Vereinfacht erklärt ist Autismus eine neurologische Entwicklungsstörung (keine Erkrankung! - sehr wichtig, Entwicklungsstörungen und Krankheiten sind zwei verschiedene Dinge), welche unter Umständen auch als Behinderung durchgehen kann.
Was es ebenfalls ist, ist eine Art der Neurodivergenz.
Denn neuro = neuronal = Gehirn und da bei uns Autisten das Gehirn anders funktioniert und entwickelt ist, als bei neurotypischen Menschen, haben wir eine neuronale Differenz. Eine Divergenz. Eine Divergenz von der neuronalen, typischen Norm. Deshalb "Neurodivergenz". Es ist ein neutraler Begriff für etwas faktisch Korrektes. Leider wollen viele das nicht begreifen.
Alle diese drei Begriffe (Entwicklungsstörung, Behinderung, Neurodivergenz) sind korrekt.
Welchen Begriff man als Autist selber für sich lieber hat, ist halt sehr individuell. Mir ist Behinderung und Neurodivergenz am liebsten.
Wie sich Autismus äußerst kann sehr unterschiedlich ausfallen. Deshalb gibt es auch diesen Spruch: "Kennst du einen Autisten, kennst du einen Autisten."
Autismus ist ein Spektrum, jedoch bedeutet das nicht, dass ein Autist weniger autistisch ist als ein anderer oder andersherum. (Darüber hinaus haben sehr viele Autisten Komorbiditäten.)
Du musst dir das wie eine Torte oder wie ein Rad vorstellen. Einfach mal "autism wheel" googlen. Da wird es erklärt. Zum Beispiel hier.
Es gibt eine lange Liste an möglichen Auffälligkeiten, welche man als autistische Person haben kann. Ich hab schon oft solch eine Liste (unvollständig, spontan geschrieben) hier gepostet, aber ich bin ehrlich gesagt zu ... Ich bin nicht dazu im Stande, das gerade zu tun. (Und danach hast du eh nicht gefragt, also alles tuttifrutti.)
wie denken sie anders?
Auch das wird von Autist zu Autist unterschiedlich sein. Es gibt das Gerücht, wir Autisten würden alle sehr rational und logisch denken und uns nicht von unseren Gefühlen leiten lassen. Auf manche mag das sicherlich zutreffen, doch auf manch andere (z.B. mich) nicht. Ich müsste hier nun ein bisschen verallgemeinern, aber okay, generell kann man sagen, ist das so:
Wir Autisten neigen z.B. weniger dazu, Autoritätspersonen zu gehorchen, einzig und alleine aus dem Grund, dass es Autoritätspersonen sind.
Wir neigen auch dazu, genaue Erklärungen und Anweisungen zu benötigen. Wenn wir Fragen stellen, so ist dies nicht, weil wir diskutieren, streiten oder das Wissen/die Erfahrung der anderen Person in Frage stellen wollen.
Wir müssen wissen: wieso, wann, wie, wo, mit wem? Wir brauchen Details. Je mehr Details, desto besser. Du willst dich zum Beispiel mit uns treffen? Wir brauchen Details. Eine genaue Uhrzeit, einen genauen Treffpunkt, was werden wir tun, kommt noch jemand dazu, wo werden wir hingehen, wie lange werden wir zusammen abhängen, ...?
Wir sind weniger anfällig für Werbung und Dinge wie Gruppenzwang. (Wobei: Mit genügend Mobbing ... und wenn die Werbung etwas mit dem eigenen Spezialinteresse zu tun hat ...)
Wir können sehr fixiert auf (soziale) Gerechtigkeit sein und nicht ruhen, ehe diese erreicht ist. Es kann uns sehr stark mitnehmen. Selbiges gilt z.B. auch für Mitgefühl mit Tieren.
Ich denke, unsere Empathie funktioniert oft so, dass wir von uns ausgehen. Als Beispiel: Jemand weint. Ich denke mir: Soll ich die Person trösten? Sie umarmen? Auf die Schulter klopfen? Ihr Tipps geben? Was würde ich in solch einer Situation wollen? Ich würde nicht angefasst werden wollen. Also sollte ich sie vielleicht sicherheitshalber auch nicht anfassen ...
Und so weiter und sofort.
Hm, ehrlich gesagt ist die Frage sehr schwer zu beantworten, denn um dir das wirklich beantworten zu können, müsste ich meinen Autismus ausschalten können. Dann könnte ich mal wie eine autistische und mal wie eine neurotypische Person denken/leben und dir dann berichten, was es (sonst noch) alles für Unterschiede gibt.
