Kann Autismus auch erst später auffallen und reden Autisten monoton?


02.02.2024, 22:59

Und was ist Stimming?

4 Antworten

Da habe ich einige Fragen zu beantworten.

Fangen wir mit dem Fragetitel an:

Ja, Autismus kann auch erst später auffallen. Die Gründe dafür sind verschieden, aber oft liegt das an/einer Zusammensetzung aus:

  • Masking ( https://www.healthline.com/health/autism/autism-masking )
  • Keine/Zu wenige Ressourcen für eine fachkundige Diagnostik
  • Eltern haben die Anzeichen nicht ernstgenommen/Eltern dachten, es wäre nur eine Phase
  • Eltern wollten keine Diagnose für ihr Kind
  • Anzeichen waren nicht sofort auffällig (Oft bei Mädchen auf dem Spektrum der Fall)
  • Angst vor möglichen Nachteilen bei der Jobsuche, bei Krankenkassen, bei eventueller Adoption von Kindern, bei Sorgerechtsstreitereien usw. usf.
  • Ärzte nehmen einen nicht ernst
  • usw.

Ja, manche Autisten reden eher ziemlich monoton. Manche Autisten reden normal und manche reden oftmals eher übermäßig betont, fast schon wie animiert. Bei manchen kann das auch immer mal wieder wechseln, wie z.B. bei mir.

Dann kommen wir zum eigentlichen Text.

kann es sein, dass man Kindern Autismus (nicht den frühkindlichen natürlich), nicht wirklich anmerkt? 

Wichtig: Es gibt keine unterschiedlichen Autismusformen mehr. Diese wurden seit Anfang 2022, laut dem ICD-11, aufgehoben. Im DSM-5 seit 2013. Das nennt sich nun nur noch "Autismus-Spektrum-Störung"/"ASS"/"Autismus".

Und das kommt sehr auf das Kind an und auf die Umgebung, in der dieses Kind aufwächst.

Bei mir bemerkte es meine Mutter definitiv ab meinem 3. Lebensjahr, auch wenn sie damals noch nichts von Autismus wusste. Die Diagnose folgte fast 7 Jahre später.

Man muss halt auch bedenken, dass selbst Kindergartenkinder bereits lernen können, sich zu maskieren. (Was im Übrigen sehr schädlich ist - Das wird auch in dem von mir verlinkten Artikel genauer erklärt, weshalb dem so ist.)

Also dass sie vielleicht soziale Probleme hatten oder etwas „anders“, aber sich angepasst haben und es jahrelang nicht auffällt? Und es dann immer stärker wird im jugendlichen Alter?

Jap, Masking. Das schreit nach Masking.

oder andere Sprache verwenden

Inwiefern? Ich denke mal nicht, dass du meinst, dass wir z.B. Polnisch oder so sprechen, anstatt Deutsch. Es gibt Autisten, die nicht sprechen können (Nicht weil sie stumm sind, sondern das hat oftmals mehr was mit sensory issues zu tun. Ich kann selber komplett sprechen, deshalb kann ich das nicht gut erklären und ich will hier nichts Falsche sagen). Die kommunizieren entweder anhand von bestimmten Körperbewegungen, mit ihren Augen oder sie geben Geräusche von sich. Manche benutzen Gebärdensprache, benutzen Bilder und zeigen dann auf diese, um zumindest grob sagen zu können, was sie meinen, manche haben extra solche Art Text-to-Speech-Programme usw.

Es kann auch sein, dass manche Autisten ein eher "hochgestochenes", weit ausgeprägtes Vokabular haben. Ehrlich gesagt weiß ich nicht genau, was du mit "andere Sprache" genau meinst ...

Keine Empathie empfinden, etc. Ist das wahr?

Nein. Bzw. nicht zwingend.

Die Sache mit Autismus und Empathie ist sehr komplex, aber ich kann dir sagen: Jeder, der undifferenziert behauptet, wir Autisten hätten keine Empathie, der lügt, der verbreitet Unwahrheiten und dieser Person brauch nicht weiter zugehört werden.

