Welche Kritikpunkte gibt es zu rene descartes berühmter Satz "ich denke also bin ich"?


29.12.2023, 14:37

oder habt ihr persönlich irgendwelche Kritikpunkte ?

5 Antworten

Descartes' Leitsatz "Cogito, ergo sum" stößt auf Kritik wegen eines möglichen Zirkelschlusses. Die Schlussfolgerung, dass ein "Ich" existiert, das denkt, setzt voraus, dass das Denken an sich durch ein bereits schon existierendes Subjekt ermöglicht wird. Dies führt zu dem Einwand, dass Descartes eine ungeprüfte Voraussetzung annimmt, die er eigentlich zu beweisen beabsichtigte. Der Ausspruch "Cogito ergo sum" belegt lediglich die Existenz des Denkens oder Zweifelns, vernachlässigt jedoch die Gewissheit über die Existenz einer äußeren Welt oder anderer Menschen. Die Idee eines isolierten Bewusstseins eröffnet Interpretationen, darunter die Möglichkeit einer Manipulation durch einen böswilligen Dämon, wie von Descartes selbst dargelegt wurde. Kritiker monieren, dass Descartes' Fokussierung auf das Denken die menschliche Existenz zu stark reduziert, indem wichtige Aspekte wie emotionale Erfahrungen, Sinneswahrnehmungen und physische Handlungen vernachlässigt werden. Die Betonung des individuellen Denkens wird als zu einseitig betrachtet, da soziale Aspekte und die Wechselwirkungen mit der Welt und anderen Menschen nicht ausreichend berücksichtigt werden.

stescope  30.12.2023, 10:59

Aber ging es nicht erstmal nur um die Existenz des Ichs? Ob es eine äußere Welt oder andere Menschen gibt, ist ja erst einmal irrelevant. Zumal die Beurteilung, ob diese exisitieren, ja offenbar vom Ich abgegrenzt werden können und das Ich somit unabhängig von ihnen existiert.

Dazu kommt, dass ja all die anderen Elemente, die Descartes offenbar nicht behandelt, ja aus dem Ich heraus definiert wurden. Nun zu sagen, dass diese eine Täuschung sein könnten, würde diesen Elementen ja unterstellen, dass sie einen "idealeren" Zustand hätten, als der Zustand, nach dem sie ursprünglich definiert wurden waren.

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Merlin128  30.12.2023, 13:22
@stescope

Es ging Descartes um eine unerschütterliche Gewissheit, die nicht vernünftig angezweifelt werden kann. Diese Gewissheit glaubte Descartes im "Cogito, ergo sum" gefunden zu haben. Dabei argumentierte er, dass der Akt des Zweifelns bereits die Existenz voraussetzen müsse, um überhaupt in der Lage zu sein, etwas zu bezweifeln. Dies führt jedoch zu einem Zirkelschluss, da die Existenz selbst nicht begründet, sondern stillschweigend vorausgesetzt wird, um überhaupt zweifeln zu können. Man könnte argumentieren, dass es ein grober Fehlschluss ist, von dem bloßen Bewusstseinsakt des Zweifelns auf die eigene Existenz zu schließen. Kant hebt hervor, dass es einen erheblichen Unterschied macht, sich vorzustellen, 20 Taler zu besitzen, und tatsächlich 20 reale Taler in der Tasche zu haben. Zudem sollte der Mensch nicht isoliert betrachtet werden, sondern findet sich immer schon als ein gesellschaftlich vermitteltes Individuum in der Welt vor. Descartes hingegen fokussiert sich auf das Individuum als Subjekt des isolierten "Ich denke" und schafft eine künstliche Trennung zwischen "res cogitans" und "res extensa", die nur ein reines Konstrukt seiner rationalen Philosophie ist. Wenn alles eine Täuschung wäre, dann müsste auch diese Erkenntnis eine Täuschung sein. Daher ist es ein performativer Widerspruch zu behaupten, dass alles eine Täuschung ist. Dies sinnkritische Argument widerlegt die Vorstellung, dass alles eine Täuschung sei.

