Eure Meinung zu der Aussage: "Es gibt zwar Intersexuelle, aber die sind kein 3. Geschlecht."?
58 Stimmen
14 Antworten
Menschen haben auch nicht drei Augen oder Arme, nur weil eine Laune der Natur bei den Genen mal eine Mutation bewirkt hat.
Intersex ist kein biologisches Zielgeschlecht (Das sollte bei normalen Verlauf nicht als Resultat rauskommen), deswegen ist es kein 3. Geschlecht.
Das hängt ganz von der Definition von "Geschlecht" ab.
Mir bleibt es ein Rätsel, warum man um diese Definition so viel Gedöns macht. Es gibt einige verschiedene Ansätze, wie man "Geschlecht" definieren kann. Bei jeder Methode bleiben Personen übrig, die in keine der Kategorien passen. Ob man ihnen nun das Fehlen eines binären Geschlechts, ein drittes Geschlecht oder ein Geschlecht aus einer großen Liste von Geschlechtern zuordnet, ist völlig willkürlich.
Die genaue Definition des Geschlechts ändert rein gar nichts. Weder die Gesellschaft noch die Individuen leiden darunter, wenn man das wissenschaftlich neutral anwendet. Trotzdem machen Rechts-Extreme und Erz-Konservative daraus ein Politikum, als ob das Abendland untergehen würde.
"Es gibt zwar Intersexuelle, aber die sind kein 3. Geschlecht."
Das kann man so sehen. Oder anders. Damit ist die Aussage indifferent, denn sie hängt zu 100% von der verwendeten Definition von "Geschlecht" ab.
Interessant fand ich diese Beiträge, die die Zahl von Geschlechtern im Tieren und in anderen Kulturen behandeln:
wissenschaftliche Definition würde ich vorziehen.
Die sagt, dass das Geschlecht ein Spektrum mit den zwei Extremen männlich und weiblich ist.
Research in this context needs to acknowledge that a binary model of only two mutually exclusive sexes is in conflict with both old and recent findings in biology, medicine and the humanities.
This binary model is based on presumptions that cannot accommodate the dynamics and complexity of the phenomena of sex development and expression, or the diversity of experiences of sex, gender and their meanings.
https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/medgen-2023-2039/html
Auch das ist überraschend schwierig.
Man beginnt oft mit der genetischen Definition, also dem Vorhandensein eines XY-Chromosoms. Aber was ist dann mit YY, XYY oder XXY? Solche und weitere Kombinationen kommen vor.
Also könnte man auf die Existenz eines Y-Chromosom zurückgreifen. Das kann aber auch fragmentarisch vorhanden sein, z.B. XX+ ein halbes Y. Es kann auch ein 1%-Bruchstück Y im Erbgut sein. Mit zunehmendem Alter kann es auch zum "mosaikartigen Verlust des Y-Chromosoms" kommen, sodass die Definition je nach ausgesuchte Zelle nicht mehr passt.
Jetzt kann man auch auf den Phänotyp zurückgreifen, also auf das Äußere. Hier sind durch Dopingtests einige Sportlerinnen aufgefallen, die ungewöhnlich hohen Testosteronwerte haben. Sie sind genetisch männlich, haben aber einen Gendefekt im Testosteron-Rezeptor. Darum haben sie keine männlichen Geschlechtsausprägungen, also Genitalien, Körperbau, Behaarung usw. Ihr Leben lang dachten sie, sie wären Frauen und erst ein Gentest zeigte ihnen, dass das nicht so ist. Das betrifft wahrscheinlich noch sehr viel mehr Personen, die mangels Gentest nichts davon wissen.
Wie verbreitet Mehrgeschlechtlichkeit in der Biologie ist, kann man im oben genannten Link nachlesen. Warum das ausgerechnet bei Menschen 100% binär sein soll, erschließt sich aus wissenschaftlicher Sicht nicht.
Die Ethnologie ist auch eine Wissenschaft. Wenn es eine größere Zahl von Gesellschaften gibt, in denen mehr als 2 Geschlechter als etwas völlig natürliches betrachtet werden, ist die Beschränkung auf 2 in Europa/USA kein überzeugendes Argument mehr.
Aber man kann sich bewusst dazu entscheiden:
- Ich nutze als Definition dass es 2 Geschlechter gibt, männlich und weiblich. Dann gibt es eine Reihe von Personen, die sich nicht eindeutig zu einem der beiden zuordnen lassen. Diese Gruppe nenne ich "nez": "nicht eindeutig zuzuorndnen"
Das ist wissenschaftlich valide und zuverlässig. Niemand, der eine solche Definition einsetzt, könnte dafür kritisiert werden. Und falls eine andere Definition verwendet wird, ist auch das okay und kein Anlass für Kritik.
Die Frage ist nur: Welche Wörter nutzen wir für welche Erscheinungsformen. Mehr ist an dem Thema nicht dran. Ein Grund zur Aufregung ist das überhaupt nicht, auch wenn z.B. Herr Trump, Herr Putin oder die AfD einen riesigen Aufreger daraus basteln wollen.
