Wie kann ein Christenmensch zugleich freier Herr und niemandem Untertan und zugleich Dienstbarer Knecht und jedermann Untertan sein?

4 Antworten

Hallo,

das Zitat ist aus "Von der Freiheit eines Christenmenschen" von Martin Luther und lautet vollständig: "Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht und jedermann Untertan."

Die beiden Sätze widersprechen sich ganz offensichtlich. Daher kann die Aussage, wenn man sie wörtlich nimmt, logisch betrachtet unmöglich wahr sein. Beide Sätze meinen aber im Kontext von Luthers Theologie unterschiedliche Dinge:


1. "Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan."

Dieser Satz bezieht sich auf die Ordnungen, welche die mittelalterliche Kirche erlassen hat. Ein Christenmensch muss sich den kirchlichen Ordnungen nicht unterordnen. Wenn man gegen kirchliche Traditionen oder das Kirchenrecht verstößt, begeht man keine Sünde gegen Gott. Der Mensch ist in diesem Sinne frei davon. Ich werde das an drei Beispielen erläutern:

Ein freier Christenmensch muss sich nicht an Klostergelübte halten; auch dann nicht, wenn er die Gelübte freiwillig abgelegt hatte (was damals nicht immer der Fall war).

Er muss z.B. nicht an bestimmten Tagen oder in bestimmten Jahreszeiten fasten (z.B. jeden Freitag, 40 Tage vor Ostern und in der Adventszeit). Evangelische Christinnen und Christen dürfen aber fasten. Für Luther war das Fasten durchaus eine nützliche Übung. Allerdings begeht man keine Sünde gegen Gott, wenn z.B. am Freitag ein Ei isst (was nach den mittelalterlichen Fastenregeln verboten war).

Ein freier Christenmensch muss sich nicht an das Kirchengesetz halten mindestens 1x pro Jahr zur Beichte zu gehen. Das bedeutet nicht, dass evangelische Christen nach Luther nicht mehr zur Beichte gehen sollten. Sie sollen das aber nicht aufgrund einer kirchlichen Vorschrift machen, sondern sollen das irgendwie freiwillig aus ihrem Glauben heraus machen. Im Großen Katechismus schreibt Luther z.B. dass evangelische Christen, die nicht freiwillig zur Beichte gehen Schweine seien, für die es besser wäre, wenn sie wieder unter dem Papst seien, wo man sie zu mehr Fasten und Beichten zwingen würde, als jemals zuvor. Die Buße ist nach lutherischer Lehre ein von Christus selbst eingesetztes Gnadenmittel. Allerdings ist der Verstoß gegen ein von der Kirche erlassenes Gesetz, das regelt, wie oft man beichten muss, keine Sünde.


2. "Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht und jedermann Untertan"

Am Beispiel der Beichte ist schon deutlich geworden, wie sich Luther die "Evangelische Freiheit" vorstellt. Der freie Christenmensch ordnet sich durchaus bestimmten Dingen unter. Er geht z.B freiwillig zur Beichte, um sich die Vergebung seiner Sünden persönlich zusprechen zu lassen, weil das seinem Glauben entspricht.

Ein freier Christenmensch tut auch die Werke der Nächstenliebe, wie z.B. Hungrige speisen, Durstigen zu trinken geben, Kranke pflegen... Allerdings macht er das nicht, um sich vor Gott etwas zu verdienen (Luther warf der katholischen Kirche vor, dass sie das lehren würde). Er macht sich aufgrund seines Glaubens ganz freiwillig zum "dienstbaren Knecht" für seinen Nächsten.

Man darf die "Freiheit eines Christenmenschen" auch nicht im politischen Sinn verstehen. Das ist ein heute weit verbreitetes Missverständnis, obwohl Luther solche Interpretationen  seiner Zeit selbst ausdrücklich abgelehnt hat. Ein freier Christenmensch begehrt nicht gegen die politische Ordnung auf, die Luther als gottgegeben betrachtete. Im Gegenteil - gerade aufgrund seines Glaubens ist ein freier Christenmensch jeder weltlichen Ordnung untertan (solange diese nichts von ihm verlangt, was gegen Gottes Gebote verstößt). Weil man weiß, dass man eigentlich vor Gott frei ist, ordnet man sich z.B. als Knecht, Magd oder leibeigenem Bauer gern seinem Besitzer unter.

L0arrow 
Fragesteller
 11.11.2017, 15:53

Vielen Dank, sehr hilfreich

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666Phoenix  11.11.2017, 17:13

"GelübDe"!!

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666Phoenix  12.11.2017, 16:47
@Gruenkohl28

Zu den anderen Ausführungen hätte ich auch ein paar Bemerkungen.

Aber weil heute Sonntag ist...

