Was denkt ihr was passieren würde wenn man Global den Anarchokapitalismus einführen würde?

Luiseemaria  21.06.2023, 22:12

Wie genau soll Anarchokapitalismus funktionieren? Kapitalismus hat mit Hierarchie und Ausbeutung zu tun, Anarchie hat eben keine Hierarchie. Wie ist das vereinbar?

Reinkanation 
Fragesteller
 21.06.2023, 22:28

Die Abschaffung des Staates zugunsten eines freien Marktes.

Anarchismuss also die Ablehnung des Staates schließt hierarchie und Ausbeutung nicht aus

5 Antworten

Dann hätten wir sehr, sehr schnell wieder Staaten. Nur, dass das dann keine demokratischen Rechtsstaaten sind, wie wir sie zum Beispiel aus Westeuropa kennen, sondern staatskapitalistische Diktaturen wie die DDR, die Sowjetunion oder Nordkorea, geleitet von Unternehmern.

Die Widersprüche im reinen Kapitalismus sind zu gross, als dass das auch nur annähernd funktionieren könnte. Die Unternehmen werden Land besitzen, und auf dem können sie tun und lassen, was sie wollen. Das ist dann ein autoritärer Staat.

Was am Schluss übrig bleibt sind Leichenberge und Millionen von Menschen, die ihre Freiheit gegen Armut und ihre Träume gegen Bevormundung eingetauscht haben. Rechtliche Willkür setzt sich an die Stelle von neutralen Gerichten.

Der Fortschritt würde wohl recht schnell fast zum Stillstand kommen, wir würden vielleicht um Jahrhunderte zurückkatapultiert, viele wichtige Errungenschaften müssten aufgegeben werden.

Sie würden dann sicher neu erarbeitet werden, aber wir müssten unsere gesamte Entwicklung der letzten 200-300 Jahren wiederholen. Wir bräuchten eine neue Aufklärung, neue Revolutionen, neue Menschen, die bereit sind, für Freiheit und Demokratie ihr Leben aufs Spiel zu setzen.

Am Schluss sind wir wohl wieder am gleichen Punkt wie jetzt, wenn die Menschheit das überhaupt überleben könnte. Nur hätten wir viele Jahre verloren und es hätten viele Menschen ihr Leben lassen müssen für die Machtbestreben von ein paar kapitalistischen Ideologen.

Also was ich darüber wohl denken mag, was passieren würde, bleibt wohl nicht sonderlich lange ein Mysterium, deswegen versuche ich einmal auf deine Angst, die dabei sehr viele haben, einzugehen. Erst einmal würden Konzerne in einem Kapitalismus längst nicht so lange überleben (oder überhaupt entstehen), wie sie es heute tun. Denn ein freier Markt neigt immer zu Verteilung (Diseconomies of scales) und ohne die ganzen Regularien und ohne die Inflation können sich riesige Firmen im Wettbewerb kaum halten. Der Punkt ist vermutlich aber der, dass man glaubt, dass sich die Sicherheitsdienstleister alle bekriegen würden und am Ende der Stärkste als Monopol übrig bleiben würde.

Nun erst einmal wäre das auch gar kein Argument gegen Anarchokapitalismus. Ein Befürworter eines Monopols auf Rechtsprechung hat ernsthaft die Angst, dass die freie Gesellschaft in einem Monopol auf Rechtsprechung enden würde? Jedenfalls kann man auch Anarchokapitalist sein, ohne zu glauben, dass der Anarchokapitalismus wirklich nachhaltig funktioniert. Rothbard sagt dazu, dass wir dann immerhin einige Festtage in Freiheit genießen können. Genauso wie man auch die Möglichkeit einer Krebserkrankung einer tatsächlichen Krebserkrankung vorziehen würde.

Ein zweites Mal würde diese unbegründete Angst gegen die Wand fahren, wenn sie sich als wahr entstellen würde: Dann ist genau das System, in dem wir heute leben, diese anarchokapitalistische Dystopie. Genau das wäre (ist) schon einmal passiert. Dann wäre es sehr unüberlegt, als Etatist, der die heutige Welt dem staatenlosen Kapitalismus vorzieht, die Dystopie (Heute) der Utopie (Damals) vorzuziehen.