Ich nutze als Definition dass es 2 Geschlechter gibt, männlich und weiblich. Dann gibt es eine Reihe von Personen, die sich nicht eindeutig zu einem der beiden zuordnen lassen. Diese Gruppe nenne ich "nez": "nicht eindeutig zuzuorndnen"
Die nennt man intersexuell oder intergeschlechtlich.
Da die Definition des Geschlechts nicht wissenschaftlich ergründbar ist sondern eine Frage der Definition, also eine gesellschaftliche Konvention, ist es nicht sinnvoll eine "wissenschaftliche Studie" durchzuführen.
Doch.
Aus dem Planeten Pluto wurde ein Zwergplanet.
Und das in Naturwissenschaften.
Wortdefinitionen sind keine Naturkonstanten.
Ja, das kann man gerne auch "intersexuell" oder "intergeschlechtlich" nennen. Oder man macht die Abstufung noch feiner, um z.B. Personen mit XY-Chromoson und rein weiblichen Körpermerkmalen (Testosteron-Rezeptor-Defekt) zu ermöglichen, als "Praktisch-Frau" an Sportwettkämpfen teilzunehmen. Da sie nicht von ihren Gegen profitieren und so keinen Vorteil aus der irregulären Konstellation ziehen, kann man das als "fair" betrachten. Die Kategorie "intersexuell" würde sie dagegen von sportlichen Wettkämpfen ausschließen.
Egal, wie man die Definition auch erweitert, es finden sich immer Ausnahmen, für die die Zuordnung nicht sinnvoll ist. Das gilt nicht nur für Geschlechter in der Biologie, sondern auch für Blutgruppen (für die es weit mehr unterschiedliche Ansätze gibt als die AB0-Methode), Jahreszeiten und sogar der Wahrheitsgehalt mathematischer Sätze: siehe Gödel'scher Unvollständigkeits-Satz . Wenn sogar bewiesen wurde, dass es kein mathematisches System gibt, in dem man zu jedem Satz sagen kann, ob er wahr oder falsch ist, wieso sollte das auf etwas so verschwommenes wie den biologischen Begriff des "Geschlechts" zutreffen?
Geisteswissenschaftlich, nicht naturwissenschaftlich, ja.
Diese Formulierung ist mehrdeutig. Ist die Interpunktion anders gesetzt, als es gemeint war?
In der Ethnologie werden Studien zur Definition von "Geschlechtern" in verschiedenen Gesellschaften durchgeführt - siehe Link in meiner Antwort. Man kann auch psychologische Studien dazu durchführen.
Die Einteilung in 4 bzw. 6 Geschlechter ist auch biologisch begründbar. Auch dann gibt es noch Personen, die nicht ins Schema passen.
Google mal den Unterschied zwischen Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft. Danke.
In keiner Wissenschaft ist eine Wortdefinition eine Konstante.
Und mit Pluto hab ich dir ein Beispiel gegeben, dass es auch in Naturwissenschaften zu Änderungen von Definitionen kommt.
Es würde mich freuen, wenn wir wieder zum Thema zurückkommen könnten. Über die Geschlechter-Definition wird so fröhlich wie gewalttätig argumentiert, dass man den Kampf nicht auf Unterschiede zwischen Natur- und Geisteswissenschaften ausweiten muss - der an sich schon bei einzelnen Disziplinen strittig ist.
Ich bin mit der Behauptung, dass das biologische Geschlecht ein Spektrum wäre, nicht einverstanden. Ich bin damit einverstanden, wenn man sagt, dass es in Bezug auf das Geschlecht verschiedene geschlechtsbezogene Anomalien gibt, die man beachten sollte, wenn man Menschen fair behandeln will.
Die Mehrheit der Menschen ist entweder biologisch männlich oder weiblich und identifiziert sich auch entsprechend. In der Regel sind diese Menschen auch zeugungsfähig. Hormonstörungen, Missbildungen oder Genmutationen sind kein "Geschlechtsspektrum", sondern Störungen.
nicht einverstanden.
Und andere Menschen können gut begründen, warum ein mehrdimensionales Spektrum die vorhandenen Fakten am besten beschreibt.
Sicher kann man dieses Thema, ob das biologische Geschlecht ein Spektrum sei, soziologisch, psychologisch und philosophisch diskutieren. Ergebnisse solcher Diskussionen sind aber keine harten Fakten wie in der Naturwissenschaft (z.B. eindeutiger Nachweis eines Virus), sondern es bleibt Interpretation und Interpretation unterscheidet sich je nach Land, Kultur, persönlicher Erfahrung, Lehre, Bildung, Konzept usw.
wieso es kein Spektrum ist...
wo steckst du eine XY-Frau mit vollständiger Androgenresistenz rein?
Die Mehrheit der Menschen ist entweder biologisch männlich oder weiblich und identifiziert sich auch entsprechend.
