Wie nehmen Autisten die empfindliche bei Licht, Geräusche usw. Sind die Umgebung wahr?

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Ich kann nur von mir persönlich sprechen.

Geräusche nehme ich mehr wahr, als eine neurotypische Person und sie stressen mich auch deutlich schneller. Sie sind lauter und nervenaufreibender für mich. Stell' dir vor, du bist inmitten eines gut besuchten Casinos, irgendwo in Las Vegas, und die ganzen Maschinen jaulen, die Leute jubeln (oder heulen), unterhalten sich etc. Aber du bist in keinem Casino. Du bist im Supermarkt, in deinem Heimatdorf, zu einer Uhrzeit, in der relativ wenige andere Kunden da sind.

Das Doofe an meinem Beispiel ist, dass es Leute gibt, die selbst in einem rammelvollen Casino nicht zu viel bekommen würden, sondern da sogar gerne sind. Also stell' dir einfach einen Ort vor, der selbst dir zu laut ist, dreh' die Lautstärke hoch auf 100 und dann stelle dir vor, dass du nur im Supermarkt bist oder an einer Straße vorbeiläufst oder ... in einem Café sitzt.

Dazu kommt noch, dass wir Autisten unsere Reize nicht filtern können. Ich kann kein Geräusch ausblenden, ich kann es nicht ignorieren, ich kann mich nicht daran gewöhnen. Und da fehlt es einigen neurotypischen Leuten auch an Einfühlungsvermögen, denn sie können es ausblenden, sich daran gewöhnen, also weshalb sollten wir Autisten das nicht auch hinbekommen? (Was ich oft lese, ist sowas wie "Wenn du mal Kinder hast, wirst du dich schon an das Gekreische/Geheule gewöhnen" oder halt mit Dingen wie z.B. dem Gestank beim Windeln wechseln oder wenn sich das Baby übergibt. Also ich war ein Schreibaby, meine Mutter ist ebenfalls Autistin, und nie hatte ihr die Tatsache, dass ich ein Kreischebaby war, dabei geholfen, sich daran zu gewöhnen oder dafür gesorgt, dass es ihr weniger wehtut. Es tat ihr immer weh, auch bei anderen Babys und es tut ihr auch jetzt, 25 Jahre später, noch weh. Meine Mutter beschreibt es als "ein Klingeln in den Ohren" und ich finde, das passt ganz gut.)

Es prasselt eben alles auf mich ein.

Ich hasse z.B. auch ASMR oder ... bestimmte Geräusche ... Beispielsweise Knistern, Static, das Geräusch von Windböen, das Prasseln von Regen, Donner, lautes Meeresrauschen etc. Sowas finde ich gar nicht beruhigend, auch wenn viele andere - selbst manche anderen Autisten - das beruhigend finden. Ich liebe Horrorthemen, aber ich hasse jegliche Jumpscares, wegen den lauten Soundeffects. Ich hasse Videos mit solchen Glitch-Effekten etc., aber einige Videos über Themen, die mich faszinieren, haben diese Effekte. Ich hasse es, wenn Leute in der Werbung flüstern.

Wenn es um meine Lichtempfindlichkeit geht, ist es dort nicht so schlimm um mich bestellt. Ich mag es in der Regel bunt, ich mag Maximalismus (besonders wenn es um die Möbelierung geht) und Glitzer zu beobachten ist literally the best stimming method ever. (Ich hab eine Handyhülle in der so ein "Glitzerwasserfall" drin ist, ich liebe sie, das ist so schön, wenn die Sonne darauf scheint.)

Jedoch: Grelle Lichter, wie beispielsweise in Supermärkten/Discountern, Drogerien, vielen Restaurants uvm. verwirren mich. Ich weiß nicht, ob ich sagen würde, sie tun mir weh, aber sie blenden mich. Ich kann mich bei so viel Licht nicht gut orientieren, konzentrieren und es sieht zwar für mich immer so aus, als könnte ich alles sehen, aber es gibt dann doch einzelne Dinge, die kann ich nicht genau sehen und wenn dazu eben noch das mit der Geräuschkulisse kommt, ist es richtig doof. Ich bekomme keine Meltdowns in der Öffentlichkeit, aber man merkt, dass ich sichtlich schneller gestresst bin. Manch einer könnte denken, ich hätte immer etwas zu meckern, weil ich dann viel mecker.

Gerüche sind für mich weniger ein Problem. Ich hasse zwar z.B. den Gestank von Gülle und von Tabak (Zigarettenqualm), aber ich kann mir kaum vorstellen, dass irgendjemand das mag. (Andererseits: Wenn es so viele stören würde, wären diese beiden Dinge schon längst verboten worden, also anscheinend bin ich da hingehend doch immer noch sensibler als die meisten neurotypischen Leute.) Bis zu einem gewissen Grad würde ich mich eher als hypo- statt hypersensibel beschreiben, zumindest was Gerüche/Düfte angeht, aber ich bemerke fast sofort, wenn sich jemand zu stark einpafümiert hat. Auf der anderen Seite könnte ich genau so gut die Person sein, die sich zu sehr einpafümiert hat. Ich rieche generell gerne an Dingen. Blumen, Kräuter, Duftkerzen, Kaffeebohnen (aber ich trinke keinen Kaffee) usw. und ich muss immer Waschmittel und Wäscheduft haben, bei dem der Duft intensiv ist (sehr zum Leidwesen meiner Mutter).

