Mein einziger Freund, ein Grünen-Sympathisant – eine kleine Anekdote aus einem studentischen Leben.
Als ich in Marburg studierte, mangelte es mir an sozialen Kontakten. Ohne respektlos zu sein, lag das vor allem daran, dass das „Humankapital“ – Schlagwort Mensch – sehr begrenzt war, und man quasi nahm, was man bekam. Das bedeutete aber nicht zwangsläufig, dass man den Kontakt zu den auserkorenen Zweckfreunden heuchelte. Allerdings stellt sich schon die Frage, ob man diesen Kontakt auch unter optimalen Bedingungen gepflegt hätte.
Nun lernte ich 2017 einen Kumpel kennen – nennen wir ihn aus Gründen der Anonymität „Bernd“.
Bernd war ein treuer, sehr naiver Mensch. Ich mochte sein kritisches Denken; so vermochte er beispielsweise Frauen anzusprechen – trotz seines unterdurchschnittlichen Aussehens. Außerdem war er grundsätzlich an Persönlichkeitsentwicklung interessiert, was ihn für die damalige Zeit modern und aufgeschlossen wirken ließ. Er konnte durchaus kritisch und „outside the box“ denken. Mit ihm pflegte ich eine sehr enge Beziehung. Wir hingen abends stundenlang zusammen, redeten über Gott und die Welt, über Frauen und hatten eine verhältnismäßig schöne Zeit – in einer Umgebung, die keiner von uns beiden freiwillig gewählt hätte.
Das ging trotz einiger Defizite gut bis zum Abschluss, als die Corona-Pandemie in unsere aufblühende Freundschaft hineinschlug. Am Studienort Marburg lief Bernd auf Fridays-for-Future-Demos mit und engagierte sich für das Klima. Allerdings hielt er sich mit seinen Ansichten recht bedeckt. Es war nie ein großes Problem. Ich galt als eher politisch uninteressiert, er als Gutmensch. Ich tolerierte es. Störend war für mich nur seine naive Ader. Es war mir immer ein Dorn im Auge, dass er eine sehr verklärte Sicht auf die Dinge hatte, die häufig äußerst realitätsfern wirkte.
Ich merkte, dass man sich im Notfall nur mittelmäßig auf ihn verlassen konnte. Als er seine Masterarbeit nicht bestand, weil er eine Krise hatte, und sie ein zweites Mal schreiben musste, verlief sich unser Kontakt. Ich war damals selbst erst im Bachelor, später im Master, und die Freundschaft degradierte sich von täglichen Treffen über ein leichtes Genervtsein voneinander zu einer reinen WhatsApp-Freundschaft.
Nun war es so, dass seine Ansichten darauf hinausliefen, dass politisch aktiv zu sein oder überhaupt politisch zu sein etwas mit Erwachsen- und Vernünftigsein zu tun habe – und das wollte er unbedingt. Als er nach Berlin zog, um sein Berufsleben zu starten, trat er nach dem zweiten Anlauf seiner Masterarbeit den Grünen bei. Das erwähnte er mir nur nebenher auf WhatsApp.
Ich hatte oft Diskussionen mit ihm, wobei er eine sehr biedere, langweilige Meinung vertrat, die von Naivität geprägt war. Interessant war, dass sich seine politische Haltung häufig auch in seinem Charakter widerspiegelte. Allerdings war der Parteieintritt bei den Grünen und der aktive Wahlkampf für mich eine rote Linie, die überschritten wurde. Warum auch immer – vielleicht der Berliner Wandel, vielleicht die durch das Moloch-Umfeld Berlins verstärkte Ausprägung seiner Charakterzüge, die ich ohnehin nicht so angenehm fand. Symbolisch durch den Beitritt zu den Grünen hat mich das intellektuell von ihm entfremdet.
Seitdem ich das wusste, konnte ich ihn deutlich weniger ernst nehmen. Ich versuche eigentlich, mich nicht billig spalten zu lassen, und bin mir bewusst, dass das von mir nicht die beste Art ist. Aber ich konnte es schlicht nicht ertragen und auch kaum ignorieren. Aus meiner Sicht ist ein Parteieintritt eine deutliche qualitative Steigerung gegenüber losen Sympathiebekundungen – und geht über das Maß hinaus, was man als Freund noch tolerieren muss.
Die Grünen stehen für mich in gewisser Weise für eine charakterliche Form, die ich an ihm schon immer leicht abgelehnt habe, nun aber verstärkt sehe. Deshalb habe ich den Kontakt gedrosselt. Ich bin mittlerweile nicht einmal mehr bereit, mit ihm auf WhatsApp Gespräche zu führen, weil ich genervt bin und seine Meinung ehrlicherweise nicht mehr richtig wertschätze. Das beginnt bei grundsätzlichen Einstellungen, beim Menschenbild. Es beginnt bei einfachen Dingen, wo ich mich eher ausgebremst fühle als verstanden.
Bereits in der Corona-Pandemie fiel mir auf, dass er sehr autoritätshörig war. Er hielt sich besonders streng an die Regeln, trug die Maske besonders konsequent, begrenzte Treffen stark und hinterfragte wenig. Obwohl ich selbst geimpft bin, empfand ich diese übervorsichtige Art als lächerliches Gebaren. Dasselbe Muster zeigte sich auch bei seinen politischen Ansichten – im sogenannten Kampf gegen die AfD oder bei gutgläubigen Klimapositionen.