Der "kategorische Imperativ" ist unter Philosophen als Maxime zur Handlungswahl durchaus umstritten. Zunächst hört er sich sehr gut an. Man denkt dann: "Wenn ich eine Toilette aufsuche, möchte ich dass sie sauber ist. Also fühle ich mich auch genötigt selber eine Toilette sauber zu hinterlassen.
Doch abgesehen von diesen einfachen sog. Selbstverständlichkeiten wird der kategorische Imperativ schnell sehr fragwürdig. Das liegt einfach daran, dass die Menschen extrem unterschiedlich sind in Bezug auf das Alter, das Geschlecht, den sozialen Status, die erworbenen Privilegien, den gesellschaftlichen Rang und viele weitere Persönlichkeitskennzeichen.
Da greift so eine pauschalisierende Maxime viel zu kurz. Nach meiner Erfahrung kommt es vielmehr darauf an, dass ich lebenslang menschliche Beziehungssysteme analysiere, ihre Wirkmechanismen versuche zu erkennen, daraus für mich selbst Handlungsmodelle ableite und diese an der Realität ausprobiere, um ihre Tragfähigkeit zu prüfen, gegebenenfalls zu revidieren oder beizubehalten, wenn sie sich als gelungen und förderlich herauskristallisieren.
So muss ich z.B. auch immer wieder lernen, dass Menschen sich nach meiner moralischen Bewertung ganz fragwürdig verhalten. Und was nun? Soll ich da ermahnen, korrigieren, verurteilen, wegschauen, ignorieren oder was sonst für ein Verhalten zeigen? Hier beginnt doch erst der Ernst der moralischen Justierung. Wie kann ich - ohne Beziehungen allzu sehr zu belasten - mit so einer Situation zurechtkommen? Den kategorischen Imperativ kann ich hier vergessen. Der ist unflexibel, viel zu schematisch, wird der Komplexität der menschlichen Psyche nicht gerecht.
Es bleibt die Aufforderung nach lebenslangem Lernen im Bereich der Beziehungen, die sich fast immer als schwieriger herausstellen als man zunächst gedacht hatte.