Ich könnte noch in solche sensorischen Reize wie Stoffe (Kleidung), Texturen (Essen), Berührungen, Hitze, Kälte, Luftfeuchtigkeit, Luftdruck, physische Schmerzen, Hunger- und Durstgefühl etc. eingehen, aber meine Finger fallen ab.

Keine Ahnung, wie genau ich das beschreiben soll ... Gerade eben ist ein dämlicher Motorradfahrer viel zu laut bei uns vorbeigefahren ... Das hat schmerzende Gehirnwellen ausgesendet. Oder irgendwie so.

Es gibt verschiedene Teilbereiche und jeder Autist wird in manchen eher (oder definitiv) hypersensibel und in manch anderen eher (oder definitiv) hyposensibel sein.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ich bin diagnostizierte Autistin (Keine Selbstdiagnose)👽

Ich bin sehr empfindlich auf allen Sinnen. Ich muss außerhalb vom Haus immer noise-cancelling Kopfhörer oder Loop-Earplugs tragen, damit mir die Geräusche nicht körperlich weh tun.

Ich trage nur dieselben 5 Shirts und 2 Hosen, da diese die einzigen sind, die für mich komfortabel sind.

Licht tut mir sehr in den Augen weh, deswegen trage ich auch im Winter oft Sonnenbrillen oder schließe meine Augen.

Ich schmecke Dinge sehr detailliert und stark, Texturen machen da auch viel aus. Ich esse fast nichts anderes außer leere Brötchen.

Ich rieche Dinge auch sehr viel schneller als andere. Als wir beispielsweise neulich bei meiner Großmutter waren, meinte ich zu meinen Eltern, dass es hier nach Rauch rieche. Später fanden wir heraus, dass die 24-Stunden-Pflege meiner Oma dort immer raucht. Zu dem Zeitpunkt als ich den Rauch gerochen hatte, war bereits über eine Stunde vergangen, seit sie das letzte Mal geraucht hatte. Das ganze war übrigens draußen, nicht in einem Raum.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Autist mit Erfahrung mit mentaler Krankheit

Ich habe grad eine andere Frage zu Autismus beantwortet, da ist mir deine Frage gleich vorgeschlagen worden. Und da ich sie interessant finde werde ich sie beantworten auch wenn ich viel zu spät dran bin 😅 hihi

Jeder Autist ist anders und einzigartig, aber manche Merkmale sind schon auch sehr eindeutig. Ich kann jetzt nur aus meiner Sicht erzählen.

Ich lebe leider Gottes in einer Großstadt, und nehmen wir Mal an ich steige in die öffentliche Bahn ein. Bei mir ist der Tastsinn so.. naja. Ich habe zwar den großen Drang alles Neue gründlich 0abtasten und fühlen zu müssen, ich würde mich da aber nicht als hypersensibel bezeichnen. Allerdings habe ich einen extrem sensiblen Geruchssinn und ich reagiere empfindlich auf Licht und Geräusche. Das erste was mir beim einsteigen in die Bahn entgegenschlägt ist der Gestank. Ja, anders kann ich's nicht nennen. Eine Ladung geballter zusammengemischter Düfte, mehr unangenehm als angenehm. Parfums, Deos, frischer und alter Schweiß, Tabak, etc. Das ist so überwältigend dass es mir die Nase verbrennt. Gleichzeitig fluten mich die ganzen visuellen Reize. Die Menschen, ihre Kleidung, die Haltestangen und Sitze, die flackernden Lichter. Und dann die ganzen unterschiedlichen Geräusche. Und das alles nur beim einsteigen.

Dann bin ich drinnen. Wenn ich mich hinsetzen kann ist das für mich eine sehr große Erleichterung. Dann wende ich mich ab, sehe aus dem Fenster, versuche mich in meiner Welt zu verschanzen um alles erträglicher zu machen. Wenn ich stehen muss, ist das wirklich schlimm. Mehrere Personen grenzen mich von allen Seiten ein, mal streift oder stößt mich der eine oder andere an, was mich jedes Mal innerlich zusammenzucken lässt und meinen Stresslevel enorm steigert. Wenn eine Berührung länger anhält bekomme ich Panik. Lauter unnötige Geräusche fallen mir auf. Die Oma die vor sich hin murmelt, der Mann mit rasselndem Atem, die Frau die in ihr Handy schreit, die Musik die aus den Kopfhörer des Teenies neben mir tönen, das Gewussel, Jacken die aneinander streifen, das laute Poltern der Bahn, die monotonen Durchsagen, eine Dame die neben mir die Fingerknöchel knacken lässt. Visuell bin ich auch überfordert. Ich sehe die verschiedenen Haarschnitte und Frisuren, die Gesichter, Farben, verschiedenen Textilien und Kleidungen, mir fällt auf dass ein Paar Turnschuhe verschiedenfarbige Schnürsenkel hat, was mich stresst da ich den starken Drang habe das alles geordnet sein muss. Eine Jacke hat Löcher, ich sehe dass ein rot-schwarz gestreifter Pulli oben am Kragen mit schwarz anfängt und unten auch mit schwarz endet, aber an den Ärmeln mit der rote Farbe endet. Und noch während mir das auffällt ärgere ich mich selbst darüber, wieso mir so unnötige Sachen überhaupt erst auffallen.