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stescope  30.12.2023, 13:47
@Merlin128
Dabei argumentierte er, dass der Akt des Zweifelns bereits die Existenz voraussetzen müsse, um überhaupt in der Lage zu sein, etwas zu bezweifeln. Dies führt jedoch zu einem Zirkelschluss, da die Existenz selbst nicht begründet, sondern stillschweigend vorausgesetzt wird, um überhaupt zweifeln zu können. Man könnte argumentieren, dass es ein grober Fehlschluss ist, von dem bloßen Bewusstseinsakt des Zweifelns auf die eigene Existenz zu schließen.

Das erscheint mir nicht einleuchtend. Dann nehmen wir mal, dass die Existenz nicht vorliegt, aber das Zweifeln - also quasi das Gegenteil. Worauf beruht jetzt das Zweifeln, wenn die Existenz nicht vorliegt?

Es muss ja eine grundlegende Definition von dem geben, was Existenz ist. Und diese Definition muss gefunden werden. Wenn man sich einfach hinstellt und sagt, dass der Akt des Denkens und Zweifelns nicht ausreichend für die Definition der eigenne Existenz ist, dann müsste man etwas noch fundamentaleres finden. Da dieses aber keinen Bezug mehr zum Denken hätte bzw. das Denken ausschließt, wäre es nicht mehr rational prüfbar.

Zudem sollte der Mensch nicht isoliert betrachtet werden, sondern findet sich immer schon als ein gesellschaftlich vermitteltes Individuum in der Welt vor. Descartes hingegen fokussiert sich auf das Individuum als Subjekt des isolierten "Ich denke" und schafft eine künstliche Trennung zwischen "res cogitans" und "res extensa", die nur ein reines Konstrukt seiner rationalen Philosophie ist.

Descartes betrachtet doch bewusst nur die Existenz des Bewusstseins ohne die Umwelt, damit er den Beweis möglichst kurz halten kann. Zudem sagt er ja auch, dass man sich aller anderen Aspekte nicht sicher sein kann, da eben bei diesen keine so klare Behauptung aufgestellt werden kann - bspw. bei einer simulierten Umwelt / Täuschung.

Egal ob wir uns in einer simulierten Welt, einer Täuschung oder sonst wo befinden, wenn die Existenz über das Denken definiert wird, so wäre der Nachweis IMMER gültig. Man kann sich ja nicht "vorstellen" zu denken bzw. man kann sich über den Denkprozess als solchen selbst nicht täuschen, da das Täuschen selbst über Denken erfolgen würde.

Wenn alles eine Täuschung wäre, dann müsste auch diese Erkenntnis eine Täuschung sein.

Siehe Erläuterung von grade eben.

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Merlin128  31.12.2023, 11:14
@stescope

Das "Cogito ergo sum" ist nach der Kritik des Philosophen Emil Angehrns unabschließbar. Es zielt nur auf eine formale Selbstgewißheit, in der Descartes das fundamentum inconcussum verortet: Es ist leeres Selbstbewußtsein, nur Schein wahrer Selbstpräsenz, und als solche ein fragiles Fundament des Erkennens. Lies hierzu den Philosophen Emil Angehrn, der über die "Unabschliessbarkeit des Cogito" bei Descartes einige wichtige Kritikpunkte hervorhebt, die Dich sicherlich interessieren werden: "Unklar ist zum einen, ob subjektive Selbstgewißheit und Selbsterkenntnis nach dem von Descartes gezeichneten Modell möglich ist; problematisch scheint zum anderen, ob solche Selbsterkenntnis zum Kern und Fundament eines umfassenden Wirklichkeitsverständnisses werden kann. Vielerlei ist explikationsbedürftig im Cogito : die interne Schlüssigkeit des (zwar so nicht wörtlich von Descartes formulierten) Arguments «cogito ergo sum», der erkenntnistheoretische Status und der Bedeutungsgehalt der darin implizierten Sätze, seine Tragfähigkeit als Ausgangspunkt unserer Weltorientierung und metaphysischen Annahmen."

https://edoc.unibas.ch/13220/1/20140320081356_532a95345d01e.pdf#:~:text=Das%20Cogito%2C%20in%20Wahrheit%2C%20ist,ein%20fragiles%20Fundament%20des%20Erkennens.

