Kemalismus - Was haltet ihr davon?
Die Türkei basiert aktuell auf den Kemalismus, den Erdoğan nach und nach auflösen möchte. Meine Frage ist, wie ihr die kemalistischen Prinzipien findet?
1. Republikanismus als Ausdruck des Prinzips der Volkssouveränität als Grundlage aller politischen Entscheidungen. Damit ist gleichzeitig die Absage an die in der Figur des Sultans verkörperte personale Herrschaft des Osmanischen Reiches verbunden. Dabei wurde großzügig darüber hinweggesehen, dass das Volk im politischen Prozess keine Stimme hatte: Im Parlament fanden sich handverlesene Gefolgsleute der CHP.
2. Populismus als Ausdruck der Gleichheit der türkischen Staatsbürgerinnen und -bürger, was die Herrschaft einer Klasse über andere ausschließt. Die autoritäre Einparteienherrschaft der CHP sprach dem ebenso Hohn wie die faktische Diskriminierung aller Minderheiten.
3. Etatismus als Ausdruck einer staatlichen Beeinflussung der Wirtschaft, die allerdings nicht die Verstaatlichung der Produktionsfaktoren vorsah;
4. Revolutionismus/Reformismus als Ausdruck der Notwendigkeit, die Modernisierungspolitik von oben kontinuierlich fortzusetzen;
5. Laizismus als Ausdruck der Trennung von Staat/Politik und Religion sowie
6. (Links -) Nationalismus als Ausdruck für das Zusammengehörigkeitsgefühl der neuen türkischen Bürgerinnen und Bürger. (nicht mit Rassismus zu vergleichen)
Quelle: https://m.bpb.de/izpb/77030/vom-reich-zur-republik-die-kemalistische-revolution
(Atatürk)
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5 Antworten
Kemalismus - Was haltet ihr davon?
Ist eine 100 Jahre alte politische Ideologie, die damals im Großen und ganzen einigermaßen fortschrittlich war und der modernen Türkei erlaubt hat einigermaßen Anschluss an Europa zu finden und sich zum damals fortschrittlichsten muslimisch geprägten Land überhaupt zu entwickeln.
Heite sind Teilprinzipien davon, im Besonderen der Nationalismus offensichtlich überholt und macht, wenn man an die Causa PKK und Kurden denkt, mehr Probleme, als es löst.
Wie gesagt, damals als Reaktion auf das Ende des Osmanischen Reiches und die Modernisierung des verbiebenen Rumpfstaates im Großen und Ganzen wahrscheinlich eher positiv zu bewerten.
Rezepte für die Zukunft sind das aber in weiten Teilen nicht mehr, die Welt dreht sich weiter.
Schlecht, insbesondere weil durch diese Ideologie die Assimilierungspolitik gegen die Kurden vorangetrieben worden ist und religiösen Menschen (hauptsächlich Kopftuch tragende Frauen) ausgegrenzt worden sind, wodurch diese z.B. Uni's etc. nicht besuchen durften.
Es gab sehr wohl eine Assimilierungspolitik seitens der Kemalisten. Es wurde Kurden verboten ihre Sprache in der Öffentlichkeit zu sprechen und Türken wurden in Ost-Türkei hingesiedelt, damit diese zur türkischen Kultur übertreten.
Wenn es danach geht, gehört Deutschland auch nicht den deutschen, oder Russland den Russen, oder China den Chinesen. Ob sie da waren oder nicht, ändert nichts daran, dass es die Türkische Republik ist - dort wird überall Türkisch als Amtssprache gesprochen. Das sind Fakten. Die Türkei wird nicht so einfach ein Stück Gebiet abgeben, genauso wie Iran, Armenien und Aserbaidschan - zumal man sowieso darüber diskutieren kann, wie die Grenzen von „Kurdistan“ aussehen, weil jedesmal die Karte anders aussieht.
Ich setze mich nicht für ein Kurdistan ein, sondern dafür, dass diese Menschen ihre Muttersprache weiterhin sprechen dürfen, ohne Sanktionen seitens der Regierung befürchten zu müssen. Aktuell funktioniert das, jedoch war es in der Vergangenheit nicht so aufgrund der Assimilationspolitik der Kemalisten. Die Regierung hat kein Recht diese Menschen zu "türkifizieren".
Dann sollte man hinterfragen, wieso das durchgesetzt wurde - was im übrigen auch keine „Assimilation“ ist. Jeder darf in der Gegenwart in der Türkei die Sprache sprechen, die er möchte - ob es allerdings angebracht ist, in öffentlichen Einrichtungen eine andere Sprache zu sprechen, und zu erwarten, dass diese Menschen dich verstehen sollen, ist wiederum etwas anderes. Staaten dieser Welt, haben zu alles ein Recht, gegebenenfalls können sie Bürger auch ausweisen - es hört sich hart an, ist aber in der Tat so.