Wie denke ich? Na ja, ich denke, dass ich mir definitiv sehr viel zu Herzen nehme. Das liegt auch an meinem Autismus. Natürlich ist, wie bereits erwähnt, nicht jeder Autist gleich und deshalb ist auch nicht jeder Autist so.
Wir können sehr umständlich denken. Besonders wenn es um Aufgaben geht. Es ist hinlänglich bekannt, dass wir Autisten (und auch Leute mit ADHS) stark mit unserer Executive Dysfunction zu kämpfen haben. Was für das neurotypische Gehirn also simpel ist, kann für unser Gehirn ein Labyrinth aus fünfzehn verschiedenen Treppen sein, die in völlig unterschiedliche und physikalisch gar unmögliche Richtungen gehen.
Ein weiterer Punkt wäre der ganze Overexplaining-Aspekt. Unser autistisches Gehirn kann dazu tendieren, uns einzureden, dass wir ganz viele Nebeninformationen hinzufügen müssten. Denn wir werden oft missverstanden und deshalb sind Klammern unsere besten Freunde. Wir wissen selten, welche Informationen nun wirklich wichtig sind und was unser Gegenüber schon weiß, schon kapiert hat und was nicht. Also neigen wir dazu, zu erklären und erklären und erklären. (Dies kann auch mit Infodumping sowie Oversharing überlappen.)
Wir tun das auch so gerne, weil wir meistens finden, dass offene und direkte Kommunikation das A und O ist. Und dies schließt auch grenzenlose Ehrlichkeit mit ein.
Wir mögen es im Allgemeinen nicht, zu lügen. Aber das bedeutet nicht, dass wir es nicht können! Wir können es - manche besser, manche schlechter -, doch wenn wir alles andere als authentisch sein sollen, wenn wir etwas vorspielen müssen ... kann das sehr schnell nach hinten losgehen. Etwas vorspielen zu müssen ist schrecklich und sei es "nur", dass ich so tun soll, als würde ich mich für etwas interessieren, für das ich mich in Wahrheit gar nicht interessiere.
Wir können eine Abneigung dagegen haben, gesagt zu bekommen, was wir tun sollen. Simple Aufforderungen. Bereits im Kindergarten. Stell' dir vor, du bist im Kindergarten (und im Kindergartenalter) und die Erzieherin dort möchte dich zu etwas ermutigen. Sie mag z.B. wollen, dass du in die Hände klatschst, etwas malst, dass du ihr nachsprichst o.Ä. Also mag sie z.B. deine Hände nehmen, dir etwas in die Hand drücken etc. Sie mag dich immer wieder dazu auffordern und wahrscheinlich auch selber die Aktivität ausführen, die sie von dir sehen möchte.
Die meisten neurotypischen Kinder würden entweder sofort oder spätestens wohl beim dritten Mal mitmachen.
Aber das autistische Gehirn kann sehr ... genervt auf sowas reagieren. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, doch schon damals empfand ich es als eine ... Beleidigung. Ich wollte es nicht tun. Ich musste es nicht tun. Ich wusste, dass ich es nicht wirklich tun muss. Also tat ich es nicht. Und (gedrohte) Konsequenzen halfen da auch nichts. Wir sind sehr stark mit unserer eigenen Autonomie verbunden. Das ist mir schon häufiger aufgefallen, dass neurotypische Menschen damit weniger Probleme zu haben scheinen.
Etc. pp. Und halt noch mehr. Ganz ehrlich? Ich wüsste selber auch gerne all die Unterschiede! Doch da nicht alle Autisten und auch nicht alle Neurotypisten gleich denken, wird das sehr schwierig.
Ein kleiner Tipp bezüglich der Recherche: Es ist empfehlenswert, im englischsprachigen Raum zu bleiben. Der ist keineswegs frei von Falschinformationen etc., aber mir ist über die letzten Jahre aufgefallen, dass dieser weitaus besser und generell mehr up to date ist, verglichen mit dem deutschsprachigen Raum. Generell ist das Navigieren der ganzen Informationen sehr schwer. Man muss quasi selber die Antwort auf das wissen, was man wissen möchte. Denn es gibt nicht wenige Seiten, die teilweise Korrektes und teilweise Inkorrektes schreiben - In ein und demselben Artikel. Aber da durchzublicken, als außenstehende Person, ist sehr schwer.