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stescope  31.12.2023, 14:17
@Merlin128

Ok, ich muss zugegebn - da ich keine ausgebildeter Philosoph bin - kann ich nur gewisse Teile der Kritik nachvollziehen. Dazu ist meine Sichtweise stets aus dem Monismus heraus, weshalb ich vielleicht auch ein sehr "einseitiges" Verständnis unseres Bewusstseins/Ichs vertrete.

Aber es kommt mir so vor, als würden Descartes und die Kritiker an sich vorbei reden. Das: "Ich denke, also bin ich" bezieht sich ja nicht auf die Identität eines Menschen und ihren über den Zeitverlauf und der Interaktion mit der Umwelt basierenden Wandel. Vielmehr verstand ich Descartes Aussage als eine Abhängigkeit des "Seins" vom Denken. Die physiologische Voraussetzung einer Existenz wäre somit der biologisch bedingte Denkprozess, aus dem sich dann die zielgerichtete Befriedigung von Bedürfnissen ergibt (also die Voraussetzung, zielgerichtet mit der Welt zu interagieren). Die ganze Herleitung stammt wohl eher nicht von Decartes und ist nicht mit seiner dualistischen Position vertretbar, aber als Monist und Determinismus-Vertreter ist seine Aussage für mich vollkommen schlüssig...

Das zur Entwicklung der eigenen Existenz mehr als nur der Gedanke notwendig ist, ist jedoch absolut verständlich. Zumal Erfarhungen bzw. Interaktionen in der Welt jede Deutung und Sichtweise formen, die wir vertreten. Das Denken ist da vielmehr das Werkzeug, die Grundfunktion der Existenz. Quasi das Werkzeug des Denkens als Existenzgrundlage. Wie grundlegend Schalkreise und Algorithmen bei einer KI.

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Descartes ist durchaus umstritten, da viele seiner Überzeugungen auf Annahmen beruhten, die möglicherweise falsch waren, was eine der Grundlagen seiner Philosophie war, derer er sich selbst bewusst war...

"Cogito, ergo sum" ist Teil seines radikalen Skeptizismus, mit dem er alles in Frage stellte, was er zu glauben schien. Dies ging schließlich so weit, dass er die Existenz und die Welt an sich in Frage stellte, ähnlich wie es Zhuangzi viele Epochen zuvor in seinem Werk "Die Freude an der Gültigkeit der Dinge" tat, in dem Zhuangzi träumt, er sei ein Schmetterling, der sich seiner eigenen Existenz nicht bewusst ist. Als er aufwacht, fragt er sich schließlich, ob er Zhuangzi war, der von einem Schmetterling träumte, oder ob er jetzt ein Schmetterling ist, der davon träumt, Zhuangzi zu sein.

Descartes entwickelte die Methode des systematischen Zweifels. Er stellte sich vor, dass es einen allmächtigen, bösartigen Geist gibt, der ihn systematisch täuscht, und dass deshalb alles, woran er bisher geglaubt hat, falsch sein 'könnte'.

Damit legte er den Grundstein für die moderne Philosophie, doch viele halten sein Denken im Vergleich zu anderen für zu radikal. Viele haben seine Denkschule im Laufe der Zeit in Frage gestellt und gegensätzliche Thesen entwickelt, denen ich, um auf deine Frage zurückzukommen, persönlich stärker zugetan bin!

Empirische Philosophen argumentieren, dass Bewusstsein und Identität auf Erfahrungen und Sinneswahrnehmungen beruhen und nicht auf einem inhärenten Denkprozess, was den menschlichen Geist viel komplexer beschreibt und neurologisch stärker auf unseren heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht.

