Welche Mercedes C-Klasse (W124, W201, W202) als alltagsauto, nicht Oldtimer?

2 Antworten

Kenne die 190er (W201) von Mercedes sehr gut, bin sie über etliche Jahre auch über längeren Zeitraum oft gefahren in verschiedenen Motorisierungen quer durch alle Baujahre und muss ganz objektiv sagen: Vom "perfekten Dailydriver" (als der er oft angeboten oder bezeichnet wird) ist der 190er heute sehr weit entfernt, da es sich bei diesem Modell um ein enges, kleines und relativ lautes Auto handelt, das durchweg recht unbefriedigend abgestimmte Motor-Getriebe-Kombinationen besitzt. Mich hat von den 190ern außer dem sehr ausgewogen motorisierten, aber seltenen 190E 2.3 mit 136 PS und Fünfgang-Handschaltung (1991-1993) fahrerisch keiner so richtig überzeugt, obwohl ich alte Mercedes eigentlich mag.

https://www.youtube.com/watch?v=jVm36qAlGbU

Der 190er war damals zwar als "Baby-Benz" ein Erfolg und technisch für die frühen 80er ein großer Wurf, ist aber konzeptionell fast 50 Jahre alt und so fährt er sich selbst dann, wenn es ein 1993er Baujahr mit guter Ausstattung, ABS und Airbag ist.

Ich versuche es mal so darzustellen: Ich fuhr bis 2022 sehr lang als Zweitbesitzer den Nachfolger (W202), der alles besser kann - der 190er ist wie gesagt eng, schmal und laut, da schlecht geräuschgedämmt (die Motoren sind an sich kultiviert); er fühlt sich im Vergleich zum W202 wie ein Kleinwagen an, war auch den damaligen Audi 80 und VW-Passat sowie diversen Japanern fahrerisch weit unterlegen. Schon damals gab es bei Licht besehen weitaus angenehmere Autos.

Einigermaßen empfehlenswert ist eigentlich nur der 190E 1.8 mit 109 PS, was aber auch daran liegt, dass fast alle heute erhältlichen 190er diesen (robusten) Motor aufweisen und man da am ehesten noch was Ordentliches zu einem halbwegs fairen Preis findet. Wer so was kauft, darf sich aber nicht an hakeligen Vier- und Fünfgang-Handschaltungen stören. Die Automatik ist etwas besser, der Verbrauch liegt im Schnitt bei neun bis zehn Litern auf 100 Kilometern (E5 Super). Das ist an sich in Ordnung, vor allem auf das Alter bezogen. Der 190E bzw. 190E 2.0 mit 118 bis 122 PS, um den es hier geht ist kaum schneller, braucht zwar nicht mehr Sprit, aber es lohnt sich nicht. Der zieht untenrum unwesentlich spritziger durch, aber nicht so, dass er schneller ist oder besser geht als der 190E 1.8 - es ist im Grunde auch die selbe Maschine. Ich bin auch schon den 190E 2.3 mit 136 PS gefahren; selbst der ist zwar ausgewogen und hat eine sehr gute Drehzahlkurve, aber das Auto an sich ist sehr träge. Der 190er fährt sich wie ein langes und schmales Kajak; sicher und durchaus kommod, aber auch langsam und behäbig, wozu die Kugelumlauflenkung beitrug - der W202 war mit der selben Lenkung viel behänder und spritziger selbst als Classic mit Serienfahrwerk; da konnte ich durchaus "sportlich" um die Kurven wieseln, der 190er konnte das nicht. Das Fahrverhalten des 190ers ist mild und schwammig, durchaus sicher, aber langweilig - wer den 202 kennt weiß, was ich meine.

Gerade der 190D mit 72 bis 75 PS ist ein extrem langsames Auto, viel zu schwach motorisiert für das hohe Eigengewicht - und mit Automatikgetriebe ist der kleine Diesel noch schlimmer. Er ist zwar zuverlässig und solide, aber träge und dafür am Ende auch zu durstig - Temperament ist nicht vorhanden. Der 190D 2.5 mit 90 bis 94 PS geht geringfügig besser, ist aber eigentlich auch ein sehr langsames Auto - und der 190D 2.5 Turbo mit 126 PS ist flotter, aber nicht mehr zu finden, den hat ja damals schon kaum einer gekauft, weil er so teuer war.

