Warum redet man beim Holocaust fast nur über jüdische Opfer und kaum über die anderen?

9 Antworten

Die europäischen Juden haben den Großteil der Opfer des Holocaust ausgemacht. Aber natürlich hast du recht, dass das nicht die einzigen Opfer waren, sondern dass neben ihnen auch Sinti und Roma aus rein "rassischen" Gründen ermordet worden sind.

Die anderen Opfer waren weltanschaulicher Natur, weil sie dem Welt- und Menschenbild der Nazis nicht entsprachen.

Was jedoch den wesentlichen Unterschied ausmacht, war die Art der Vernichtung, die auch den Namen Holocaust begründet: Während die weltanschaulichen Opfer der Nazis "ins KZ gesteckt" wurden, hat man die jüdischen Opfer nach Auslese der arbeitsfähigen Männer und Frauen sofort umgebracht und verbrannt. Das Wort "Holocaust" bedeutet "vollständig verbrannt".

https://de.wikipedia.org/wiki/Holocaust

Wer sich nur ein bisschen mit der Thematik beschäftigt, weiß auch über die zahllosen Opfer Bescheid, die nicht Juden waren. Was interessanterweise auch oft unerwähnt bleibt, sind die fast dreieinhalb Millionen sowjetischer Soldaten, die in deutscher Kriegsgefangenschaft starben; die meisten davon ließ man ganz einfach verhungern.


Gabel1953  21.06.2025, 11:12

Richtige Beurteilung.

Fantho  23.06.2025, 19:03

Auf den Punkt gebracht...

Gruß Fantho

Es ist absolut richtig und notwendig, dass der Holocaust in der Erinnerungskultur vor allem mit dem millionenfachen Mord an Jüdinnen und Juden verknüpft wird. Sie waren das zentrale Ziel der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie.

Eben.

Ihre systematische Verfolgung, Entrechtung und Ermordung in industriellem Maßstab macht den Holocaust einzigartig und muss deshalb im Mittelpunkt der Erinnerung stehen.

Genauso wird es gehandhabt, wenigstens von offizieller Seite.

Ohne diese Fokussierung würden wir die historische Realität verfälschen und die Bedeutung dieses unfassbaren Verbrechens nicht angemessen erfassen.

Wer will das denn? Wer tut das? Allenfalls Geschichtsleugner oder Geschichtsverfälscher!

Gleichzeitig darf das aber niemals dazu führen, dass die anderen Opfergruppen vergessen oder marginalisiert werden.

Das geschieht auch nicht, wenigstens von offizieller Seite.

Millionen von Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung, politische Gegnerinnen und Gegner, Homosexuelle, Zeugen Jehovas sowie viele weitere Gruppen wurden ebenfalls verfolgt, deportiert, gefoltert und ermordet, oft ebenfalls auf grausamste Weise. Ihr Leid ist Teil der nationalsozialistischen Gewalt und Vernichtungspolitik und muss genauso genau betrachtet und anerkannt werden.

Genau so geschieht es, wenigstens von offizieller Seite.

Wenn wir diese Gruppen in der Erinnerungskultur nicht genauso ausführlich würdigen, vermitteln wir unbewusst den Eindruck, ihr Leiden sei weniger wichtig oder weniger schützenswert. Das ist nicht nur falsch, sondern auch respektlos gegenüber den Opfern und ihren Nachfahren.

Diese Opferminderheit wird, was die historische Forschung angeht, in angemessener Ausführlichkeit berücksichtigt!

Eine wirklich verantwortungsvolle Erinnerungskultur stellt alle Opfer in den Fokus und erklärt die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus in ihrer gesamten Tragweite.

In Deutschland ist das so. In anderen Ländern mag das anders oder deutlich weniger so zu sein, aber darauf hat Deutschland kaum einen Einfluss.

Nur so können wir verhindern, dass sich solche Verbrechen wiederholen und wir geben allen Opfern die Anerkennung, die sie verdienen, ohne das zentrale Verbrechen des Holocaust zu relativieren. Das ist die Herausforderung, der wir uns immer wieder stellen müssen.

Die Herausforderung hat Deutschland seit vielen Jahrzehnten angenommen und bewältigt, wenigstens was die Geschichtsforschung und die offizielle Gedenkkultur angeht. Leider kann Deutschland seine historische Erfahrung nur mahnend der ganzen Welt zur Verfügung stellen, die aus der weltgeschichtlich einmaligen Massenvernichtung so vieler Menschen immer weniger Lernerfolge und Erkenntnisse zieht, sich immer wieder zu Massenmorden, Krieg und Zerstörung, also zu völlig Sinnlosem, hinreißen lässt. Dagegen ist Deutschland, ist die deutsche Politik, ist auch die Geschichtswissenschaft machtlos, zumal auch im eigenen Land eine zunehmende Zahl nicht zuletzt junger Menschen unwillig sind, sich mit Geschichte zu befassen, sondern lieber in Bildungslosigkeit (bewusst?) verharren. Aus dieser Gruppierung rekrutieren sich viele AfD-Wähler!

