Warum konnte der Geisterzug von Spiez 2006 nicht mehr Bremsen?

4 Antworten

Eine Grundregel im Bahnverkehr lautet: Prüfe - Stelle - Prüfe

Zum Bremssystem: Es wird eine durchgehende Bremsleitung hergestellt, um durch Senken des Leitungsdrucks, die Bremsbacken von den Druckbehältern der Wagen an die Räder zu drücken. Erst einmal steht also das ganze System bei voll verbundener Bremsleitung unter Druck. Schließe ich jetzt beidseitig die Bremshähne an einem Wagen, bleibt der Druck erhalten. Das ist auch sinnvoll, da damit der Wagen rangiert werden kann.

Das erfordert aber, dass beim Zusammenstellen eines Zuges alle Bremshähne (nach Verbinden der Leitungen) auch wieder geöffnet werden. Was natürlich ein Risiko darstellt. Damit dieses Risiko möglichst ausgeschlossen wird, ist jedes Mal beim Zusammenstellen eines Zuges eine Bremsprobe durchzuführen. Zumindest die "kleine Bremsprobe", wo am Ende des Zuges das Anlegen und Lösen der Bremsbacken am letzten Wagen geprüft wird. Damit ist sichergestellt, dass die Bremsleitung durchgehend verbunden ist.

Bei Rangierfahrten entfällt diese Bremsprobe, aber: Rangierfahrten sind nur in der jeweiligen Bahnhofbetriebsordnung vorgesehenen Bereichen erlaubt, erreichen nur 30 km/h und die Bereiche sollten durch Schutzweichen abgeschlossen sein (sind sie sehr oft nicht).

Der Unglückszug wurde gekuppelt und es wurde eine Bremsprobe versucht. Vermutlich hat, als die Bremse nicht anlegte, eine Person lokal die Leitung entlüftet, was zu einem Scheinerfolg der Probe führte. Die Ursache für das Problem bei der Bremsprobe wurde nicht analysiert, eine Bremsprobe wurde nicht wiederholt. Das haben die drei beteiligten Personen mit dem Leben bezahlt.

Woher ich das weiß:Hobby
saxboy 
Fragesteller
 13.10.2022, 09:39

Achso ist das. Wurde der Hahnen nicht geöffnet. Warum wird das Elektronisch nicht überwacht und der Zug kann nicht abfahren, wenn die Hähnen geschlossen sind?

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MacMadB  13.10.2022, 09:51
@saxboy

Es gibt verschiedene Bremssysteme, eines ist die EP-Bremse: Elektropneumatisch. Hier wird die Bremsstellung an die Wagen bereits elektronisch übermittelt, bevor der Bremsdruckabfall im Wagen ankommt, und lokal entlüftet. Dieses System ist teuer und wird nur bei schnellen Personenzügen angewendet.

Eine elektronische Überwachung der Bremshebel wäre nicht nur auch teuer, sondern setzt ja auch eine Verbindung voraus. Warum nicht also die Bremsprobe richtig ausführen? Was ansonsten passieren kann, konnte hier gelernt werden.

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saxboy 
Fragesteller
 13.10.2022, 11:33
@MacMadB

ah ok, vielen Dank für die grosszügige Auskunft 😊👍

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Wie war das noch bei den Rangierbahnhöfen? Da können Wagen auch solo über den Ablaufberg rollen ...

Richtig, die Bremsen werden für gewöhnlich durch die Druckluft gelöst. Aber: Man kann auch den Absperrhahn der Druckluft schließen, solange noch Druck im System ist, das ist - siehe Ablaufberg - teilweise sogar betrieblich notwendig, damit hat man dieses Sicherheitsmerkmal dann umgangen.

Technisch ist es als Folge einer Fehlbedienung also sehr wohl möglich, was genau passiert ist, ist mir aber nicht bekannt.

saxboy 
Fragesteller
 13.10.2022, 09:37

Das könnte der Fall sein, dass der Hahnen nicht geöffnet wurde.