Zu sagen dass nichts meiner Wahrnehmung entgeht wäre falsch, aber ich werde doch schon von sehr vielen Reizen überflutet, und das ist überwältigend. Fast immer fange ich an zu schwitzen und zu zittern, meine Atmung verschnellert sich und mir wird schwindlig. Es ist unglaublich kräfteraubend. Dennoch schaffe ich es meist so gut damit klarzukommen, dass es nicht mit einem Meltdown oder Shutdown endet. Manchmal passiert das aber doch, und wenn ich merke dass sich was anbahnt steige ich schnell bei der nächsten Station aus der Bahn und ziehe mich nach Möglichkeit ins ruhigste Eck zurück.

Ich habe mit der Zeit natürlich auch gelernt, mich ein wenig vor diesen ganzen Reizen zu schützen. AirPods mit Musik hilft mir sehr mich ein wenig abzukapseln und die Konzentration zu bewahren. Wenn's wirklich schlimm wird habe ich auch meine Noise-cancelling Kopfhörer immer überall dabei. Auch eine Sonnenbrille habe ich immer dabei und setze sie auch auf, um die visuellen Reize für mich etwas angenehmer zu machen. Nachdem ich diese Challenges "überlebt" habe bin ich auch immer sehr müde und erschöpft, meist schlafe ich dann auch gleich ein wenn ich wieder Zuhause bin. Wenn's besonders schlimm war brauch ich mehrere Tage um mich davon zu erholen.

Ich hoffe durch das Beispiel mit der Bahn ist es ein wenig leichter jetzt sich vorzustellen, wie es für einen Autist sein kann. Genauso wie die Bahn kann ich es auch bei allen anderen Alltagssituationen machen. Supermarkt ist für mich ziemlich okay, da wird es für mich nur dann schlimm wenn's voll ist oder wenn ich in der Schlange stehe. Shoppen dagegen ist der Horror. Jeder Autist ist halt einzigartig.

Während ein Großteil der Neurotypischen sich praktisch in Parfüm marinieren kann und den Gestank von kaltem Zigarettenrauch in der Kleidung nicht als störend empfindet, reagiere ich schon viel früher darauf.
Manchmal fast schon allergisch mit tränenden Augen und metallischem Geschmack im Mund.

Geräusche, die bestimmte Frequenzen haben oder disharmonisch sind, gehen gar nicht für mich.
Mit ein Grund, weshalb ich weder Opern noch Schlager oder Volksmusik mag.

Mir gefallen Schwarz-Weiß-Muster, aber ich kann nicht lange hinschauen. Da bekomme ich ein Flirren vor den Augen.

Jeder Autist reagiert anders auf Umweltreize.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – ASS-Diagnose mit 50 / über 20 Jahren im Thema

Ich kann es nicht ertragen, wenn zu Hause oder auf der Arbeit nebenher Musik läuft.

Videovorträge, wo im Hintergrund leise Musik zu hören ist, meide ich, auch wenn mich das Thema brennend interessiert.

Wenn sich in Bus/ Bahn Leute neben mir unterhalten, kann ich mich auf kein Buch mehr konzentrieren.

Wenn Leute ununterbrochen reden und dann z.B. immergleiche unpassende nichtssagende Füllwörter ("quasi", "nach dem Motto", "nicht wahr?", "du weißt wie ich meine", "genau", ...) einstreuen, nervt mich das so sehr, dass sich mir die Nackenhaare aufstellen.

Melodien und Rhythmen verhindern alle eigenen Gedanken und stehlen meine Zeit, wenn ich die mithören muss.

Auch wenn Leute ständig vor sich hinpfeifen, summen, wo draufklopfen, sich häufig räuspern, ... alles so was von nervig.

Wenn ich jemandem zuhören will, und dann flüstert noch ein Dritter, das stört.

Pieptöne am Handy gehen gar nicht, da habe ich alles auf komplett stumm geschaltet.

Naturgeräusche oder Maschinen sind für mich kein Problem, nur all das Menschengemachte.

Und visuell, taktil, olfaktorisch, sensorisch, ... bin ich ebenfalls hochsensibel.

Es gibt aber immer Ausnahmen. Z.B. wurden mir alle 4 Weisheitszähne ohne Betäubung gezogen - ich bin gleich anschließend aus der Tür raus ohne den geringsten Schmerz.