Diese Angst wurde in dem sehr schönen Artikel "But would'nt Warlords take over" äußerst gut entkräftet, allerdings versuche ich es hier nochmal auf die eigene Art (und auf deutsch). Also wie würde eine anarchokapitalistische Gesellschaft aussehe? Wir wissen es nicht, Ich weiß es nicht. Aber ich kann einen Geschmack dafür geben, wie sie aussehen könnte, wie sie funktionieren würde:

Stattdessen, dass ein Staat die Eigentumstitel „schützt“, würden es hier private Versicherungen geben. Eine Person (A) würde sich bei einer Diebstahlversicherung gegen Diebstähle versichern (ebenso möglich, mit Leib, Leben, Vertragsbruch und Sachbeschädigung etc.): Die Person zahlt der Versicherung eine laufende Gebühr und diese verspricht im Gegenzug im Falle eine Diebstahls (etc.) den Gegenstand zu ersetzen. Da diese Versicherung allerdings nach Möglichkeit die Prämien nicht auf eigene Kosten auszahlen will, holt sich die Versicherung (Va) vom Täter (B) die Kosten für die Ersetzung und Ermittlung, die (B) er verursacht hat. Die Angst, die du und viele andere Kritiker hier befürchten, ist verständlicherweise die Frage, was passieren würde, wenn B fälschlicherweise (oder sogar mit Absicht) von Va für die Schäden an A belangt wird. Dafür müssen wir drei Fälle unterscheiden.

Fall 1: B ist selber nicht in einer Versicherung gemeldet. Das hier ist tatsächlich die valideste Kritik an diesem System, allerdings auch der seltenste Fall. In diesem Fall müsste sich B gegen die Versicherung von A (Va) selbstständig verteidigen bzw. beweisen, dass er (B) nicht schuldig ist und die Kosten dafür allein tragen. Dass Va (und ihre Mitglieder) die Person (B) jetzt nicht trotzdem überfallen, kann nur durch die Gnade der Moral geschehen, die dementsprechend unrealistisch sein kann. Da die Mitglieder von Va (u. a. auch A selbst) nur auf Profit des eigenen Eigentums gesinnt sein können und dafür sogar „Vogelfreie“ überfallen. Seit dem dies geschieht wird B aber alle, insbesondere Familie und Freunde, daran beraten sich unbedingt zu versichern (bei einem Unternehmen oder untereinander). Genauso wie ein einst unversicherter Familienvater heute seinen erwachsenen Kindern erklärt, eine Hausratsversicherung anzulegen. So wird B diesen Fehler nie wieder machen und alle davon behüten wollen. Deswegen ist Fall 1 äußerst selten.

Fall 2: B teilt eine Versicherung mit A. Mit anderen Worten, B ist auch in Va. In diesem Fall würde die Bevorzugung der Versicherung seines Kunden A vor seinem eigenen Kunden B alle weiteren Kunden (C) einschüchtern, ebenfalls einmal von ihrer eigenen Versicherung verraten zu werden. Ganz zu schweigen davon, dass B den Vertrag mit Va sofort kündigen wollen wird, wird dieser Einsturz der Reputation auch die Marktmacht zerbrechen lassen. Denn C werden von nun an eher daran interessiert sein, nicht vor B, sondern vor Va selbst beschützt zu werden. Dieser Einbruch der Reputation findet allerdings nicht statt, wenn B zu Recht belangt wurde. Denn ein normaler Mensch ist so sehr von sich überzeugt, dass er nicht im Geringsten erwartet etwas verbrochen zu haben, wenn er selbst keine Gewissensbisse hat. Wenn die Versicherung Va also von ihren gerade unbeteiligten Kunden C bekannt dafür ist, nur richtige Verbrecher zu belangen, dann wird C niemals erwarten (fälschlicherweise von Va oder sonst wem) angeklagt zu werden, solange C weiß, dass er kein Verbrecher ist. Um dieses Risiko des Rechtens und Unrechtens zu vermeiden, wird die Versicherung Va Ermittlungen und Gerichte einsetzen und legitime Methoden der Beweisführung gebrauchen.

