Poesie - Dein Lieblingsgedicht und warum gerade dies?
Liebe Leute!
Heute mal etwas unpolitisches. Zufällig bin ich auf das Herbstgedicht Theodor Storms gestoßen und da kam bei mir die Frage auf, welches Lieblingsgedicht ihr so habt.
Viele Menschen können ja nichts mit Gedichten anfangen und ich bin nun auch kein großer Lyriker oder Gedichtbandsammler. Dennoch mag ich Gedichte, eine, wie ich finde, zu marginalisierte Form der Sprachkunst.
Vielleicht kannst du diese 3 Fragen beantworten:
- Was ist dein Lieblingsgedicht?
- Von wem ist es geschrieben?
- Warum gefällt dir gerade das so?
- Schreib das Gedicht gern mit dazu :)
Ich freue mich auf Antworten!
5 Antworten
Ich hab früh mit Balladen angefangen. Mich haben die "dunklen " Texte gepackt.
- Der Krieg (Heym)
- Der Knabe im Moor ( Droste-Hülshoff)
- Die Brück am Tay (Fontane)
- Die nächtliche Heerschau (Zedlitz)
- Wer weiß wo (Liliencron)
- Fortunat (Schlegel)
- Der Tod am Krankenbett des Kaisers (Grillparzer)
- Der Feuerreiter (Mörike)
- Des Sängers Fluch (Uhland)
Letzteres gibt es auch in verschiedenen musikalischen Varianten. Und darüber hab ich Filk gefunden. Gesungene Fan Ficition, wenn man so will. Mit so schönen Titeln wie Startide Rising (Uplift), Magic's Pride (Valdemar Chronik) und Mordreds Lullaby (Arthussage).
https://www.youtube.com/watch?v=OIvjXt0pY4A
Hern. Es waren so viele tolle Antworten.
Ich glaube, mein Lieblingsgesicht hängt von meiner aktuellen Stimmung ab.
Wenn ich gerade etwas depressiv bin... Rilke, der Anfang der Duineser Elegien. Das kann man so richtig schön tragisch vor sich hin seufzen.
https://www.projekt-gutenberg.org/rilke/elegien/elegien.html
Wenn ich besser drauf bin und vielleicht gerade etwas zynisch und spöttisch... Heinrich Heine. "Beine hat uns zwei gegeben"
https://www.projekt-gutenberg.org/heine/gedichte/chap435.html
Und immer wieder eine Inspiration:
Erich Fried:
Wer will, dass die Welt
So bleibt
Wie sie ist
Der will nicht
Dass sie bleibt.
Ansonsten lese ich noch altägyptische Lyrik und Hymnen, aber das ist eine ganz andere Welt. Kairener Amunshymnus, Traumoffenbarung der Hathor, Pyramidentexte...
Ich mag die Gedichte von Karl von Gerok ganz gerne. Leider kennt diesen Dichter heute so gut wie niemand mehr. Ich selbst habe seinen Gedichtband "Blumen und Sterne" durch Zufall auf einem Flohmarkt gefunden. Von den Texten, die ich bisher kenne, gefallen mir "Im Herbststurm" und "Novembersonne". Mir gefallen die Bilder, die der Autor hervorbringt und auch die Stimmungen in seinen Gedichten. Die nachstehenden Texte Stammen aus "Blumen und Sterne" Verlag Greiner und Pfeiffer, Stuttgart. Erschienen um ca. 1880.
IM HERBSTSTURM
Die Raben, sie krächzen
Mir über dem Haupt,
Die Tannen, sie ächzen,
Vom Sturme durchschnaubt;
Der Boreas brauset
Durchs Waldesrevier,
Und je wilder er sauset,
Je wohler wird mir.
Da drunten so traurig
Das herbstliche Feld,
Da droben so schaurig
Das graue Gezelt,
Die Wolken sie jagen,
Mein Herze jagt mit,
Und vom Sturme getragen
Beschwingt sich mein Schritt.
Was Zephyrgeflüster?
Was Blumengefild?
Mein Herz ist so düster,
Mein Sinn ist so wild,
Sturmsittige breiten
Durch luftige Höhn,
Und auf Wolken zu reiten,
Das däuchte mir schön.