Ersatzteile liefert Mercedes dafür bis auf seltene Interieurteile noch ab Werk binnen 24 Stunden, sie sind preislich sehr im Rahmen. Selbst Lackfarben gibt es noch. Zur Steuer ist zu sagen: Viele 190er Benziner haben bereits einen Kaltlaufregler nachgerüstet bekommen, durch den sie Euro 2 erfüllen, aber der Diesel ist immer teuer.

Das Hauptthema ist, um darauf zurückzukommen, Rost in allen Baujahren und das überall und in extremen Ausmaßen, der 190er war und ist ein schlimmer Roster. Ab 1988 wird es besonders eklig, denn da rostet er gern unter den Saccobrettern jahrelang unbemerkt komplett durch und man sieht das Elend erst, wenn es ganz gering oberhalb der Bretter "pilzt". Dann kann man von ausgehen, dass das Blech unter der Tür komplett zerfressen ist und man die Tür wegwerfen kann - und der Rest des 190ers genauso durch ist -------> ich habe schon Exemplare gesehen, wo das Blech unter den abgenommenen Brettern zu 80 Prozent weggerostet war. Oft musste nach rund zehn Jahren schon geschweißt werden, der Audi 80/90, der Passat und die BMWs sind hier deutlich besser.

Das teurere Auto ist nicht automatisch besser, es wird viel Schrott zu Höchstpreisen inseriert, um ahnungsloser Hipster abzuzocken, die einen "kultigen alten Benzer" haben wollen. Kleiner Tipp: Sobald Formulierungen wie "Liebhaberstück", "Sammlerzustand", "es gibt nicht mehr viele" oder "einer der Letzten in diesem Zustand" usw. verwendet werden oder das Wort "Kenner" in irgendeinem Zusammenhang verwendet wird, sollte man einen weiten Bogen drum machen, dann ist es in der Regel überteuerter Mist. Wenn bestimmte Farben als "sehr sehr selten" usw. bezeichnet werden, zeichnen sie sich dadurch aus, dass es sie sehr häufig gegeben hat - wirklich rare Farben wie Beryll-Metallic, Nutria-Metallic, Rosenholz-Metallic oder freakige frühe Töne wie Weizengelb oder Hellocker fallen optisch schon genug aus der Reihe und echte "Kenner" (!) wissen genau, was es damit auf sich hat.

An sich würde ich vom Kauf eines 190ers doch eher abraten und einen frühen C180 W202 suchen. Der ist in jeder Hinsicht besser, hat aber noch sehr viel uriges Mercedes-Flair der 70er und 80er in sich, dafür mindestens einen Airbag und ABS; er ist sparsamer, eher zu finden und man bekommt überwiegend ehrliche Autos, weil der W202 trotz seines Alters kein "Klassiker" ist bzw. kein Auto, mit dem die Leute meinen, Kiddies abzocken zu können. Und der 202 taugt als Alltagsauto immer noch sehr gut und kann was - eigentlich kann man nur den W202 empfehlen.

https://www.youtube.com/watch?v=qK2STCCIwO4

Der 124er ist mit dem 190er vergleichbar und heute eigentlich auch nicht mehr zu empfehlen. Das kann man meiner Ansicht nach nur dann machen, wenn man einen der Letzten bzw. die Mopf 2 (Baujahre 1993) kriegt, ein E200 oder E220 ist gut, aber man muss wissen, dass das ein mindestens 29 Jahre altes Auto ist und Rost auch hier ein Dauerthema ist - teuer sind die Dinger in der Regel auch, weil sie trotz aller Schwachstellen als "letzter echter Benz" hofiert werden. Fahrerisch war der 124er allenfalls Durchschnitt, der Audi 100 C3/C4 und die Fünfer-BMWs waren besser.

