Ist Therapie schlimm?
Heyy,
also ich gehe morgen das erste mal zur Therapie, weil meine Eltern mich dort hin schicken. Ich habe aber echt Angst das ich nicht ernst genommen werde oder meine Probleme nicht schlimm sind und ich garnicht nur Therapie muss. Vielleicht kann mir da jemand helfen?
5 Antworten
Ich war 19. Ich wusste nicht mehr weiter.
Und das meine ich nicht in diesem beiläufig dahingesagten Sinne von „Ich hab keine Ahnung, was ich studieren soll“ oder „Das Leben ist halt anstrengend“. Ich meine es im ganz existenziellen Sinn: Ich wusste nicht mehr, wie ich überhaupt morgens aufstehen, wie ich durch den Tag kommen oder überhaupt irgendetwas fühlen sollte, ohne dass es entweder zu viel oder zu gar nichts führte.
Ich war essgestört. Ich hatte Borderline. Ich war erschöpft. Und ich hatte Angst.
Nicht nur vor mir selbst. Sondern auch vor dem, was passiert, wenn ich mir tatsächlich Hilfe suche. Was, wenn jemand wirklich in diesen dunklen Wald hineinsieht, den ich selbst kaum noch betreten wollte? Was, wenn sie mich sieht – ganz? Und mich dann... ablehnt?
Die Entscheidung – ein kleiner großer SchrittEs war keine plötzliche Eingebung. Keine „Erweckung“. Eher ein stilles, zähes Einsickern von Einsicht: Ich schaffe das nicht alleine.
Ich erinnere mich an eine Nacht, in der ich zum wiederholten Mal auf dem kalten Badezimmerboden lag – leer, taub, erschöpft von einem weiteren Tag voller Selbstverachtung, voller versuchter Kontrolle übers Essen, übers Fühlen, über mein ganzes verdammtes Leben.
Ich habe damals eine Freundin angeschrieben. Nur einen Satz:
„Wie geht das eigentlich mit Therapie?“
Sie schrieb zurück:
„Gar nicht so schwer. Ich helf dir.“
Und das tat sie. Sie gab mir Telefonnummern, half mir beim Formulieren der ersten E-Mail, las mit mir zusammen die Homepage der Therapeutin, bei der ich schließlich landete. Eine Verhaltenstherapeutin mit einem freundlichen Foto, keinem Instagram-Account, aber warmen Augen.
Der erste Termin – Warten mit HerzrasenIch hatte Herzklopfen. Meine Hände waren eiskalt, meine Gedanken laut.
Was, wenn sie denkt, ich übertreibe?
Was, wenn ich nicht „krank genug“ bin?
Was, wenn sie sagt, ich solle einfach „mehr essen und mich zusammenreißen“?
Aber das passierte nicht.
Sie kam mir im Wartebereich mit einem Lächeln entgegen. Kein aufgesetztes, kein „Ich tu mal so“-Lächeln. Sondern eines, das tatsächlich irgendwie... echt war. Und sie sagte einen einzigen Satz, der mir im Gedächtnis blieb:
„Schön, dass Sie da sind.“
Nicht: „Was haben Sie denn?“
Nicht: „Setzen Sie sich.“
Sondern ein Satz, der mir das Gefühl gab: Ich darf hier sein. Ich bin nicht falsch.
Keine Couch, kein Fragenhagel, kein UrteilTherapie sah ganz anders aus, als ich es mir vorgestellt hatte. Es gab keine dunkle Ledercouch. Kein Stirnrunzeln über einen Brillenrand. Kein „Aha!“-Moment wie in den Filmen, wo ein Therapeut plötzlich alles durchschaut.
Es war ein Raum mit zwei Sesseln, einer Box mit Taschentüchern, einem Wasserglas – und einer Frau, die mir nicht erklären wollte, wie mein Leben funktioniert. Sondern die mich fragte:
„Wie ist es für Sie, gerade hier zu sein?“
Und genau das war der Anfang.
Denn ich hatte nie gelernt, über mich zu sprechen. Ich war Meisterin darin, mich zu verstecken, Erwartungen zu erfüllen, Masken zu tragen. Aber hier war niemand, der etwas von mir brauchte. Und niemand, der mich beschämen wollte.
