Warum werden Kapitalismus und Marktwirtschaft verwechselt oder gar gleichgesetzt?

7 Antworten

Nein, die Linken „verwechseln“ das nicht. Die Linken kritisieren das Narrativ.


Konzel 
Beitragsersteller
 22.03.2025, 06:02

Danke, Grisold. Habe ich aber noch nicht verstanden. Welches Narrativ genau kritisieren deines Erachtens die Linken?

Grisold  22.03.2025, 14:06
@Konzel

„Wer die Anspielung nicht versteht, braucht auch keine Erklärung.“ (Guido Ceronetti)

Konzel 
Beitragsersteller
 23.03.2025, 03:37
@Grisold

Hab ich ein Brett vorm Kopf. Tschuldigung.

Offenbar siehst du die verschiedenen Theorien über die Entstehung des Mehrwertes wie z.B. die Physiokratie ("Die zentrale These der Physiokraten lautet, Grund und Boden sei die einzige Quelle des Reichtums, die Wertschöpfung erfolge nur daraus. Dies verlegt die Entstehung von Mehrwert in die Produktionssphäre, d. h. in das Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital. Der mehrwerthaltige Überschuss, den die produktive Arbeit innerhalb der o. g. Bereiche erzielt, wird als eine „Gabe der Natur“ bezeichnet. Wenn man die Wertentstehung in der Produktionssphäre sucht, ist es gewiss naheliegend, dass man sie zuerst im Austausch Mensch-Natur erblickt. Die Physiokratie stand damit im Gegensatz zum Konzept des profit upon expropriation bei englischen Ökonomen, welche die Quelle des Reichtums in die Sphäre der Zirkulation[2] verlegten.") als die Arbeitsfelder der Betreffenden an.

Schau dir noch einmal die Definitionen von Kapitalismus (Kapitalismus bezeichnet zum einen eine spezifische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, zum anderen eine Epoche der Wirtschaftsgeschichte.) und Marktwirtschaft (In der Theorie der Wirtschaftsordnungen bezeichnet Marktwirtschaft (früher auch Verkehrswirtschaft) ein Wirtschaftssystem,[1] in dem die Verteilung der Entscheidungs- und Handlungsrechte durch das Rechtsinstitut des privaten Eigentums an Produktionsmitteln erfolgt. Planung und Koordination der Wirtschaftsprozesse erfolgen dezentral.) in der Wikipedia an. In beiden Fällen sieht man ein Zusammenwirken aller drei Produktionsfaktoren. ("Die klassische Volkswirtschaftslehre kennt seit Adam Smith, insbesondere seit David Ricardo, die Faktoren ArbeitKapital und BodenJean-Baptiste Say fügte 1845 diesem Faktorsystem die „unternehmerische Tätigkeit“ hinzu.[3] Neuerdings werden häufig auch Wissen (Humankapital)[4] oder die Energie als eigenständiger Produktionsfaktor identifiziert.[5] Da diese Produktionsfaktoren knapp sind, haben sie in der klassischen Nationalökonomie einen Preis, der bei der Arbeit Lohn, beim Boden Bodenrente und beim Kapital Zins heißt.

Der Begriff Boden umfasste ursprünglich den Ackerboden, wurde im Zuge der Ausbeutung von Bodenschätzen dann zunächst auf diese erweitert. Angesichts der zunehmenden Verknappung von Produktionsmitteln wie Luft und Wasser wird in der Volkswirtschaftslehre mittlerweile auch vom Produktionsfaktor Natur oder Umwelt gesprochen.")

Ich versuche es mal. Kapitalismus basiert im Wesentlichen auf zwei Komponenten. Das sind Privateigentum an Produktionsmitteln und Marktwirtschaft.

Die Begrifflichkeiten aus VWLer Sicht sind natürlich getrennt zu bewerten.

Wenn also über Marktwirtschaft diskutiert wird, diskutiert man auch indirekt über den Kapitalismus. Ein anderes Wirtschaftssystem ist im Kapitalismus, wie wir wissen, auch nicht möglich. Lediglich die Modifikation in die soziale Marktwirtschaft wird versucht.