Das ist korrekt. Ich denke, über die große Mehrheit der eindeutigen Zuordnungen möchte niemand diskutieren, weil das als geklärt betrachtet wird.
In der Regel sind diese Menschen auch zeugungsfähig.
Auch das trifft zu. Allerdings geht es bei Geschlechter-Fragen um die Ausnahmen der Regel.
Hormonstörungen, Missbildungen oder Genmutationen sind kein "Geschlechtsspektrum", sondern Störungen.
Hier wird es zur Frage von Meinungen: Ab wann ist eine selten anzutreffende Eigenschaft eine "Störung"? Sind z.B. blaue Augen eine Pigmentstörung oder eine individuelle Eigenschaft?
"Männer" mit XYY haben nur wenige Auffälligkeiten (Quelle, Quelle). Manche Betroffene sind besonders groß. Darum ist diese genetische Abweichung auch bei professionellen Basketballspielern häufiger zu finden als in der Durchschnittsbevölkerung. Ist diese selten anzutreffende Variante dann eine "Störung"? Als Krankheit wird sie nicht betrachtet.
Was als "Störung" und "Krankheit" bezeichnet wird, ist nur eine gesellschaftliche Konvention.
Ich bin mit der Behauptung, dass das biologische Geschlecht ein Spektrum wäre, nicht einverstanden.
Hast du das Paper gelesen? Die Begründungen für die Sicht als Spektrum ist überzeugend. Das ist auch durchaus kompatibel mit der Definition von 2 Geschlechtern und man reduziert das Problem von Individuen, die nicht eindeutig zuzuordnen sind. Es gibt damit gar keine Notwendigkeit an einer eindeutigen Zuordnung, aber möglich ist das immer noch.
Die Idee des Geschlechter-Spektrums ist aus wissenschaftlicher Sicht in sich schlüssig und überzeugend. Sie beschreibt die Ausprägungen der Geschlechter umfassender als die Einteilung in M+W+Intersexuell.
Inzwischen ist es möglich, aus Zellen einer Person männliche und weibliche Keimbahnen zu züchten und daraus eine befruchtete Eizelle zu "basteln". Das wäre eine Möglichkeit am aktuellen Klonverbot vorbei eine Kopie eines Menschen zu erstellen. So weit ich weiß, macht das noch niemand, aber wenn die Entwicklung so weiter läuft wie bisher, wird man nicht lange auf solche Experimente warten müssen. Was bedeutet dann noch "zeugungsfähig", wenn die Zell-Abkömmlinge einer Person gleichzeitig die Vater- und Mutterrolle bei der Zeugung spielt?!?
Aus wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Sicht sind die Zeiten von Mann/Frau/unbedeutender Rest nicht mehr zeitgemäß. Für 99% der üblichen Lebens reicht die binäre Einteilung allerdings aus.
Interpretation unterscheidet sich je nach Land, Kultur, persönlicher Erfahrung, Lehre, Bildung, Konzept usw.
Das trifft zu. Dabei sind die verschiedenen Konzepte in sich schlüssig und haben alle ihren gesellschaftlichen Sinn. Dass die meisten Zentraleuropäer zu einer binären Einteilung tendieren, ist gesellschaftlicher Konsens und uns kulturell und sprachlich eingeprägt. Das geht mir ebenfalls so.
Die harten Fakten der Naturwissenschaft sind komplexer. Hier entzieht sich die Realität von Phänotyp und Genotyp der eindeutigen Einteilung in männlich oder weiblich. Die Variation der Sichtweisen hat also eine biologische Basis.
Das ist nebenbei auch aus soziologischer und psychologischer Sicht interessant: Wenn es Kulturen mit ganz verschiedenen Definitionen für Geschlechter inkl. deren Anzahl gibt, wäre es ein gewisser unwahrscheinlicher Zufall, wenn ausgerechnet meine Definition die richtige wäre.
In der Kosmologie ist diese Betrachtung ein übliches Werkzeug: höchstwahrscheinlich ist Umgebung unserer Sonne und Galaxie nicht anders als im Rest des Universums. Das kann man auch auf die Diskussion über Geschlechter anwenden: Wäre ja komisch, wenn ausgerechnet die Sichtweise der eigenen Kultur die richtige ist und alle anderen Kulturen falsch lägen.
Bemerkung: Danke für die sachlich geführte Diskussion. Unsere Meinungen sind unterschiedlich und wir sprechen darüber, ohne uns zu beleidigen oder persönlich zu attackieren. Ich verteile hier keine Votes, sondern tausche lieber Argumente aus.
Und ich kann gut begründen, wieso es kein Spektrum ist...
Erkläre deine Begründung genauer.
Ich stimme zu
LG BSK⁴³²¹
Ein drittes Geschlecht müsste ja ganz anders aussehen. Eine Mischform oder Abwandlung ist nicht wirklich was neues.
Die sind einfach ein mix aus den einzigen zwei existierenden Geschlechtern.
Die biologische, wissenschaftliche Definition würde ich vorziehen.