Warum ist Homosexualität nicht verschwunden?

6 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet
Wenn homosexuelle Menschen sich nicht fortpflanzen, können die genetischen Faktoren für Homosexualität nicht weitergegeben werden.

Doch, natürlich. Dafür gibt es gleich mehrere Möglichkeiten. Erstens stimmt es ja nicht, dass Homosexuelle sich nicht fortpflanzen. Die Fortpflanzungsfähigkeit ist ihnen genauso gegeben. Zum anderen ist das Zeugen eigener Nachkommen nur ein Weg, wie die eigenen Gene weitergegeben werden können. Denn es tragen ja nicht nur die eigenen Kinder, sondern auch jeder andere Verwandte einen Teil der eigenen Gene in sich. Genvarianten, die mit homosexualität in Verbindung stehen, können somit über Verwandte, z. B. Geschwister, weitergegeben werden, selbst wenn das homosexuelle Individuum selbst sich nicht fortpflanzt. Eine dritte Möglichkeit bestünde darin, dass solche Genvarianten über bisexuelle Individuen erhalten bleiben - und die verhaltensmäßige Bisexualität ist nun mal bei vielen Tierarten der Standard.

Außerdem sind die Gene nicht allein für die Ausprägung der sexuellen Orientierung verantwortlich. Die Gene machen sogar nur einen geringen Anteil aus. In der bislang größten genomweiten Assoziationsstudie zur Suche nach genetischen Markern, die mit homosexuellem Verhalten in Verbindung stehen, wurden zwar einige Marker entdeckt, deren Wirkung aber eher schwach ist, zwischen 8 und 25 % (Ganna et al. 2019). Zwillingsstudien deuten darauf hin, dass der Einfluss der Gene insgesamt auf die sexuelle Orientierung bei Männern bei etwa 34 % und bei Frauen sogar nur bei 18 % liegt (Långström et al. 2007). Weitaus größeren Einfluss haben vorgeburtlich wirkende Unweltfaktoren, die jedoch kaum erforscht sind. Als wahrscheinlich gilt, dass hormonelle Einflüsse auf den Embryo einen Einfluss haben könnten. So wurde eine erhöhte Konzentration des Schwangerschaftshormons Progesteron in Verbindung mit einer größeren Wahrscheinlichkeit bisexuell zu sein gebracht (Reinisch et al. 2017). Andere Einflussfaktoren, die man diskutiert, sind das Immunsystem der Mutter und epigenetische Vererbung.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Doch, natürlich können die Gene von Personen, die sich nicht selbst fortpflanzen, weitergegeben werden, nur eben nicht von der Person.
Mit 50:50-Chance haben Geschwister dasselbe Gen, und wenn ich 2 Nichten oder Neffen mit großziehe, ist das genau so wirksam als wenn ich ein eigenes Kind großziehe.

Das erst mal nur als Hinweis, dass man auch schon mal um die Ecke denken muss, wenn es um Evolution geht. Es bedeutet nicht, dass es ein Schwulengen gibt oder auch mehrere.

In der Tat sind die Ursachen der Homosexualität noch nicht annähernd vollständig erforscht. Einige Hinweise wurden ja schon genannt.

Es kann gut sein, dass es auch sog. epigenetische Faktoren gibt, die dabei eine Rolle spielen. Daher kann es gut sein, dass auch Eltern ohne diese Veranlagung ein Kind mit dieser Veranlagung haben können (oder umgekehrt), da es nicht alleine die DNA Sequenz ist, welche unser Verhalten bestimmt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Epigenetik

Und wenn das so ist: daher stirbt diese Veranlagung auch nicht aus, da sie immer wieder aufs Neue entsteht. Womöglich gibt es gar keine "Schwulengene", sondern es sind epigenetische Veränderungen, die unabhängig von der Eltern-DNA immer wieder aufs Neue passieren können.

Man muss sich von der Vorstellung lösen, dass in der Natur alles einem "Zweck" dienen müsse. Viele Dinge entwickeln sich eben einfach so, und da manch eine Veränderung auch nicht "schädlich" ist, ist dies völlig hinreichend (ohne einen höheren Zweck zu erfüllen).

Es gibt auch Menschen mit roten Haaren, das ist auch nicht wirklich ein Zweck, den die Natur damit verfolgt - das passiert halt und ist nicht schädlich, sondern einfach eine "Laune der Natur", wie man oft sagt.

Zudem weiß man nicht genau, wie sehr die Entwicklung in der Kindheit und die Umgebung dazu beiträgt. Der Anteil der Gene, der Epigenetik und der Lebensumstände ist nicht genau bekannt.

Die Sexualität des Menschen ist ein relativ komplexes Thema und nicht nur genetisch bedingt.

Da spielen viele Faktoren wie Erziehung, Umfeld etc eine große Rolle.

Es ist auch nicht so, dass der Mensch alleine Homosexuelles Verhalten zeigt, das gibt es auch bei Tieren, zB Pinguine, Giraffen, Delfine etc. wobei insbesondere bei Delfinen wie auch beim Menschen der Sex nicht nur rein dem Zweck der Fortpflanzung dient.