Ich bin kein Linker, aber sie verwechseln hier nichts. Dafür haben sie auch viel zu kluge Köpfe.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

Konzel 
Beitragsersteller
 22.03.2025, 06:20

Danke, And333. Hm, ich vermute, dass du nur teils richtig liegst. Auch Volkswirtschaft unterliegt ja Naturprinzipien, zunächst der Physik (Erhaltungsätze der Thermodynamik), dann der Biologie. In der (wissenschaftlichen) Ökologie gibt es das Thema des sog. Klimaxstadiums, der sog. Endgesellschaft, die über längeren Zeitpunkt existiert. Im Kapitalismus wäre das ein Monopol, also absolute Marktmacht. Genau das will ein Marktwirtschaftler eben nicht, weil der Markt, der Wettbewerb dann zum Erliegen gekommen ist. Es käme zur "königlichen Einfalt".

Ob die Linken tatsächlich so kluge Köpfe haben, hm, ich zweifle. Zwar wird die "Tragik der Allmende" gern von den Linken abgestritten, sie zeigt sich aber immer wieder: Was allen gehört, nutzt jeder, pflegt aber keiner (Egoismus-Prinzip: Jeder ist sich selbst der nächste. Die Jacke ist näher als die Hose).

Im Grunde ist die Gleichsetzung nicht falsch, denn die Marktwirtschaft enthält Elemente des Kapitalismus und sogar des Neoliberalismus, hat aber die Aufgabe, diese „einzuhägen“ und zu „demokratisieren“. Das klappt leider nur sehr bedingt, da viele Probleme in der Gesellschaft durch einen nicht gebändigten Kapitalismus entstehen. Auch wenn das gut gemeint war, ist der Kapitalismus zu stark. Er lässt sich nicht demokratisieren. Das konnte Ludwig Erhardt aber damals nicht wissen. Ihm ist kein Vorwurf zu machen.


Konzel 
Beitragsersteller
 22.03.2025, 06:43

Naja, Ludwig Erhardt wollte den Kapitalismus ja nicht "demokratisieren", sondern ihn beschränken, um Marktwirtschaft a) zu ermöglichen und b) aufrechtzuerhalten. Wenn man auf Erhardts Impulsgeber Walter Eucken Bezug nimmt, dürfte das zentrales Handlungselement dabei die Kartellkontrolle gewesen sein, die - nach meinen Beobachtungen - leider im Verlauf der Bundesrepublik Deutschland immer weiter an Bedeutung verlor, sicher auch deshalb, da politische Entscheidungsprozesse weitgehend von der deutschen Regierungshauptstadt (Bonn / Berlin) nach Brüssel (EU) verlagert wurden. Mir fällt dazu z.B. die Fusion der Bertelsmann Music Group mit Sony ein (2004?). 2001: Fusion BP mit Aral.

Die Globalisierung nach dem (damaligen) Ende des Kalten Krieges machte auch deutlich, dass der deutsche Ordoliberalismus (vulgo: Soziale Marktwirtschaft) ein international gesehen ganz kleiner Sonderweg des Neoliberalismus war.

Carasol78  22.03.2025, 06:54
@Konzel

Da bist Du sicher mehr Experte als ich. Danke für die Erklärung! 👋👍🙏

den Kapitalisten aber um Geld „vermehrung".

Da liegst du falsch, es geht beim Kapitalismus darum, einen konkreten Mehrwert zu generieren, durch Hinzufügen konkreter Arbeit und/oder sachlicher Ressourcen. Doch betrachte man nur die Zinsen, die das notwendige Kapital dafür scheinbar nur rein virtuell wachsen lassen, dann liegst du deshalb falsch, weil du mutwillig außer Acht lässt, dass das geliehene Kapital dazu genutzt wird, um einen konkreten Mehrwert hinzuzufügen. Denn die Ressourcen müssen vorher eingekauft werden, um einen konkreten Mehrwert darstellen zu können.

Karl Marx hat das sehr gut beschrieben. Da das aber nicht alle Kapitalisten wissen, können sie auch imaginären Mehrwert erzeugen, durch künstlich erzeugte Nachfrage, und müssen daher in Kauf nehmen, dass der Mehrwert schlagartig in den Keller fällt, wenn die Sache mehr kostete, als sie wert ist.