Stattdessen stellte sie Fragen. Viele Fragen. Manche davon trafen mich wie ein Donnerschlag, obwohl sie so harmlos klangen:
- „Wann haben Sie das letzte Mal geweint – und durfte jemand das sehen?“
- „Was glauben Sie, wie Ihre Stimme klingt, wenn Sie sich nicht anpassen müssen?“
- „Was wäre, wenn Sie sich selbst so behandeln würden wie Ihre beste Freundin?“
Ich hatte keine Antworten. Nicht sofort. Aber die Fragen brannten sich ein. Sie wirkten nach – manchmal schmerzhaft, manchmal befreiend. Und manchmal beides zugleich.
Ein Wald aus Symptomen – und ein Weg hindurchIch habe meine Therapeutin später mal gefragt, wie sie das eigentlich macht – dieses Fragenstellen. Sie lächelte und sagte:
„Ich helfe Ihnen nur, die Wege im Wald zu finden, den Sie selbst vor lauter Bäumen nicht mehr sehen.“
Und genau so fühlte es sich an. Mein Innenleben war ein Dickicht. Überwuchert mit Selbsthass, Unsicherheit, Erinnerungen, Ängsten, Kontrollzwängen. Ich konnte kaum atmen darin. Alles fühlte sich entweder dumpf oder überwältigend an.
Aber sie zeigte mir, dass dieser Wald nicht mein Feind war.
Er war nur verwildert.
Und ich hatte nie gelernt, darin sicher zu gehen.
In den Sitzungen fanden wir gemeinsam Lichtungen. Wir bauten kleine Holzstege über Sumpflöcher. Wir kehrten auch um, wenn ein Weg zu bedrohlich wirkte. Und manchmal standen wir einfach nur da und hielten aus, was da war: Angst. Wut. Traurigkeit. Sehnsucht. Und ein leises Hoffen.
Keine Magie – aber echte VeränderungManchmal war ich enttäuscht. Weil ich dachte: Jetzt müsste doch was „passieren“. Eine Erkenntnis. Ein Durchbruch. Ein „Jetzt bin ich geheilt“-Moment.
Aber so funktioniert Therapie nicht.
Es sind die kleinen Verschiebungen, die zählen.
Dass ich mich traute zu sagen: „Ich bin heute traurig.“
Dass ich nicht mehr zwanghaft kontrollieren musste, was ich esse.
Dass ich aufhörte, mir selbst die Schuld zu geben, wenn es mir schlecht ging.
Dass ich begann, meine Geschichte zu erzählen – nicht die, die andere von mir wollten.
Und irgendwann, ganz leise, wurde meine Stimme in diesen Gesprächen fester. Nicht lauter. Aber sicherer. Ich konnte sagen: „Ich will das so nicht mehr.“ Oder: „Ich weiß nicht, wie es weitergeht – aber ich bin da.“
Und das war viel.
Was ich gelernt habeIch bin heute 30. Die Therapie mit 19 war nicht mein letzter Schritt, aber es war der erste richtige. Es folgten andere Stationen, auch Rückschläge. Ich hatte Hochs und Tiefs. Aber ich bin heute nicht mehr dieselbe.
Und das liegt nicht daran, dass meine Therapeutin ein Wundermittel hatte. Sondern daran, dass sie nicht urteilen wollte. Dass sie nicht mein Chaos sortieren, sondern mir helfen wollte, mein Ordnungssystem zu finden.
Ich habe gelernt:
- Dass es okay ist, Hilfe zu brauchen.
- Dass Gefühle nicht kontrolliert, sondern verstanden werden wollen.
- Dass der Satz „Ich schaffe das nicht alleine“ kein Zeichen von Schwäche, sondern von Mut ist.
- Dass man sich selbst nicht erst kaputt fühlen muss, um Hilfe zu verdienen.
Wenn du das hier liest und dich fragst, ob du zur Psychotherapie gehen solltest – dann ist meine Antwort: Vielleicht ist es an der Zeit.
Nicht, weil du „verrückt“ bist. Nicht, weil du ein Etikett brauchst. Sondern weil du verdienst, gehört zu werden.
Du musst dich nicht erklären. Du musst nichts beweisen.
Du darfst einfach sagen: „Ich brauche jemanden, der mir zuhört.“
Und das ist genug.
Ist es schlimm, zur Therapie zu gehen?
Nein. Es ist ein Schritt in Richtung Leben. In Richtung Klarheit. In Richtung Selbstachtung.