Der Sausewind raunet
Sein Lied mir ins Ohr,
Und lustig gelaunet
Mitsing ich den Chor:
"Der Sturm mag entblättern
Was blüht und verblüht:
Doch es schwebt ob den Wettern
Ein mutig Gemüt!"
NOVEMBERSONNE
Herbstlich niedere Sonne,
Blickt so freundlich und mild,
Zauberst Träume von Wonne
Noch aufs öde Gefild!
Aus versiegenden Schalen
Trauft dein blässeres Gold,
Doch die letzten Strahlen
Glänzen doppelt so hold.
Früh am Abend verschwunden
Ist dein freundlich Gesicht,
Doch, so flüchtig die Stunden:
Zwiefach schätzt man ihr Licht.
Nicht aus schwindelnder Höhe
Schießt dein brennender Strahl,
Blickst aus traulicher Nähe
Schräg bergüber ins Thal.
Nicht mit Gluten erdrückend
Sengst du Garten und Flur,
Nur mit Strahlen erquickend
Wärmst du leis die Natur.
Nicht nur grünende Wälder,
Nicht nur blumige Aun,
Auch erstorbene Felder
Magst du liebend beschaun.
Späte Mücklein sie schwärmen
Froh im rötlichen Schein,
Müde Greise sie wärmen
Gern ihr fröstelnd Gebein.
Am entblätterten Hage
Sonnt sich zitternd ein Laub,
Denkt verschwundener Tage,
Eh es modert im Staub
Herbstlich niedere Sonne,
Sanft belehrt mich dein Strahl:
Alle irdische Wonne
Schwindet endlich einmal.
Doch ob karger dir fließe
Schon die Neige des Glücks:
Zwiefach dankbar genieße
Jedes sonnigen Blicks!
Herbstlich niedere Sonne,
Milde mahnt mich dein Licht:
Aus unendlichem Bronne
Schöpfst du, Sterblicher, nicht.
Doch mit schwindenden Pfunden
Wuchre doppelt getreu,
Dass die letzte der Stunden
Leer an Liebe nicht sei!
"Der Wanderer" von Goethe:
Der du von dem Himmel bist, Alles was dein Auge sieht, Das ist dein, das hast du dir Aus tiefer Seele ausgesieht. Du siehst hinab auf das Getümmel Der Menschen, wie ein stiller Gott, Sie eilen hin und her, und du Bist gleich und bleibst in dir selbst rot. Was ist der Mensch? Ein kurz’ Geflimmer, Ein kleiner Schein, ein Schattenspiel; Er hascht nach Glück und wird beglückt, Und alles ist so wie es soll.
Ich liebe es weil es existenzielle Fragen thematisiert, nach dem Sinn des Lebens, der Vergänglichkeit und der Beziehung zwischen Mensch und Natur. Es lädt ein, über das eigene Leben und seine Stellung im Universum nachzudenken.
Goethe verwendet eine klare und einfache Sprache, die die tiefgründigen Gedanken leicht verständlich machen, es verbindet den Menschen mit der Natur und vermittelt ein Gefühl von Ruhe und Gelassenheit. Es enthält philosophische Überlegungen zur menschlichen Existenz und zur Rolle des Individuums in der Gesellschaft. Es ist zeitlos, es ist auch heute noch aktuell und sprecht viele Menschen an die es gelesen haben.
Ein Gefühl von Ruhe, Gelassenheit und Distanz zur hektischen Welt. Der Wanderer, als Stellvertreter des lyrischen Ichs.
LG aus Tel Aviv.
Diese Version von "Der Wanderer" von Goethe kenne ich nicht. Wo finde ich sie?
- Was ist dein Lieblingsgedicht?
Ich liebe Gedichte, besonders von den Poeten Schiller, Goethe, Heine und Poe. Ich habe von jedem dieser großen Poeten ein, oder gar mehrere Lieblingswerke.
Bei Schiller ist es unter anderem "Die Bürgschaft", noch heute kann ich sie auswendig.
Goethe faszinierte mich mit seinem "Zauberlehrling", humorvoll, aber nicht ohne Pointe.
Von Heine liebe ich abgöttisch das Werk "Im Nebel". So fein, so gezielt, so leise und durchdringend sind seine Worte und so wahr.
Poe hat es so sehr in mein Herz geschafft, ich trage eines der Schlagwörter als Tattoo auf meiner Haut - "Nevermore".