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Die Untersuchungsbehörde stellte fest, dass die Absperrhähne der Hauptluftleitung zwischen Schienentraktor und erstem Wagen geschlossen waren. Dadurch waren die angehängten Wagen ungebremst, was das ungenügende Bremsvermögen des Zuges erklärt. Die Behörde nahm an, dass die Bremsprobe nur durch eine Person durchgeführt wurde. Wer die nach dem Rangiermanöver in Frutigen notwendige Bremsprobe vorgenommen hatte, konnte nach dem Unfall nicht mehr festgestellt werden. Offenbar hatten sich bei der Durchführung der Bremsprobe Probleme ergeben, die auf unsachgemässe Art durch manuelle Bremsauslösung der Wagen behoben wurden. Auf eine Wiederholung der Bremsprobe wurde verzichtet.

Quelle:

https://de.wikipedia.org/wiki/Eisenbahnunfall_von_D%C3%BCrrenast#Resultate_der_Unfalluntersuchung

saxboy 
Fragesteller
 13.10.2022, 09:40

Aber warum werden die Absperrhähne nicht elektronisch überwacht und das Abfahren verhindert, wenn die Hähnen nicht offen sind?

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ultrarunner  13.10.2022, 10:13
@saxboy

Weil dazu sämtliche Fahrzeuge mit entsprechenden elektronischen Systemen ausgestattet werden müssten, die angeschafft, eingebaut und gewartet werden müssten. Und die müssten auch noch international kompatibel sein.

Sowas ist bei einem derart international vernetzten System wie der Bahn (mit je nach Land unterschiedlichen Vorschriften) kaum machbar. Selbst im Personenverkehr ist nicht alles mit jedem kompatibel (oder zumindest nur "halbwegs"). Im Güterverkehr wäre das noch viel schwieriger, zumal man bedenken muss, dass Güterwagen normalerweise überhaupt keine Elektrik bzw. Elektronik haben, ja nicht einmal Stromleitungen zur Durchleitung an weitere Waggons.

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saxboy 
Fragesteller
 13.10.2022, 10:24
@ultrarunner

Achso. Ich arbeite als Maschineninegnieur und bei unseren Anlagen wäre so etwas Sicherheitstechnisch vorgeschrieben. Wir dürften so etwas gar nicht verkaufen.

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ultrarunner  13.10.2022, 10:36
@saxboy

Irgendwann wird sowas sicherlich kommen. Aber man sieht ja, wie lange neue Systeme bei der Bahn zur Einführung benötigen.

Beispiel: Das neue europaweit einheitliche Zugsicherungssystem ETCS, das langsam die national unterschiedlichen Systeme abzulösen beginnt.

Die Entwicklung startete im Jahr 1990, und erst 2030 wird in Deutschland ein Großteil der Strecken damit ausgestattet sein.

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saxboy 
Fragesteller
 13.10.2022, 11:01
@ultrarunner

Vielen Dank für die grosszügige Auskunft

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guru61  13.10.2022, 11:14
@saxboy

Wel man genau für das eine Bremsprobe machen muss.

Die Bremsprobe (lokifahrer.ch)

Inklusive eine Bremsprobe auf Wirkung nach der Abfahrt.

Leider wurde die nicht korrekt gemacht und sogar sträflich vernachlässigt, mit dem Melken der Wagen: Ich war 20 Jaher als Heizer auf einer Bahn mit starken Gefällen unterwegs und hätte eine Bermdprobe, bei der gemolken wurde, nicht akzeptiert und die Wiederholung verlangt. Hätte das der Lokführer nicht gemacht, wäre ich ausgestiegen!

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Hallo

Das mit der Feder stimmt nicht:

Die Wrkung ist zwar ähnlich, aber die Bremsung erfolgt alleine durch Luftdruck. Dadurch brauch man wesentlich weniger Luft, da der maximale Bremsdruck breits bei einer Druckabsenkung von 1.5 Bar erreicht wird.

Guggsch hier:

Steuerventil (Eisenbahn) – Wikipedia

Und hier der offizielle Untersuchungsbericht über den Unfall:

https://www.sust.admin.ch/inhalte/BS/4020506.pdf