Wieso gibt es den weiblichen Orgasmus?

16 Antworten

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Mit dieser Frage haben sich Evolutionsbiologen schon sehr ausgiebig beschäftigt. Anders als beim Mann, wo der Orgasmus ja üblicherweise notwendig für den Samenerguss und damit essentiell für die Fortpflanzung ist, müssen Frauen nicht zum Orgasmus kommen, um sich fortzupflanzen. Eine mögliche Erklärung der Forscher ist folgende: die durch den Orgasmus ausgelösten Kontraktionen von Scheiden- und Uterusmuskulatur könnten wie eine Pumpe wirken und das Sperma regelrecht einsaugen. Dadurch würde sich die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung erhöhen.

Vor einiger Zeit stellten die Biologen Mihaela Pavlicev, Günter P. Wagner und ihr Team eine neue Hypothese auf, mit der sich der weibliche Orgasmus erklären ließe.
Es ist bekannt, dass prinzipiell alle weiblichen Säugetiere anatomisch in der Lage sind, einen Orgasmus zu bekommen. Eine Clitoris haben nämlich alle höheren Säugetiere, nicht nur die Primaten. Setzt man voraus, dass die Clitoris aller Säugetiere homolog ist (von einem gemeinsamen Vorfahren ererbt und somit im Lauf der Evolution nur ein einziges Mal entstanden), dann muss der weibliche Orgasmus also schon sehr früh in der Evolution der Säugetiere entstanden sein, nämlich spätestens bei dem unmittelbaren gemeinsamen Vorfahren aller heute lebenden höheren Säugetierarten.
Außerdem weiß man schon seit langem, dass bei einigen Säugetierarten die Ovulation (der Eisprung) nicht, wie bei den meisten Säugern einschließlich des Menschen, spontan erfolgt, sondern der Eisprung erst durch die Begattung ausgelöst wird. Man spricht in diesen Fällen von einer so genannten induzierten Ovulation. Eine solche induzierte Ovulation erfolgt beispielsweise bei Kaninchen, Katzen und Lamas.
Diese beiden Beobachtungen führten die Wissenschaftler zusammen und leiteten ein daraus ein neues Modell zur Entstehung des weiblichen Höhepunkts ab, das ovulatory homolog model des weiblichen Höhepunkts. Es geht davon aus, dass bei den ersten Säugetieren der Eisprung induziert wurde und dass der weibliche Orgasmus entstand, um den Eisprung auszulösen. So wie also der männliche Orgasmus den Samenerguss induziert, wäre bei den frühen Säugern der Orgasmus notwendig gewesen, um auch den Eisprung auszulösen. Später entwickelte sich bei vielen Säugerlinien dann sekundär der spontane Eisprung, bei dem der Deckakt selbst nicht mehr notwendig ist. So auch beim Menschen, bei dem der Eisprung bekanntlich spontan in einem rund 28 Tage dauernden Zyklus erfolgt. Der weibliche Orgasmus ist dann zwar für diese Arten heute nicht mehr notwendig, habe sich aber als evolutionäres Erbe der Vorfahren mit induzierter Ovulation bis heute erhalten. Erste Hinweise auf dieses neue Erklärungsmodell lieferten den Forschern vergleichende anatomische Studien. Sie stellten fest, dass sich bei Tieren mit induzierter Ovulation der Kitzler deutlich näher am Ausgang der Vagina befindet und damit stärker bei der Paarung stimuliert wird. Bei Arten ohne induzierte Ovulation hingegen liegt die Klitoriseichel weiter weg vom Scheidenausgang und wird beim Sex nicht direkt stimuliert.

