Wussten die Menschen früherer Zeitepochen eher mehr, oder eher weniger über die Seele/über "Psychologie" als wir?
Hi liebe Community,
ich lese gerade das christliche Buch "Pilgerreise" (1678) des englischen Autors John Bunyan. Bunyan lebte im Barock, und hatte als 17jähriger im 30jährigen Krieg gekämpft. Als er mit 20 Jahren heiratete, war er so arm, dass er und seine Frau nur einen einzigen Teller und einen Löffel besaßen, womit sie immer gemeinsam aßen. Er war Kesselflicker von Beruf und hatte kaum Schulbildung. Nebenbei war er Baptistenprediger, wurde als solcher von der anglikanischen Staatskirche verfolgt und verbrachte 12 Jahre im Gefängnis. Seine Tochter war blind.
Ich bin erschüttert und zutiefst berührt über die Großartigkeit seines Werkes und habe, obwohl ich Theologie und andere Geisteswissenschaften studiert habe und einen christlichen Bücherladen geleitet habe, noch nie etwas Vergleichbares gelesen. Für mich ist nun die "Pilgerreise" das zweitbeste christliche Buch direkt nach der Bibel. Ich hatte ständig Gänsehaut pur beim Lesen.
Es ist sehr tiefgründig, gleichermaßen aber auch bodenständig, entwickelt eine hochsensible und diffizile Psychologie der menschlichen Seele, die ich diesem Zeitalter nicht zugetraut hätte, und bringt das Evangelium so klar und strikt, aber auch lyrisch-"romantisch", liebevoll, warmherzig, humorvoll, ausbalanciert und dabei hochaktuell auf den Punkt, wie kaum ein anders christliches Buch.
Und dies alles im Jahre 1678. -Natürlich weiß ich, dass z.B. Antike und Mittelalter die bedeutsamsten Philosophen hervorgebracht haben - aber eben Philosophen, nicht Psychologen. Ich dachte immer, der Mensch der damaligen Zeitepochen hätte einen viel zu harten Überlebenskampf gehabt, um viel auf die Mechanismen und feinen Verästelungen der Seele achten zu können; ich dachte, Geisteswissenschaft damals wäre mehr überhöhte, am Menschen vorbeigehende Abstraktion gewesen. - Shakespeare war ein Zeitgenosse Bunyans. Bertold Brecht hat Shakespeare, bei aller Genialität, eine schlampige Psychologie in seinen Dramen vorgeworfen.
Auf der anderen Seite, war das Leben damals viel existenzieller. Schon Kinder sahen ständig Tote und viel Elend und Leid, und wussten, dass auch sie vielleicht nicht alt werden würden. Ob das eine Intuition herausbildet, die wir heute nur in Universitätsstudien nachvollziehen?
Jedenfalls, was meint Ihr? Wusste man damals eher mehr oder eher weniger über die Psyche als heute?
Danke für Eure Gedanken : )
5 Antworten
Die Menschen früher und jeher wussten deutlich mehr über die Seele, beziehungsweise über die inneren Dinge generell als heute. Es ist allgemein so, dass Menschen aus alten Zeiten, heutzutage, immer vorgeworfen wird, dass sie dümmer waren, was Schwachsinn ist. Auch schon die Menschen zur Steinzeit waren kaum anders. Man unterschätzt sie alle nur, weil man sich für so klug mit seiner Technologie hält, die wohl kaum jemand, wenn er in die Zeit zurück ginge, auch nur zum Teil nachbauen könnte.
Jedoch besonders auf das Geistige bezogen, sind die Menschen, je länger die Zeit voran schreitet, desto weltlicher und äußerlicher geworden. So weiß man heute fast überhaupt nichts mehr, was Sache der Liebe und des Glaubens ist.
Du vermischst hier denke ich zu viel.
Lebenserfahrung kann natürlich psychische Ratschläge geben, natürlich kann man logisch gewisse Dinge nachvollziehen, auch damals zb gab es Dorfgemeinschaftenbn die nen Vergewaltiger wegjagten, weil man wusste das sowas scheiße ist, das waren doch ned alle einfach Unmenschen, die waren auch ned alle blöde, es gab immer welche die irgendwo sinnvoll und logisch analytisch handelten nur ist das alles nicht diese Psychologie, die mit Neurologie zusammenarbeitet und Pädagogik als Grundsystem benutzen muss. Sowie die ganze Biochemie miteinbeziehen muss, soweit möglich. Psychologie muss jede Menge analysieren und interpretieren und in einen Kontext setzen.
Ich denke, das Empfinden war damals noch größer ausgeprägt als heute durch das hautnahe miterleben dem alltäglichen Elend. Erst durch das Selbsterleben bekommt man ein Gefühl für die Seelenlage.
Ich empfehle da die drei Romane Die Elenden von Victor Hugo zu lesen, welcher einen tiefen Einblick in das Thema liefert, was Mitgefühl heißt.
Psychologie wurde erst im 20. Jahrhundert "erfunden".
Die Psychologie existierte schon immer. Es war stets das Streben der Menschen, Verhalten und Gedanken zu verstehen. Sie hatte nur andere Wege und war intensiver.