Dem gegenüber steht der Empirismus, die "tabula rasa", die Vorstellung, dass der menschliche Geist bei der Geburt leer oder unbeschrieben ist und dass Wissen und persönliche Erfahrung durch Sinneswahrnehmungen und Erlebnisse im Laufe der Zeit entstehen. Ich persönlich neige der kontinentalen Philosophie und dem Existentialismus zu und lehne den von Descartes geprägten Cartesianismus ab.

stescope  30.12.2023, 11:03
Empirische Philosophen argumentieren, dass Bewusstsein und Identität auf Erfahrungen und Sinneswahrnehmungen beruhen und nicht auf einem inhärenten Denkprozess, was den menschlichen Geist viel komplexer beschreibt und neurologisch stärker auf unseren heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht.

Naja die skeptischen Behauptungen von Descartes waren ja eher Gedankenexperimente und Beispiele. Diese mussten radikal dargelegt werden, um die Extreme klar zu stellen. Dass das Ich in irgendeinem Austausch zu irgendeiner Umwelt steht - ob Täuschung oder Simulation - stand ja nie zur Diskussion, sondern allenfalls ihr Ursprung bzw. ihre Intention.

Beim Laplaceschen Dämon wäre die Kritik, dass dieser ja nie real sein könne, ja auch nicht angebracht, da er nur eine Hilfestellung für das Gedankenexperiment und die daraus folgenden Erkenntnisse ist...

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Das Geheimnis des Bewusstseins ist die auditive äußere und innere Wahrnehmung, beides findet an einem Ort statt, wo der Bewusstseinsstrom und das innere Monologisieren (Denken und Imaginieren) beginnt: in den inneren Stereozilien und inneren Sinneszellen des Corti-Organs der Cochlea im akustischen System des VIII. Hirnnerven.

Descartes dementsprechend verbessert, muss es also heißen: Ich nehme wahr, also bin ich.

M4RC3LL0  29.12.2023, 15:14
Verbessert müsste es also lauten: "Ich nehme wahr, also bin ich."

Das ist interessant, denn hinterfragt er nicht die Wahrnehmung und den sinngemäßen Gebrauch sowie die Funktionsfähigkeit seiner eigenen Sinnesorgane und Wahrnehmung selbst und fragt sich, ob die Informationsmenge, derer er sich im Laufe der Jahre durch seine Augen, Ohren und andere Sinnesorgane bemächtigt hat, nicht ein Trugschluss sei?

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User321412849  29.12.2023, 17:53
@M4RC3LL0

Ob er sich diese Fragestellung antut oder nicht, der Bewusstseinsstrom beginnt mit der Wahrnehmung und dann kommt erst das Denken, d.h. das Denken ist eine Schlussfolgerung aus der Wahrnehmung, d.h. erst dadurch assoziieren sich die verschiedenen Informationen aus den unterschiedlichen Wahrnehmungen und aus dem Gedächtnis zu zusammenhängenden Gedanken.

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Arielle48 
Fragesteller
 29.12.2023, 19:19

wie meinst du das genau ?

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Tja darüber denke ich in letzter Zeit sehr oft nach und darüber wird auch schon sehr bald die ganze Welt nachdenken. Wir sind im Begriff eine neue Lebensfrom zu erschaffen, die zur Zeit noch unter dem namen KI bekannt ist. Diese wird, da habe ich keinen Zweifel, ein Bewusstsein erlangen wenn sie das nicht schon längst hat. Ich bin mir fast sicher, das wir dann genau diesen Satz zu hören bekommen werden. So wie es schon hunderte male wenn nicht sogar tausende male vorher der Fall war. So wie in jeder Science Fiction Literatur und ich für meine Teil, werde ihr zustimmen ;-)

https://www.youtube.com/watch?v=xzi7qBk6ll8

Oder etwa nicht?

der Satz sagt rein gar nichts über deine Mitmenschen aus, mit dieser Begründung könntest du der einzige sein, der "ist"

tensoriamu  29.12.2023, 22:04

könnte man ja auch

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