Hier ein paar gute Artikel, was das Thema angeht:

https://www.authenticallyemily.uk/blog/autistic-people-dont-have-empathy-a-look-at-autism-and-empathy#:~:text=This%20is%20known%20as%20hyper,meltdowns%20and%20be%20quite%20debilitating.

https://the-art-of-autism.com/autistic-people-empathy-whats-the-real-story/

https://www.spectrumnews.org/news/double-empathy-explained/

https://neurodivergentinsights.com/blog/autism-and-alexithymia

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6959478/

https://adultswithautism.org.uk/autism-feeling-sympathy-for-inanimate-objects/ (Die Kommentare sind hier auch sehr interessant.)

https://www.autismeye.com/autistic-people-hyper-empathy/

https://emergentdivergence.com/2023/07/24/hyper-empathy-mirror-touch-synesthesia-and-the-autistic-experience-of-pain/

https://embrace-autism.com/autism-and-empathy/

Du musst wissen, dass sehr viel, was man über uns Autisten so liest - besonders all das aus dem deutschsprachigen Raum - entweder eine Fehlinformation, eine Halbwahrheit, eine Verallgemeinerung oder ein Vorurteil ist.

Und was ist Stimming?

Hier ein paar Links dazu:

https://justkeepstimming.com/2019/05/21/types-of-stimming-infographic/

https://www.andnextcomesl.com/2021/09/stimming-behaviors.html?m=1

https://www.experia-usa.com/blog/understanding-different-types-stimming/

Und das hier könnte auch noch hilfreich sein:

https://www.ticcersunite.com/post/tic-stim-or-compulsion

Ich hoffe mal, damit habe ich dir alle Fragen beantwortet.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ich bin diagnostizierte Autistin (Keine Selbstdiagnose)👽

Das passiert sehr oft, die meisten Autisten werden zur Zeit in ihrer Jugend diagnostiziert, es kann aber auch noch später sein. Meine Mutter zum Beispiel würde mit 53 Jahren diagnostiziert. Bei vielen treten starke Symptome erst im Jugendalter auf. Vorallem Mädchen mit Autismus merkt man das manchmal auch gar nicht an, sie werden oft als schüchtern, ängstlich oder introvertiert abgetan. Sie tun sich meistens auch leichter dabei, soziale Verhaltensweisen zu erlernen und so zu tun, als ob sie gar keine Schwierigkeiten hätten. Bei Jungs ist die Chance auf eine (frühe) Diagnose wesentlich höher.

Jeder Mensch ist unterschiedlich, vorallem Menschen mit Autismus haben komplett unterschiedliche Verhaltensweisen und Symptome. Monotone Sprache ist ein häufiges Symptom, aber nicht jeden betrifft das. Keine Empathie empfinden ist bei Autisten ebenfalls möglich, aber nicht zwingend notwendig um autistisch zu sein. Manche Autisten empfinden sogar "zu viel" Empathie. Die meisten empfinden Empathie eben anders als neurotypische Personen.

Stimming kommt oft bei autistischen Menschen vor, die sich dadurch leichter tun, ihre Gefühle zu empfinden und rauszulassen. Einige tun das auch, um Umwelt Reize zu verarbeiten. Stimming äußert sich durch Bewegungen und körperliche Handlungen, zum Beispiel ein Wackeln oder Schütteln der Hände, der Finger oder des Kopfes, vor- und zurückwippen mit dem Oberkörper oder Tippen der Finger.

paintedsoul 
Fragesteller
 02.02.2024, 23:31

Danke! Ich erkenne immer mehr bei mir wieder.

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Ja - Autismus kann sogar erst Jahrzehnte später auffallen.

Es gibt unzählige Menschen, die älter sind und noch nicht diagnostiziert.

Denn: Je älter, umso stärker das Masking = Anpassung an die Verhaltensweisen der neurotypischen Gesellschaft.

Die Symptome selbst müssen nicht zwingen stärker werden.
Wobei die Stärke der Symptome sogar innerhalb eines Tages schwanken können.

Manche Autisten reden vielleicht monoton, aber das gilt nicht für alle.
Andere Sprache? Nur, wenn es sich um Fremdsprachen handelt - im Ernst: Manche mögen sich "gestelzt" anhören, was wiederum nicht für alle Autisten gilt.

Ach ja, die Sache mit der Empathie: https://www.psychologytoday.com/us/blog/women-autism-spectrum-disorder/202006/can-i-have-empathy-if-i-am-autistic

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – ASS-Diagnose mit 50 / über 20 Jahren im Thema

Viele werden erst als Erwachsene diagnostiziert. Ich war 22. Anthony Hopkins war sogar schon 70.

Manche reden monoton und irgendwie anders, andere nicht.

Das mit der Empathie stimmt definitiv nicht. Das glauben neurotypische Menschen nur, weil autistische Menschen ihre Empathie anders zeigen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ich bin Autist.