Wie reagieren Jehovas Zeugen, wenn ihre Kinder oder Interessierte unfähig sind, zu verkündigen?
Hm..., unfähig oder unwillig? 😁
Es gibt auch Unfähigkeit. Genauso wie es Lernbehinderungen, Gedächtnisschwund etc. gibt.
3 Antworten
In der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas gilt der Predigtdienst also das Missionieren an der Haustür, auf der Straße, per Brief oder auch hier auf Gutefrage nicht als freiwillige Entscheidung, sondern als verpflichtender Teil der „wahren Anbetung“.
Der Predigtdienst also das Missionieren an ist bei den Zeugen Jehovas Voraussetzung um sich taufen zulassen.
Entsprechend ist die Erwartungshaltung klar: Wer zur Gemeinschaft gehören will, muss predigen.
Kinder von Zeugen Jehovas wachsen meist mit dem Ziel auf, selbst einmal aktiv zu predigen. Viele gehen schon ab dem Grundschulalter mit ihren Eltern oder anderen Zeugen von Tür zu Tür. Quasi als „Türöffner“, wer schlägt einem Kind schon die Tür vor der Anse zu..
- Wer sich weigert oder Angst hat, wird nicht direkt bestraft, aber emotional beeinflusst. Aussagen wie „Jehova freut sich, wenn du mutig bist“ oder „Du möchtest doch sicher nicht, dass die Menschen verloren gehen“ erzeugen sanften, aber wirksamen Druck.
- Manche Eltern stellen auch Vergleiche mit anderen Kindern her oder äußern Enttäuschung, wenn der eigene Nachwuchs zögert.
- Kinder, die dauerhaft nicht mitmachen wollen, gelten in der Versammlung schnell als „schwach im Glauben“ oder „nicht vorbildlich“ gerade wenn sie etwas älter werden als als jugendliche gelten. Das kann zu subtiler Ausgrenzung führen – auch unter Gleichaltrigen.
Wenn sich jemand für ein "Bibelstudium" mit den Zeugen Jehovas interessiert, wird meist frühzeitig zur Beteiligung am Predigtdienst ermutigt.
Wer zögert oder den Predigtdienst ablehnt, gilt bald als „nicht bereit für Fortschritt“. Die Aussicht auf Taufe wird dann still zurückgestellt...
In der Literatur wird vermittelt, dass echter Glaube sich durch „Taten“ zeigen müsse. Und Taten sind für Zeugen Jehovas primär der Missionierungsdienst. Der Dienst ist demnach ein Prüfstein der Aufrichtigkeit.
Die Zeugen Jehovas vermeidet offene Bestrafungen, setzt aber auf ein System aus Anerkennung und subtiler Entwertung:
- Wer regelmäßig predigt, wird gelobt, erwähnt, gefördert.
- Wer zurückhaltend ist, bekommt selten Aufgaben, wird nicht eingeladen, gilt als „wenig eifrig“.
Das System selbst baut Druck auf, auch wenn es mit „Liebe“ und „geistiger Förderung“ umschrieben wird.
Besonders bei Kindern oder stilleren Persönlichkeiten kann der Druck zu Schuldgefühlen, Selbstzweifeln oder seelischer Überforderung führen. Aber darüber wird selten bis gar nicht offen gesprochen – Zweifel gelten als Schwäche, Angst als mangelnder Glaube.
Wer nicht predigt, passt nicht ganz hinein.
Ob Kind oder Interessierter, wer den Predigtdienst nicht leisten kann oder will, wird nie als vollständig integriert gelten. Man wird zwar nicht ausgeschlossen, aber nie ganz dazugehören.
Die Reaktion auf „Unfähigkeit“ ist keine Strafe, sondern ein leises, systemisches Aussortieren, das Betroffene häufig selbst gar nicht richtig benennen können.
Ja, Gehirnwäsche ist das strategische Fundament jedes autoritären Systems, weil sie Menschen dazu bringt, freiwillig das zu verteidigen, was ihnen ihre Freiheit nimmt.
Interessante Darstellung und Erklärung. Danke!
Was mir beim Lesen gekommen ist: Wie gehen die Zeugen Jehovas mit geistig Behinderten um? Haben die überhaupt einen "Platz" in ihren Versammlungen?
Ein Platz im Versammlungssaal ja, aber nicht im System
In der Praxis erlebt man, dass Gemeindemitglieder der Zeugen Jehovas durchaus freundlich und zugewandt mit Menschen umgehen, die eine geistige Behinderung haben. Oft sind es Eltern, Geschwister oder betreuende Personen, die diese Menschen in die Zusammenkünfte integrieren, soweit es eben geht. Es herrscht, ganz im Sinne christlicher Nächstenliebe, eine gewisse Grundsympathie.
Allerdings ist die Integration, wie so oft bei den Zeugen Jehovas, rein privat organisiert.