Nur als Bsp.

aufgrund seines Glaubens ist ein freier Christenmensch jeder weltlichen Ordnung untertan (solange diese nichts von ihm verlangt, was gegen Gottes Gebote verstößt). 

Wenn er "frei" wäre, hätte er auch die Möglichkeit, sich nicht unterzuordnen! Und weil viele Christen sich duckmäuserisch mit der weltlichen Macht sehr gern arrangieren (egal ob Nationalsozialismus oder Pseudo-Kommunismus o. a.), sehen sie auch sehr oft über die Verstöße der letzteren gegen Gottes Gebote hinweg!

.....

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AngelaHoppe  12.11.2017, 18:03
@666Phoenix

Du weist auf etwas richtiges hin, aber leider mit einem sehr negativen Sinn.

Wahre Freiheit ist nur da, wo wir Gott mehr lieben, als alles andere. Und nur wer frei ist, hat eine Wahl sich unterzuordnen oder nicht.

Aber das hat es immer auch gegeben: Menschen, die sich nur unter einem Druck untergeordnet haben. Da kannst du dann aber nicht von Freiheit reden.

Wer sich da nicht unterordnet, wo es Gottes Wort verlangt, hat Gott zum Richter.

Wer sich da nicht unterordnet, wo der Staat, die Gesellschaft, ... etc. es verlangt, hat den Staat, die Gesellschaft, ... etc. zum Richter.

Auf Hitler gab es mehrere Attentat-Versuche - auch von Christen. Keines ist geglückt und die es versucht haben wurden getötet.

Und zu DDR-Zeiten haben Christen vielfach Repressionen von Seiten des Staates erleiden müssen.

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Gruenkohl28  13.11.2017, 01:18
@666Phoenix

Hey Phoenix,

da ich leider immernoch in der S-Bahn sitze, noch eine Anmerkung: Ich stimme dir zu. Auf den Konjunktiv habe ich lediglich aus didaktischen Gründen verzichtet. Ist nicht meine Meinung - Gott bewahre...

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666Phoenix  13.11.2017, 20:40
@AngelaHoppe

angela, bitte beispiele für die attentate von christen auf hitler.

aber bitte attentate, die sie als christen verübten. ich kenne keine, obwohl ich mich schon sehr lange mit dieser thematik beschäftige.

es gibt aber leider sehr viele beispiele dafür, dass sich christen eben als christen an dessen verbrechen beteiligten und/oder ihnen aus ganz deutlich "christlichen" motiven zustimmten. beispiele gefällig? seitenweise, wenn du möchtest!

die "repressalien" in der ddr fußten in der regel nicht darauf, dass sie christen waren, sondern weil kriminelle tatbestände vorlagen.

ich behaupte ja nicht, dass der christliche glaube gefördert wurde, aber gerade weil die ddr-politik in dieser hinsicht unter starker internationaler beobachtung stand, war das ein sehr heikles thema.

und auch hier gibt es mehr beispiele dafür, dass die kirchenoberen herrn honecker bis in den blinddarm gekrochen sind - und zwar von hinten her! gauck inklusive!

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In dem Fall kannst du von dem Gebot ausgehen, das uns Christus gegeben hat:

Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist und gib Gott, was Gottes ist.

Jeder Mensch verfügt über über unterschiedliche Bewusstseinsebenen, die er abhängig von äußeren Umständen lebt. Man kann das sehen, wie eine "Senkrechte Durchlässigkeit".

In der Alltagswelt lebst du vielleicht Stolz, während du in der Stille deines Herzens Demut lebst. Beides ist gleichzeitig möglich und sollte nicht bewertet werden.

Alles Gute...

Ganz einfach zu erklären:
Gottes Sohn war/ist unser Diener und gleichzeitig auch "Herr und Meister" (Joh.13,13).

Wir sollten es nacheifern (Mt.23,10-11).

Ein Christ ist erstmals frei und kann sich auch frei entscheiden. Allerdings ist Freiheit immer auch eingeschränkt, weil man unter einer höheren Macht steht.

Ich kann mich frei entscheiden nach Berlin zu fahren. Aber welche Seite der Straße ich benutze, da bin ich Vorschriften unterworfen und ich kann mich FREIWILLIG dafür entscheiden mich an sie zu halten. Sonst werde ich im besten Fall ein nettes Gespräch mit einem Polizisten führen müssen.

So ist es auch mit der Freiheit eines Christen. Ich kann mich FREI entscheiden etwas zu tun, aber ich muss die Folgen dafür tragen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Studium und 20 Jahre Gemeindeerfahrung
666Phoenix  12.11.2017, 16:48

Wenn die "Folgen" eine harte Strafe sind, bist Du eben nicht "frei"!

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