Schließlich wollten die Forscher ihre Hypothese aber auch experimentell testen und entwarfen einen Versuch. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im vergangenen Jahr in der Fachzeitschrift PNAS.
Ihre Untersuchungen führten sie an Kaninchen durch, bei denen bekannt ist, dass die Ovulation induziert ist. Sie nahmen weibliche Kaninchen und teilten diese auf zwei Gruppen auf. Der ersten Gruppe verabreichten sie das Medikament Fluoxetin. Dieses Medikament ist ein Antidepressivum, das als bekannte Nebenwirkung das Ausbleiben eines Orgasmus' (Anorgasmie) hat. Die andere Gruppe diente als Kontrolle und bekam das Medikament nicht. Nun ließen sie die Kaninchen mit einem Rammler zusammen und notierten, wie häufig es in den beiden Gruppen zu einem Eisprung kam. Das Ergebnis: die Kaninchen, denen man das orgasmus-hemmende Mittel verabreicht hatte, hatten signifikant weniger Ovulationen als die Kontrollgruppe. Insgesamt gab es rund 30 % weniger Ovulationen in der Testgruppe als in der Kontrollgruppe. In einem zweiten Test verabreichten sie den Kaninchen Fluoxetin und zusätzlich das Hormon hCG (humanes Choriongonadotropin), um den Eisprung künstlich auszulösen. Dies machten die Forscher, um auszuschließen, dass der Eisprung durch das Medikament selbst verhindert wird und nicht durch das Ausbleiben des Orgasmus. In diesem Versuch stellten die Forscher keinen signifikanten Unterschied zur Kontrollgruppe fest. Somit kann darauf geschlossen werden, dass der beobachtete Effekt tatsächlich auf das Ausbleiben des Höhepunkts zurückgeführt werden kann.
Der Versuch hat gezeigt, dass die neuartige Erklärung also sehr plausibel ist. Allerdings muss man auch sagen, dass dieses Experiment mit Vorsicht zu genießen ist. So war die Stichprobenzahl nur sehr gering. Um die Hypothese weiter zu testen, sind in Zukunft deshalb noch weitere und umfangreichere Untersuchungen notwendig.

Heute erfüllt der Orgasmus der Frauen wahrscheinlich ganz andere Funktionen und ist wahrscheinlich auch deshalb erhalten geblieben. So ist beispielsweise bekannt, dass beim Orgasmus das "Kuschelhormon" Oxytocin freigesetzt wird. Dieses Hormon löst das Bedürfnis nach Nähe zum Partner nach dem Sex aus und steigert Eifersuchtsgefühle. Kurzum, es fördert die monogame Bindung, was wiederum gut für den Nachwuchs ist - denn anders als bei den meisten Säugern ist das Großziehen der Kinder derart aufwändig, dass sich daran auch der Mann beteiligen muss. Die monogame Bindung zu stärken ist also durchaus im Interesse der Frau. Aber auch im Interesse des Mannes, denn er kann so das Risiko verhindern, dass eine Frau ihm ein "Kuckuckskind" unterjubelt.

Quellen
Pavlicev, M., Zupan, A. M., Barry, A., Walters, S., Milano, K. M., Kliman, H. J., Wagner, G. P. (2019). An experimental test of the ovulatory homolog model of the female orgasm, PNAS, 116(41), S. 20267-20273.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig
NataschaSwiss 
Fragesteller
 10.06.2020, 20:10

Wow, OMG was für eine ausführliche Antwort, danke vielmals !!!

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Als unsere fischartigen Vorfahren noch äußerliche Befruchtung praktiziert haben, war es auch notwendig das die Weibchen auf dem Höhepunkt des Fortpflanzungsaktes ihr genetisches Material raus hauen.

Schon allein die Tatsache dass das Belohnungssystem im Gehirn durch den Organismus stimuliert wird, sollte den Mechanismus evolutionär rechtfertigen, wenn er so dazu beiträgt die Weibchen dazu annimmt deswegen den Akt zu vollziehen. Oder dass sie sich an den Partner bindet.

Ich habe auch mal irgendwo gelesen, dass sich beim weiblichen Orgasmus der PH Wert Vaginale ändert was die Überlebenschancen für Sermien verbessert. Außerdem bewegt sich wohl der Muttermund beim weiblichen Orgasmus wodurch Sperma besser in die Gebärmutter eindringen kann.

Macht also biologisch schon Sinn.

NataschaSwiss 
Fragesteller
 10.06.2020, 17:03

wow - super Antwort !!

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Beim Höhepunkt saugt der Muttermund quasi das Sperma etwas an und somit gelangt es besser in die Frau und die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft wird in der Natur erhöht. Da gab es mal eine super Dokumentation auf Ntv glaube ich. 🤔

Und es muss eben auch Spaß machen, daher werden viele Hormone ausgeschüttet das es oft gemacht wird.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Lebenserfahrung. (:

Denke das liegt daran, das im Embryonalen Status die primären geschlechtsorgane für beide Geschlechter gleich sind.
Erst später entwickelt sich daraus das jeweilige Geschlecht.
Deswegen denke ich haben Frauen und Männer einen orgasmus.

NataschaSwiss 
Fragesteller
 10.06.2020, 17:02

Wow, super Antwort

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