Und ja – manchmal ist es verdammt schwer.
Aber ich verspreche dir: Es ist weniger schlimm, als sich weiter in diesem inneren Labyrinth zu verlieren.
Du bist nicht falsch. Du bist nicht allein. Und: Es darf dir besser gehen.
Fang an. Heute. Nicht perfekt. Nicht stark. Sondern einfach ehrlich.
Denn genau damit beginnt Heilung.
Jana -
Ehemals essgestört. Borderline-Diagnose mit 17. - Therapie mit 19.
Heute gesund – nicht im Sinne von „alles ist gut“, sondern im Sinne von: Ich lebe, ich fühle, ich wähle. - Und ich schreibe diesen Text für dich.
Ja, genau dich. Weil ich weiß, wie es ist, sich klein, kaputt und ängstlich zu fühlen.
Und weil ich dir sagen will: Du darfst Hilfe annehmen.
Die Frage ist doch zunächst: Was ist Therapie? Ich denke, Du kannst mit dem Wort - geschweige denn Dem Vorgehen - nichts anfangen. Da solltest Du erstmal aufgeklärt werden:
Mittels einer Therapie wird ein Patient im Idealfall gesund. Du kennst mit Sicherheit die Therapie durch Pillen: Da wirft man eine ein (auch mehrere über Tage oder Wochen verteilt) und dann ist der Mensch im Idealfall wieder gesund.
Bei einer psychischen Therapie geht es nicht zwingend um Pillen, sondern darum, Dein Verhalten zu ändern. Irgendetwas läuft bei Dir ja nicht rund zur Zeit. Du wirst also mit jemandem sprechen. Dieser Therapeut möchte Dir helfen. Nein, das ist nicht schlimm. Du musst nur bereit sein, Dein Herz auszuschüttten. Und danach musst Du bereit sein, dem Therapeuten zuzuhören. Der wird Dir nämlich sagen, was Du wie ändern kannst. Und das musst Du dann "einfach" nur ändern.
Ob Du eine Therapie brauchst, wird Dir der Arzt sagen - nicht Deine Eltern! Sie dürfen Dich zum Arzt schicken - ja. Aber es könnte sein, dass sie falsch liegen. Ein Arzt nimmt Dich ernst!
Hey ne ne ne Therapie ist nicht schlimm, im Gegenteil sieee ist dafür da, dir zuzuhören und zu helfen, egal wie groß oder klein deine Probleme dir vorkommen. Du wirst ernst genommen, weil deine Gefühle wichtig sind. Es ist okay, Angstl zu haben, das geht vielen so beim ersten Mal. Versuch einfach offen zu sein, und du kannst selbst entscheiden, ob die Therapie für dich passt. Du hast nichts zu verlieren. 👍🫵
Das kommt natürlich auf den Therapeuten an da kann niemand was beurteilen..
Ich habe sehr gute Erfahrungen mit Therapien gemacht, sie haben mir sehr geholfen und ich habe mich bisher immer wohl und ernstgenommen gefühlt.
Probleme sind nie zu klein oder "nicht schlimm genug" für eine Therapie. Eine Problem ist genau dann wichtig genug für eine Therapie, sobald es dich so belastet, beschäftigt oder deine Lebensqualität so stark negativ beeinflusst, dass du und deine Eltern eine Therapie für sinnvoll halten. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob es andere Menschen schwerer haben oder ob andere in derselben Situation weniger Schwierigkeiten hätten. Es geht nur um dich und deine Gesundheit.
Die ersten Termine bei einer Therapie sind manchmal etwas unangenehm aber noch ganz entspannt und erstmal zum Kennenlernen da. Du kannst dort dein Gegenüber und die Räumlichkeiten kennenlernen und schauen, ob du dich verstanden fühlst.
Es kann auch passieren, dass man so ein Erstgespräch hat und merkt, dass das Gegenüber einem unsympathisch ist oder man sich einfach nicht wohl fühlt. Wenn das so sein sollte kannst du das deinen Eltern mitteilen und ihr sucht eben nach jemand anderem. Das ist gar nicht schlimm und du kannst da ganz ehrlich sein.
Wenn du keine Therapie brauchst, wird man dir das dort sagen. Ist doch dann super. Auch dafür sind Therapeuten da.
Tatsächlich werden nicht alle Menschen von Therapeuten ernst genommen. Größtenteils sind das Männer.