Für 3.000 Euro ist ein sehr schöner C180 W202 aus erster Hand drin, der noch viel vor sich hat, beim 124er müsste man das Doppelte in die Hand nehmen, wenn man nicht Glück hat und an jemanden gerät, der einen fairen bzw. nicht überzogenen Preis will und der 190er disqualifiziert sich ohnehin durch seine unzeitgemäßen Nachteile.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Tuedelsen  08.06.2025, 20:02

...sehr ausführliche und kompetente Antwort! ​👍​👍​👍​

hachri  08.06.2025, 19:13

Ein Freund von mir fährt einen 190D BJ 1986 als Alltagsauto (Pendeln) und es gibt keine Art sich günstiger fortzubewegen. Es wäre jedoch nicht ganz meins - bin das Auto auch schon gefahren.

rotesand  08.06.2025, 19:20
@hachri

Das stimmt, aber der 190er war damals schon nicht das beste Angebot seiner Klasse und fahrerisch wie der 124er allenfalls Durchschnitt. Sitzposition, Komfort, Bedienbarkeit und Platzangebot waren vor allem ab Erscheinen des vollverzinkten Audi 80 kaum mehr konkurrenzfähig.

Der 190er lebte von spießigen Rentnern und "ehrbaren kleinen Arbeitern", die sich einen Jahreswagen ohne große Extras gönnten und sich daraus was einbildeten nach dem Motto "mir sind ja anständige Leut, weil mir fahrn an Mercedes, net". Ich habe diese Zeit live miterlebt und viele Kunden mit ihren absurden Argumenten für dieses Auto auch. Ohne diese sehr treue Kundschaft, der Mercedes selbst einen Ochsenkarren mit Stern erfolgreich hätte anbieten können, wäre die Baureihe nicht so erfolgreich gewesen, weil sie schlicht zu viele objektive Nachteile hatte.

S7Lsjs 
Beitragsersteller
 08.06.2025, 19:03

Vielen lieben Dank erstmal.

Ich kaufe mir einen W202 👍

Haben sie da irgendwelche Tipps ? Also ich hatte dem C180 Schalter im Visier

rotesand  08.06.2025, 19:05
@S7Lsjs

Der C180 ist sehr zuverlässig, das ist der gute M111 Motor. Er ist mit das Beste, was Mercedes motorenseitig gebaut hat - er ist sparsam, kraftvoll, für einen Vierzylinder extrem laufruhig, hat eine robuste Steuerkette und wenig Elektronik - der hält normalerweise ewig und überlebt meist die Karosserie.

Die Handschaltung ist aber gewöhnungsbedürftig. Die Gänge rasten unsauber ein, die Führung ist recht schwammig, die Übersetzung unpassend - man hat bei einem M111 bzw. C180 mit fünf Gängen immer das Gefühl, im falschen Gang zu fahren. Mal brummt er im Stadtverkehr untertourig rum, dann singt er auf der Landstraße bei 120 so sehr, dass man sich einen sechsten Gang wünscht und merkt, es gibt (meist) keinen: Sechs Gänge im W202 gab es ab 2000, das war deutlich angenehmer zu fahren.

Ich habe mich damals für die Automatik mit fünf Gängen entschieden, weil ich die Probefahrt mit der Handschaltung nicht für vollauf überzeugend hielt. Vor dem C180 fuhr ich einen Ford Mondeo mit Handschaltung, der sich deutlich präziser, exakter und bei besserer Übersetzung schalten ließ.

Mercedes der 80er und 90er rosten zwar IMMER, aber wenn er jetzt noch gut dasteht, ist er in zwei Jahren zumindest noch so solide, dass er nicht durchgerostet ist. Zu den Roststellen ist alles gesagt. Ansonsten wird technisch wenig passieren.

Eifel2024  09.06.2025, 00:05
@S7Lsjs

Würde nach Möglichkeit ein T-Modell nehmen, ist zum transportieren praktischer.

Ich hatte einen C180 T Kompressor Automatik aus 2003. Gekauft mit 135.000km, verkauft mit 298.000km. Ohne mechanische Mängel. Die Automatik schaltete auf Neuwagen-Niveau: butterweich. Untertourig gefahren, lag der Verbrauch, gemessen über fast 40.000km bei knapp über 6 Liter. Nur mit schwerem Anhänger wurde er zur Saufziege, aber normal für einen Benziner. Höllisch schnell für 143PS, sportliche Straßenlage.

Ich würde so ein Fahrzeug sofort wieder kaufen, allerdings gibt es einen nicht übersehbaren Mangel: Rost! Beide Türen durchgerostet, Ersatz jedoch preiswert vom Gebrauchtteilemarkt. Türen, Radläufe, Schweller, da nistet der Rost.

Wenn du einen bekommst ohne sichtbare Anfänge, zuschlagen.