Das ist nur auf den Kemalismus bezogen, weil ich diesem eher primär ablehnend gegenüberstehe:
Dieser wurde in Form einer "Erziehungsdiktatur" der türkischen Gesellschaft von einer Militärelite aufgezwungen; Menschen wurden ihrer traditionellen und kulturell-religiösen Gepflogenheiten, welche nicht per se unvereinbar mit den kemalschen Vorstellungen waren, beraubt. Minderheiten wurden assimiliert: Sprachlich, in ihrer Weltanschauung und in ihrem Lebensstil. Man könnte fast sagen, "Atatürk" war bestrebt, nachdem die Türkei erricht wurde, "Türken" zu machen. Nur hat er sich dabei wenig drum geschert, dass die Bevölkerung des jungen Staats vielfältig war und ist.
Für eine pluralistische Gesellschaft (ein Teil der Demokratie) sind solche rigorosen und arroganten Politikstile reines Gift. Gleichzeitig wurde meines Erachtens kaum berücksichtigt und aufgearbeitet, dass Kemal den Jungtürken angehörte, welche seit 1908 das Osmanische Reich politisch prägten und somit auch nachhaltigen geistigen/politischen Einfluss auf den Genozid an den Armeniern 1915/16 hatten.
LG
Ist aber sicher auch eine Frage, was die Aufgaben der Zeit waren. Unter demokratischen Geswichtspunkten ist das mit der Erziehungsdiktur sicherlich eher unschön.
Allerdings, in verschiedenen Beispielen, nicht nur in der Türkei, sondern auch in Südkorea und der Sowjetunion (auch wenn die Zahl der Opfer hier nun wirklich spätestens ab Stalin absolut inakzeptabel wurde) wird man konziedren können, dass im Hinblick auf die Modernisierung der entsprechenden Staaten das öffters eine Erfolgsgeschichte war.
Nur eben mit dem Problem die Diktatur wieder loswerden zu müssen. Das hat in Südkorea geklappt, in der Sowjetunion hat es nicht geklappt und die Türkei hängt irgendwo dazwischen.
Das ist eben die Frage, wie rückblickend das Erbe bewertet werden muss.
Ich denke, zum damaligen Zeitpunkt, auch in Anbetracht der soziokulturellen Gegebenheiten, war der Kemalismus als Strömung unglaublich progressiv. Vor allem als geistiger Nachfolger des Osmanischen Reichs, welches in sich zusammengeschrumpft war.
Diese "Erfolgsgeschichte" legte aber leider das Feuer für viele Konflikte: Ihm gingen Verbrechen an Armenier*innen und Griech*innen vorraus, der Umgang mit den kurdischen Türk*innen konnte bis heute nicht geklärt werden und erlebt gerade eine Radikalisierung durch den Hardlinerkurs der AKP.
Welche alternativen Lösungen es für die damaligen Probleme gegeben hätte... darüber kann man knapp 100 Jahre später nur spekulieren.
Naja, dafür, was dieser Strömung vorausging, kann man diese nun schwerlich verantwortlich machen, aber ja, natürlich verursachte das auch Probleme.
Andererseits und auch wenn es erstmal eine diktatorische Veranstaltung war, hat sich die Türkei, auch wenn in letzter Zeit bestimmte Leute ja versuchen das rückgängig zu machen, dieser Weg für lange Zeit mit die demokratischste Gesellschaft in der islamischen Welt hervorgebracht und das hat sich ja bis heute einigermaßen gehalten.
Natürlich muss man die "Erfolgsgeschichte" in Anführungszeichen setzen, aber es war seinerzeit sicherlich nicht die schlechteste Lösung. In der heutigen Zeit hat es natürlich keinen Platz mehr und man muss sehen, wie man mit diesem Erbe vernünftig umgeht.
Es gibt keinen „Armenischen Völkermord“ - und das sollte man eigentlich wissen, wenn man Politikwissenschaften studiert hat.
https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/genozid-an-den-armeniern/
In manchen Ländern (Frankreich beispielsweise) steht die Leugnung des Aghet unter Strafe, wusstest du das?
Ich lebe nunmal nicht in Frankreich, sondern in Deutschland, und bin dazu noch in der Lage, etwas zu hinterfragen, und zu recherchieren, bevor ich alles glaube, was man erzählt. Gerade in der heutigen Zeit, ist es nicht schwer, an gewisse Informationen dran zu kommen. Dass das, was passiert ist, als „Armenischer Völkermord“ zu bezeichnen, wird von manch westlichen Historikern sogar angezweifelt, denn so sieht nicht ein „Völkermord“ aus.
Es war für die Zeit ein guter Anfang, ein Staat nach den bis dahin höchsten zivilisatorischen Standards zu errichten. Aber der Islam ist wie ein Virus, den die Türken nicht abschütteln konnten. Die jetzigen Jungen sind aber aufgeklärter
Atatürk hat letztlich bloß den politischen Islam durch einen überzogenen Nationalismus ersetzt - und damit ein Übel durch ein anderes. Den Säkularismus muss man ihm zugute halten, aber der Preis dafür ist extrem hoch.
Nationalismus ist nicht schlimm solange man den anderen Staaten nicht schadet
Der überzogene Nationalismus entstand in der Türkei erst Anfang 1965.
Es gab keine Assimilierungspolitik. Die Kurden lebten in Stämmen und wurden lediglich von der Seyh-Dynastie abgelöst und mussten Steuern an den Staat zahlen. Der Staat wollte so mehr Einfluss auf kurdische Gebiete um auch den Kurden Bildung oder Arbeit zu ermöglichen.