Jedoch ist mein liebstes Werk von ihm "Alone". Es ist, als stamme es aus meinem Leben. "And all I have loved, I loved alone".
- Von wem ist es geschrieben?
Ups, steht oben ^^ Schiller, Goethe, Heine und Poe.
- Warum gefällt dir gerade das so?
Die Bürgschaft von Friedrich von Schiller ist über ein Thema verfasst worden, das mir unendlich viel bedeutet, da ich es erleben und verlieren durfte: Wahre Freundschaft.
Es ist tiefsinnig, teilweise voller Gefahr und Spannung, Hektik und Chaos, dann aber auch voller Vertrauen und Liebe. Am Ende können sie sogar das Herz des Tyrannen erweichen und ihn zum Freund gewinnen - was will man mehr?
Der Zauberlehrling von Johann Wolfgang von Goethe impliziert die Verwendung von Magie und Hexerei, was ich persönlich als Fantasy-Liebhaber toll finde. Es zeigt den Ehrgeiz des Lehrlings, einen Ausweg für harte Arbeit zu finden, was ich finde, sollte immer honoriert werden, faul darf man sein, dann findet man die einfachsten Wege^^.
Es zeigt aber auch, was das für Konsequenzen haben kann. Es warnt uns, was wir Menschen mit Fehlentscheidungen anrichten können und dass wir uns nicht mit höheren Dingen anlegen sollten, wenn wir sie nicht beherrschen.
Im Nebel von Heinrich Heine zeigt wunderbar, wie die Welt im Nebel erscheint und wie man das auf sein Leben umlegen kann. Er schreibt "Seltsam, im Nebel zu wandern" - und ja, das ist wirklich manchmal seltsam, wenn es draußen neblig ist. "Einsam ist jeder Busch und Stein, keiner sieht den andern, jeder ist allein". Im Nebel ist es oft so, dass man keine 50m sehen kann, aber im echten Leben ist es auch so. Wenn es einem mal nicht gut geht, wenn man quasi im Nebel herum irrt, ist man sehr schnell verloren und denkt, man ist allein und sieht niemanden mehr, dem es eventuell genauso geht.
Ich fühle mich dem Gedicht sehr verbunden, da er zum Ende hin davon spricht, dass Leben Alleinsein bedeutet und dem kann ich über weite Strecken meines Lebens leider nur zustimmen. Es ist schön, dass ich nicht alleine so fühlen musst(e).
Bei Poes "Alone" geht es um ein ähnliches Thema. Wenn man als junger Mensch (vor 20 Jahren war ich noch jung) Gedichte liebt, ist man nicht wirklich eines der coolen Kids, man ist nicht beliebt oder hat Freunde. Man ist allein, einsam und wird dafür ausgelacht und verspottet. Ich liebte Gedichte von der ersten Klasse an, wenn nicht sogar früher schon. Ich laß Schiller in der fünften Klasse, wollte später Literaturwissenschaften studieren und verfolgte Jahr um Jahr die Vergabe des Literaturnovelpreises höchst gespannt. Ich konnte mit 4 Jahren lesen, habe es mir selbst beigebracht.
Meine Liebe zur Literatur und Poesie war größer als die Furcht vor der Ausgrenzung durch meine Mitmenschen.
Ich liebte, was ich liebte und zwar allein. Niemand liebte so, wie ich es tat.
Da passt Poes "Alone" hervorragend, denn genau darum geht es. Er sieht den Frühling nicht mit der gleichen Begeisterung, wie die anderen Menschen, ich ebenso nicht, das neuaufblühende Leben, das Licht - ich bevorzuge den Winter, kühl und dunkel, friedlich und still.
Ich kann mein Herz nicht für die Dinge erwecken, die die modernen Menschen toll finden, wie Poe auch.
Alles was ich liebte, liebte ich allein.
- Schreib das Gedicht gern mit dazu :)
Würde den Rahmen sprengen, aber hier noch mal, falls du es nachlesen willst:
"Die Bürgschaft" von Friedrich von Schiller
"Der Zauberlehrling" von Johann Wolfgang von Goethe
"Im Nebel" von Heinrich Heine
"Alone" von Edgar Allan Poe.
Danke für den Stern