So hat der Sex beim Menschen und auch bei einigen Tieren zusätzlich eine soziale Komponente. Menschen und Delfine haben zb Sex auch rein zum Spaß, was man daran merkt, dass auch Sex in der sonst Unfruchtbaren Phase praktiziert wird und nicht nur überwiegend in der Zeit der höchsten Fruchtbarkeit.

DummAberClever 
Fragesteller
 01.11.2023, 21:15

Also homosexuelle Menschen gibt es, damit die u.a. mehr Spaß haben können? (Die können sich ja eh nicht fortpflanzen, also wäre es eine ständige unfruchtbare Phase?)

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Kelec  01.11.2023, 21:23
@DummAberClever

Jeder Mensch hat beim Sex Spaß, es geht darum, dass der Sex beim Menschen generell nicht nur rein der Fortpflanzung dient.

Deine Argumentation geht ja davon aus, dass der Sex rein der Fortpflanzung dienen würde was nicht der Fall ist. Daher ist die Sexualität des Menschen auch so ein komplexes Thema.

Bei einigen Tieren zB Pinguinen hat sich gezeigt, dass Gruppen in denen es Homosexuelle Tiere gibt zum einen andere Soziale Strukturen haben und zum anderen Übernehmen Homosexuelle Tiere dabei auch die Brutpflege wenn die eigentliche Mutter nicht da ist.

Hier hat sich zB gezeigt, dass Homosexualität bei diesen Tieren einen Vorteil bietet.

Warum es also Homosexualität als solches überhaupt gibt ist weitaus komplexer als die Frage warum sie existiert obwohl Homosexuelle sich nicht Fortpflanzen.

In so fern ist es auch wesentlich komplexer als, dass Homosexualität eine vererbbare Eigenschaft ist.

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Darwinist  02.11.2023, 12:50
@DummAberClever

Es geht nicht darum, dass Sex "Spaß" macht. Es geht darum, dass Sex noch andere Funktionen als bloß die Fortpflanzung erfüllen kann, die für das Überleben wichtig sind, z. B. das Festigen von Gruppenbindungen bei sozialen Tieren. Oder das Festigen der Paarbindung beim Menschen, was die Überlebensrate der Nachkommen erhöht.

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Darwinist  02.11.2023, 12:15
Da spielen viele Faktoren wie Erziehung, Umfeld etc eine große Rolle.

Es stimmt zwar, dass viele Faktoren eine Rolle spielen. Erziehung und Umfeld nach übereinstimmender Meinung der meisten Forscherinnen jedoch nicht, da die sexuelle Orientierung angeboren ist. Man ist also schwul, lesbisch oder bi und wird es nicht durch Erziehung. Wenn dem so wäre, würden ja bspw. Konversionstherapien helfen. Tun sie aber nicht, im Gegenteil, die schaden sogar massiv.

Erziehung und das Umfeld können aber dabei helfen selbst toleranter zu sein und die eigene Sexualität eher zu akzeptieren. :)

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Kelec  02.11.2023, 18:27
@Darwinist

Ich bin mir diesbezüglich nicht ganz sicher. Immerhin entwickelt sich die Sexualität ja auch maßgeblich in den frühen Kindesjahren. Also ob die komplett angeboren ist kann ich so nicht bestätigen aber natürlich auch nicht wiederlegen.

Ob das Schaden von Konversionstherapien ein Indiz ist, dass die Eigenschaft angeboren ist oder nicht würd ich so nicht sehen.

Alles in allem würde ich eine Beteiligung solcher Faktoren in den frühen Kindesjahren nicht ausschließen.

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Darwinist  03.11.2023, 00:51
@Kelec
Alles in allem würde ich eine Beteiligung solcher Faktoren in den frühen Kindesjahren nicht ausschließen.

Die Wissenschaft tut das aber:

  • "Recent research in genetics or endocrinology has shown that genes and hormones, acting pre- or immediately postnatally, contribute to a large extent, if they do not completely determine, the sexual orientation of a subject." - Balthazard 2021.
  • "However, there is considerably more evidence supporting nonsocial causes of sexual orientation than social causes. [...] In contrast, evidence for the most commonly hypothesized social causes of homosexuality—sexual recruitment by homosexual adults, patterns of disordered parenting, or the influence of homosexual parents—is generally weak in magnitude and distorted by numerous confounding factors." - Bailey et al. 2016.
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Kelec  03.11.2023, 08:22
@Darwinist

Hmm dann sind die von dir aufgeführten Studien wohl neuer. Die die ich gesehen habe gehen eben nicht von genetischen Faktoren als maßgebliche Ursache aus.

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Darwinist  03.11.2023, 09:16
@Kelec

Das stimmt ja auch. "Angeboren" heißt nicht unbedingt "genetisch bedingt". Die Gene haben nur einen Einfluss von etwa 34 % bei Männern und 18 % bei Frauen (s. meine Antwort auf die Frage). Einen größeren Einfluss haben Umweltfaktoren, die aber eben vor der Geburt wirken. Was in der späteren Erziehung passiert, beeinflusst die sexuelle Orientierung nicht. Kinder homosexueller Eltern sind bspw. nicht häufiger homosexuell als Kinder heterosexueller Paare.

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Eines von den beiden wird es wohl sein. Oder alle Menschen besitzen die Veranlagung zur Homosexualität so oder so.