Bisexualität kommt häufiger vor als Homosexualität. Die Gruppe Bi+ (also neben den "klassischen" Bisexuellen z. B. auch pan-, poly- und omnisexuelle Menschen, die ihre Sexualität ähnlich oder sogar gleich wie Bisexuelle definieren) ist die größte Untergruppe innerhalb der LGBTQ Community. Gleichzeitig ist es aber auch die am wenigsten sichtbare Gruppe der queeren Gemeinschaft. Bisexuelle outen sich Laut dem Bi Report 2020 der Organisation Stonewall in Großbritannien nur halb so häufig wie Homosexuelle. 80 % der Bisexuellen verheimlichen demnach ihre Sexualität selbst vor ihrer Familie und 64 % vor ihren Freunden. Ein ähnliches Bild zeichnet eine Studie von 2019 des Pew Research Center in den USA: demnach waren 74 % der Bisexuellen ungeoutet, während es unter den Lesben nur 29 und unter den Schwulen sogar nur 23 % waren.
Wie groß der Anteil der Bisexuellen konkret ist, lässt sich schwer feststellen, weil jede:r den Begriff "bi" auch unterschiedlich definiert. Für manche gehört zum "richtigen" Bi-Sein etwa dazu, sich auch in eine gleichgeschlechtliche Person verlieben zu können, für andere reicht es schon, wenn eine Person verschiedene Geschlechter sexuell anziehend finden kann. So könnten dann also zwei Personen, die im Grunde genommen gleich lieben und fühlen, sich ein ganz unterschiedliches Label verpassen. Nehmen wir z. B. mal an, zwei Mädchen würden sich nur in Jungen verlieben, hätten aber hin und wieder auch mal Sex mit einem anderen Mädchen, dann könnte die eine von ihnen sich als bi identifizieren, während die andere sich als heteroflexibel identifiziert.
Außerdem ist die sexuelle Orientierung ein Spektrum, dem die klassische Einteilung in die Kategorien hetero, bi und homo gar nicht gerecht werden kann. Die Frage, wie Menschen ihre sexuelle Orientierung selbst sehen, hängt daher auch stark ab von der Menge an Auswahl- oder Differenzierungsmöglichkeiten ab. Es macht also einen Unterschied, ob ein Mensch sich beispielsweise als hetero, homo oder bi einirdnen soll oder beispielsweise auf der differenzierten Kinsey-Skala, die die sexuelle Orientierung zwischen 0 und einordnet:
In repräsentativen Umfragen aus den USA, Israel und Deutschland gaben jeweils mindestens ein Drittel der jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 24 Jahren an, dass sie nicht ausschließlich hetero- bzw. homosexuell waren, verordneten sich also auf der Kinsey-Skala zwischen 1 und 5, d. h. im "bisexuellen Spektrum". In Großbritannien ordneten sich sogar 48 % im bisexuellen Spektrum ein, mehr Personen als sich als exklusiv heterosexuell (44 %) bezeichneten. Nicht jede:r, der sich im bisexuellen Spektrum verordnet, nutzt jedoch für sich auch die Eigenbezeichnung "bi". In derselben britischen Umfrage beispielsweise bezeichneten sich nur 16 % der jungen Erwachsenen als "bi", während 75 % sich als "hetero" bezeichneten. Deutlich wird der Unterschied auch an einer Studie aus der Schweiz, wie folgende Graphik verdeutlicht:
Andere Studien versuchen, die sexuelle Orientierung nicht durch Umfragen zu ermitteln, sondern objektiv zu messen. Eine kontrovers diskutierte Studie dazu erschien 2016 im Journal of Personality and Social Psychology (Rieger et al. 2016). Die Forscher maßen von hetero-, bi- und homosexuellen Probandinnen die sexuelle Erregung beim Betrachten von Frauen- und Männerdarstellungen durch Bestimmung ihrer Pupillenweite. Bei Erregung weitet sich nämlich die Pupille und weil die Muskeln der Iris durch das vegetative Nervensystem gesteuert werden, lässt sich diese nicht willentlich beeinflussen. Dabei stellten sie fest, dass zwischen den Frauen, die sich als heterosexuell einschätzten und den bisexuellen Frauen kein Unterschied feststellbar war, beide Gruppen reagierten sowohl auf die Darstellungen von Frauen als auch auf die von Männern. Lediglich die lesbischen Frauen reagierten nur auf weibliche Darstellungen. "Wenn es darum geht, was sie antörnt, sind Frauen entweder bisexuell oder lesbisch, aber selten hetero", schrieb die Universität Essex, an der der Hauptautor der Studie Gerulf Rieger forscht, in einer Online-Pressemeldung. Eine andere Studie untersuchte die Muster der Gehirnaktivität lesbischer, heterosexueller und bisexueller Frauen mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRI) und konnte ebenfalls bestätigen, dass zwischen hetero- und bisexuellen Frauen kein signifikanter Unterschied bestand (Safron et al. 2018). Auch Studien an männlichen Probanden wurden durchgeführt, um ihre sexuelle Orientierung zu messen - maßgeblich mit dem Ziel zu "beweisen", dass Bisexualität existiert (z. B. Safron et al. 2017, Jabbour et al. 2020). Versuche die sexuelle Orientierung zu "messen" werden allerdings auch scharf kritisiert mit dem Argument, dass sexuelle Orientierung als eine Identität nicht physiologisch gemessen werden könne (Engelberg, Lawton & Shaw 2021).