Ich denke, es gibt mehrere Szenarien.
Das, was für mich derzeit am realistischsten erscheint, ist eine Stagnation.
Die Führung die sogenannte „Leitende Körperschaft“ hält weitgehend am bestehenden System fest: absolute Autorität, keine echte Offenheit, kaum oder gar keine Reformbereitschaft.
In westlichen Ländern schrumpft die Organisation zunehmend, während sie in strukturschwachen Regionen weiter wächst durch aggressive Missionstätigkeit und das gezielte Ansprechen von Menschen in schwierigen Lebenssituationen. In den wohlhabenderen Ländern hingegen wird sie immer mehr als sektenartig, weltfremd und veraltet wahrgenommen.
Vor allem jüngere Mitglieder wenden sich langsam, aber stetig ab. Manche kehren ihr noch den Rücken, andere bleiben aus Angst oder familiären Gründen. Kurzfristig könnten globale Unsicherheiten nochmal kleinere Wachstumsimpulse bringen aber der generelle Trend bleibt stagnierend bis rückläufig.
So bleibt eine Organisation bestehen, die zwar weltweit aktiv ist, aber kulturell und geistig zunehmend isoliert wirkt.
Dieses Szenario scheint gegenwärtig das wahrscheinlichste zu sein.
Ein weiteres und das wünschenswerteste Szenario wäre eine Reformation, ähnlich wie sie in Teilen bei den Adventisten stattgefunden hat.
Einige Führungspersonen erkennen: Der bisherige Kurs ist langfristig nicht haltbar. Reformen setzen ein mehr Transparenz, ein anderer Umgang mit Kritik, eine Entstigmatisierung von Zweifeln, Kritik und Ausstieg.
Die Gemeinschaft wandelt sich zu einer moderaten, spirituellen Bewegung mit biblischer Ausrichtung, aber ohne sektenhafte Kontrolle. Das Kollektiv bleibt bestehen, aber mit einem offeneren, menschlicheren Charakter so, wie es bei vielen Adventistengemeinden heute bereits der Fall ist.
Ein weiteres Szenario wenn auch weniger wahrscheinlich, wäre das eines langsamen Ausblutens.
Es kommt weder zu großen Skandalen noch zu tiefgreifenden Reformen. Vielmehr verlaufen die Veränderungen leise durch schleichendes Abwandern, altersbedingtes Wegsterben und das Ausbleiben einer nachrückenden Generation.
Der harte Kern bleibt bestehen, aber die Substanz schwindet. Die Organisation existiert weiter jedoch als Randgruppe mit geringer gesellschaftlicher Relevanz. So ist es auch bei Bewegungen wie den Christadelphians, den Shakern oder den Milleriten geschehen.
Solch ein Prozess könnte jedoch stark beschleunigt werden, wenn Skandale etwa weitere sexueller Missbrauch, Vertuschung, Finanzintransparenz öffentlich werden und sich gleichzeitig eine kritische Masse über Plattformen wie YouTube, TikTok und Podcasts usw. vernetzt und Gehör verschafft.
Denkbar, wenn auch aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich, wäre ein Szenario der Radikalisierung.
Die Organisation zieht sich immer weiter aus der Öffentlichkeit zurück, wird misstrauischer, autoritärer, extremer. Mitglieder kapseln sich stärker ab, leben ganz „in der Wahrheit“ und immer stärker gegen „die Welt“. Aussteiger werden strikter behandelt, Kritiker gelten als Feinde Jehovas. Die apokalyptische Rhetorik wird verschärft, um die Bindung an die Gruppe zu festigen.
Ein solches Szenario wäre vergleichbar mit Entwicklungen bei Gruppen wie Scientology also ein Rückzug in die Ideologie, mit wachsender Kontrolle und zunehmender Abschottung.
Ich hoffe, dass es zu Reformen kommen wird. Die Adventisten, die historisch eng mit den Zeugen Jehovas verbunden sind, könnten ein gutes Vorbild dafür sein. Aber ohne einen gewissen Druck von außen, wird es vermutlich zu keinen größeren Reformen kommen.