Entwicklung Faust und Gretchen?

1 Antwort

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Hallo.

Gretchens „reinliches Zimmer“ spiegelt ihre Unschuld wieder, wie man an Fausts Monolog erkennt. Ich habe den Text nicht vorliegen, aber wenn ich mich recht entsinne, bezeichnet er es u. a. als „Himmelreich“, wodurch Gretchen, die darin lebt, mit einem Engel gleichgesetzt wird. Das Eindringen in ihr Zimmer ist also symbolisch zu verstehen, denn natürlich wollen Faust und Mephisto sie verführen und vom Pfad der Tugend abbringen.

Zu diesem Zwecke hat Mephisto Schmuck besorgt, den Faust Gretchen als Geschenk hinterlassen soll, doch Faust kommen plötzlich Zweifel an der Richtigkeit des Vorhabens („Ich weiß nicht, soll ich?“). Faust wollte Gretchen die ganze Zeit nur verführen, aber hier entwickeln sich seine Lustgefühle (vorübergehend) zu einer zarten, aufkommenden Liebe, die man dahingehend deuten kann, dass er sich irgendwann vielleicht richtig in sie verliebt hätte, wenn Mephisto ihn nicht kompromittiert und angestachelt hätte. Allerdings (Spoiler!) tendieren Fausts Gefühle bereits in der nächsten Szene (Spaziergang) wieder zur Lüsternheit, wobei diese innere Zerrissenheit freilich typisch für Faust ist.

Durch Gretchens Monolog wird deutlich, dass Faust durchaus Eindruck auf die gemacht hat, auch wenn sie ihn in „Straße“ noch abgewiesen und die körperliche Nähe, die er gesucht hat, nicht zulassen wollte. Das Auflösen der strengen Zöpfe ist wieder symbolisch: Die sittenstrenge, tugendhafte Jungfrau, als die sie sich am Tage präsentiert, wird abgelegt, wodurch die Gedanken an Faust und „ihre Schwäche“ (das Anlegen des Schmuckes) ermöglicht werden.   

Dass Gretchen den Schmuck anlegt, beschreibt ihre beginnende seelische Veränderung. Sie gibt ihren Wünschen immer mehr nach, obwohl sie weiß, dass diese nicht dem Anstand entsprechen; so wünscht sie bspw., dass der Schmuck ihr gehören würde, während ihre Mutter darin Teufelswerk erkennt (Spaziergang), was letztlich zu ihrem tragischen Schicksal führt. Andererseits zeigen sich hier die normalen Wünsche eines armen jungen Mädchens nach Anerkennung und sozialem Aufstieg.