Woher ich das weiß:Berufserfahrung

In Auschwitz, dem größten Vernichtungslager, waren aus geografischen Gründen überwiegend Juden. Aber ich sehe auch einen anderen Grund, über verschiedene Opfergruppen nur ungern zu reden.

Linke und Christen zeigten auf, dass es durchaus die Option des Widerstands gab. Wobei viele von denen den Krieg tatsächlich überlebt haben. Das war belastete Täter und Mitläufer - und damit einen nicht unerheblichen Anteil der Deutschen nach dem Krieg. Man wollte nur Superhelden wie Stauffenberg, aber keine kleinen Pfarrer, Kommunisten, Sozialdemokraten im Widerstand.

Bei Homosexuellen und Roma gab es auch nach dem Krieg viele Vorbehalte. Die waren weiterhin aus der Gesellschaft ausgeschlossen.

Es ist völlig richtig, dass Millionen von Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung, politische Gegnerinnen und Gegner, Homosexuelle, Zeugen Jehovas sowie viele weitere Gruppen verfolgt, deportiert, gefoltert und ermordet wurden und dass das lange im Blick auf die Ungeheuerlichkeit des Holokaust nicht so beachtet worden ist, wie es geschehen wäre, wenn es den Holokaust nicht gegeben hätte

Doch der Fragesteller scheint sich in der Optik nicht ganz auszukennen und deshalb Sprachbilder nicht ganz zu verstehen.

In dem Fokus steht etwas, wenn es (aufgrund der unzureichenden Tiefenschärfe) nur dort ganz scharf zu sehen ist. Fotografen wählen deshalb auch große Blenden, um manches in den Fokus stellen zu können.

Der Satz "Eine wirklich verantwortungsvolle Erinnerungskultur stellt alle Opfer in den Fokus" zeugt von diesem unzureichenden Verständnis des Sprachbildes. Man kann nicht sieben Millionen in den Fokus stellen und acht oder zehn Millionen noch weniger. Verglichen mit Anne Frank stehen mehrere Millionen Opfer des Holocaust nicht im Fokus. Das bedeutet nicht, dass man nicht "allen Opfern die Anerkennung, die sie verdienen" gäbe. Opfer zu sein, ist kein Verdienst, das man anerkennen sollte.

Anne Frank wurde daran gehindert, die Schriftstellerin zu werden, die sie werden wollte. Sie hat nur ein Jugendwerk schaffen können. Ich kenne kein Jugendwerk von Goethe, das er im Alter von Anne Frank geschaffen hat, das so bekannt ist wie Annes Tagebuch. Das ist nicht Anne Franks Verdienst, sondern die Tragödie ihres Lebens. Viele Menschen haben über ihre Erfahrungen in der Zeit der von Hitler geplanten Judenvernichtung berichtet. Aber nicht alle sind so bekannt geworden wie Anne Franks Bericht. Das ist Teil ihres Schicksals.

Die Forderung, über alle Opfergruppen genau zu berichten, ist berechtigt. Alle "in den Fokus zu stellen" kann nur für jeden Einzelfall gesondert geschehen. Auch wenn man Viktor Klemperers Tagebücher von 1933-1945 liest, kann man nur jeweils einzelne Passagen "in den Fokus" stellen, ganz entsprechend bei Primo Levis Werk.

Die Frage "Ist das ein Mensch?" und Levis erschreckende Antwort stellt etwas in den Fokus, was in der Deutlichkeit meiner Kenntnis nie zuvor (und vielleicht nie wieder in solcher Dringlichkeit) in den Fokus gestellt worden ist. Nämlich dass in der Nazizeit millionenfach systematisch die Menschenwürde missachtet worden ist und versucht wurde, Menschen ihrer Würde ganz zu berauben. Dass dies durchaus nicht nur bei der Judenverfolgung, sondern auch bei vielen anderen Menschengruppen geschah, das sollte in der Öffentlichkeit nicht beiseite geschoben werden.

Es würde vielleicht auch helfen, bei den gegenwärtigen Krisen zu beachten, dass die Achtung der Menschenwürde allen Menschen zusteht.

Dass das oft vergessen wird, erklärt m.E., dass manche Diskussionen jetzt eine solche Schärfe annehmen, dass sie sogar vor Morddrohungen nicht Halt machen.


Die Nazis haben sich mit ihrer kranken und verbrecherischen Ideologie in ganz besonderer Weise auf die Juden gestürzt. Ein willkommener "Nebeneffekt" war auch, dass man sich an jüdischem Besitz bereichern konnte. So konnten dann auch ungebildete Versagertypen mit entsprechender Skrupellosigkeit ein Stück vom Kuchen abbekommen.