Es gibt keine systematisch geschulten Ansprechpersonen, keine seelsorgerische oder pädagogische Fachkompetenz, und keine strukturelle Begleitung, wie man sie etwa in inklusiven Kirchengemeinden oder freien christlichen Werken findet.
Die Organisation selbst basiert auf einer klaren Leistungsethik:
Die sogenannte Verkündigerlogik (Verkündiger = Missionierer) führt dazu, dass geistig beeinträchtigte Menschen zwar anwesend sein dürfen, aber keine aktive Rolle im Gemeindeleben übernehmen. Sie haben in der „geistigen Familie“ keinen Auftrag, keine Funktion, keine Stimme.
Die Organisation delegiert die Verantwortung stillschweigend an Eltern oder gesetzliche Betreuer und das in einem System, das sonst kaum etwas dem Zufall überlässt. Eine solche Lücke ist bemerkenswert und bezeichnend.
Hinzu kommt ein tieferliegendes Problem: Viele Zeugen Jehovas nicht alle, aber auffallend viele sehen Psychologie und Psychotherapie mit großer Skepsis, teils als „weltlich“ oder gar gefährlich. Zwar hat sich die offizielle Sprache in den letzten Jahren leicht geöffnet („manche Brüder nehmen professionelle Hilfe in Anspruch“), doch:
Es gibt keine seelsorgerische Ausbildung, weder für Älteste noch für Verkündiger.
Psychische oder geistige Probleme werden häufig rein religiös gedeutet – als Zeichen von mangelndem Glauben, unzureichendem Bibelstudium oder schlechter Gesellschaft.
Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung fallen so vollständig durch das Raster der Organisationslogik.
Systematische Schulungen für Älteste, professionelle Betreuungskonzepte oder inklusive Strukturen wären nicht nur komplex, sie wären kostenintensiv, ohne direkt messbaren Vorteil für die Organisation. Entsprechend unterbleiben sie.
Unterm Strich lässt sich sagen:
Geistig beeinträchtigte Menschen haben einen Platz im Versammlungsgeschehen wenn andere ihnen diesen eröffnen. Doch die Organisation selbst hat keinen Platz für sie vorgesehen.
Ihre Anwesenheit wird nicht behindert, aber auch nicht gefördert. Ihre Existenz wird nicht geleugnet, aber auch nicht bedacht. Es bleibt ein neutraler Raum und dieser spricht für sich.
Das "Verkündigen" ist ein persönlicher Ausdruck des Glaubens. Die Form und den zeitlichen Umfang ist eine persönliche Angelegenheit jedes Einzelnen. Es wird daher lediglich gefragt ob man sich, egal in welcher Form und Ausmaßes, sich an dem Auftrag von Jesus aus Matthäus 28,19 beteiligen konnte. Damit gibt es einen Überblick über die Zahl der "Aktiven" in den einzelnen Regionen.
Die Aussage von Berliner926, das Verkündigen sei bloß ein „persönlicher Ausdruck des Glaubens“, ist in dieser Form irreführend und entspricht nicht der gelebten Realität in der Organisation der Zeugen Jehovas.
Wer sich bei den Zeugen Jehovas taufen lassen möchte, muss zwingend vorher als sogenannter „ungetaufter Verkündiger“ aktiv am Predigtdienst teilnehmen. Ohne diese Tätigkeit und den dazugehörigen monatlichen Bericht ist eine Taufe nicht möglich.
Der Predigtdienst , also das aktive Missionieren von Haus zu Haus (wahlweise "Trolley-Dienst") ist keine freiwillige Glaubenspraxis, sondern eine Pflicht.
Die Behauptung, es gehe lediglich um einen "persönlichen Ausdruck" ist deshalb nicht haltbar. Wer nicht predigt, gilt als inaktiv, ein sogenannter "Untätiger" und wird in den internen Statistiken nicht gezählt und verliert faktisch seinen religiösen Status innerhalb der Gemeinschaft.
Es handelt sich also nicht um eine persönliche Glaubensäußerung, sondern um eine organisationsinterne Vorschrift mit sozialen, geistigen und strukturellen Konsequenzen.
Das ist aber erst seit kurzer Zeit so geregelt worden. Warum hast du das nicht erwähnt?
Jehovas Zeugen finden den Predigtdienst sehr wichtig für ihren Glauben. Wenn Kinder oder Interessierte nicht predigen können oder wollen, sehen die das als schlechten "geistigen Fortschritt" oder fehlende Hingabe. Bei Kindern kann das echt Druck machen, bei Interessierten kann das die Taufe verzögern oder verhindern. Die Gemeinde versucht dann oft, die Person zu motivieren und zu schulen, damit sie mitmacht, weil der Predigtdienst wichtig für die volle Integration ist.
Liebe 🌞 Grüße
Die Gehirnwäsche ist bei dem Verein allgegenwärtig.