen Bürokratie gekommen.
Bürokratie war es auch davor schon. Das geht in Deutschland wohl nicht ohne! Aber inzwischen fehlen die egoismusangetriebenen Anreize sich eine Arbeit zu suchen. Und wenn man als Politiker will, dass Menschen im Land etwas Bestimmtes tun, muss man Gesetze machen, die den Menschen klare Vorteile bringen, wenn sie es tun, bzw. klare Nachteile, wenn sie es nicht tun. Dann funktioniert es auch, dass die Bevölkerung tut, was man als Politiker gerne hätte, dass sie tut.
Das stimmt, was Du schreibst.
Aber Du weißt ja sicher auch, wohin das geführt hat, und -- tja -- auch führen musste!?
Ich war 1993 nach einem schweren Arbeitsunfall nach wochenlangem Aufenthalt in verschiedenen Akut-Kliniken, schließlich noch paar Monate in einer REHA-Klinik.
Ich war anfangs der Meinung, dass man nach Verletzungen oder Erkrankungen in einer REHA-Klinik im Anschluss an die Akut-Behandlung Schritt für Schritt auf die Anforderungen des Lebens vorbereitet wird, bis man dann in selbiges entlassen wird.
Bis ich dann im Speisesaal eine ziemlich aufgetakelte ältere Dame neben mir sitzen hatte, die zu mir sagte: "ich kure jedes Jahr ein Mal".
Was mir dabei plötzlich bezüglich der Rehaklinik klar wurde, brauche ich ja nicht beschreiben. Vielleicht verstehe ich auch unter dem Wort "Kur" und dann noch in Verbform "kuren" etwas, das zu unrecht abgetrennt ist vom System der Ärzte und Krankenhäuser (inkl. Rehakliniken), in denen man von Fachpersonal gesund gepflegt und oft zuvor noch operiert wird.
Jedenfalls war das Gegenteil von "blutigen Entlassungen" der Fall: Ich erlebte es damals (vor der Seehofer-Gesundheitsreform) mehrfach, dass ich am Tag der Entlassung um spätestens 10 Uhr fertige mit allen Formalitäten und Ärztegesprächen entlassungsbereit war, ABER nicht vor dem Mittagessen gehen durfte.
Der Folgepatient für das Bett, in welchem ich behandelt wurde, war aber auch schon um 10 Uhr anwesend und bekam sein Mittagessen.
Damals wurde noch nicht anhand Fallpauschalen abgerechnet, sondern anhand von stationären Tagen, solange wie es aus rein ärztlicher Sicht sinnvoll und nötig erscheint. Wenn dies ein Fachmann, also Arzt dann für zwei Tage länger (meist Samstag u. Sonntag, wo sowieso nichts weiter passiert, als drei mal Essen und morgens und abends Puls messen) als sinnvoll beurteilt, wurden eben zwei Tage mehr mit der KK abgerechnet. Und das Mittagessen zu bekommen, spielte da offensichtlich eine entscheidende Rolle, so dass ich ziemlich sicher bin, dass das Krankenhaus in diesen Fällen den jeweiligen Tag für das jeweilige Bett zweifach in Rechnung stellen zu können.
Es musste was gemacht werden, weil es ausuferte und auch deutlich missbraucht wurde (Beispiel "kuren"), und darum nicht mehr lange bezahlbar gewesen wäre.
Und wie so oft, schlug das Pendel dann auf die Gegenseite um, statt sich in einer gesunden Mittelposition zu stabilisieren. Und diese Gegenseite waren die Einsparmaßnahmen der Seehofer-Gesundheitsreform, die zu Fallpauschalen und blutigen Entlassungen führte.