Fall 3: B ist Mitglied einer Konkurrenzversicherung Vb. Das ist jenes Horrorszenario, bei dem Viele befürchten, dass es zu einem brutalem Krieg um das Urteil zwischen Va und Vb kommen wird. Zuerst müssen wir einmal festhalten, dass sich aggressives und eskalierendes Verhalten von Versicherungen in der Reputation nicht sehr positiv von den Kunden C aus Va sowie D aus Vb niederschlägt. Denn jene (C und D) sehen es nur ungern, wenn ihre Prämien für einen fremden Konflikt verschwendet werden. Viel ausschlaggebender ist aber, dass Krieg viel zu teuer ist und sich nie lohnen würde. Schauen wir einmal in die Geschichte der Staatskriege: Wir sehen Staaten, die Entitäten sind, die beinahe ein gesichertes Einkommen durch erzwungene Steuern erhalten, welche trotzdem noch Extrasteuern (siehe Umsatztsteuern) erheben müssen, eine Kriegswirtschaft auffahren müssen (siehe 2. Weltkrieg und 1. WK) und dabei sogar ganze Hyperinflationen auslösen (siehe Weimarer Republik). All das können Versicherungen nicht: Verträge einseitig ändern, unabhängige Produzenten versklaven und Inflation betreiben. Um sich diese Staatsprivilegien zu holen, müsste Va selbst erstmal Kriege darum führen, ein Staat zu werden. Wir halten also fest: Sollte eine Versicherung einen Streitkonflikt gewaltsam lösen sinken 1. die Einnahmen und 2. ist der Krieg so teuer, dass es sich niemals rentieren würde. Stattdessen würden zwei im Streit hadernde Versicherungen auf ein simples Urteil eines unabhängigen Schiedsgerichtes (die auch im Wettbewerb stehen und es auch schon heute gibt) berufen und es anerkennen. Ein Gerichtsprozess ist bei weitem billiger als ein Krieg. Jede aggressive Versicherung wäre extrem verschuldet und hätte sehr hohe Gebühren: Wie unsere heutigen Staaten. Im Kapitalismus würden sich zwei Versicherungen im Vorhinein auf ein Schiedsgericht einigen.

Das ist eine vollständige Erklärung der Sicherheit in der Anarchie.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Anarchokapitalist, Voluntarist, Anarchist, Libertärer
Reinkanation 
Fragesteller
 24.06.2023, 19:00

Du vergisst eines. Es besteht auch die Nachfrage nach einem Staat und Politischer Mitsprache. Desweiteren gibt es Sachen die der Markt eben nicht vernünftig regeln kann. Öffentliche Verkehrsmittel zumbeispiel

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NeonSchaf  25.06.2023, 16:29
@Reinkanation

Was haben öffentliche Verkehrsmittel damit zu tun? Jedenfalls kann diese Nachfrage nach einem Staat nicht erfüllt werden: Ebenso wenig wie die Nachfrage nach Mord oder Sklaverei. Diese Dinge sind einfach, unethisch, also illegal. Man kann sich nicht freiwillig „zwingen“ lassen. Alles andere ist kein Staat.

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Es gibt Meinungen, dass extreme Ideen wie der Anarchocapitalismus in gewisser Weise eine Art Einführung zum Minarchismus sein könnten. Ich stimme dem zu; und du, was denkst du darüber?

Ich denke eher, daß dann "Bombenbauer aller Art" deine gebildeten Oligarchien recht schnell bevor es zu spät ist pulverisieren würden...

NeonSchaf  24.06.2023, 17:58

So ein Unternehmen kommt in der Öffentlichkeit gar nicht gut an.

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Marionetto  24.06.2023, 18:30
@NeonSchaf

Das käme ganz darauf an, ob die Mehrheit oder die Minderheit des Volkes daran gut bzw. besser als bei einem "Stillhalten" partizipieren würde...glaube ich.

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Das wäre der feuchte Traum von Leuten wie Elon Musk und der halben AFD.

Natürlich geht es nicht darum den Staat abzuschaffen, natürlich geht es nur darum die Menschenrechte und die soziale Sicherung abzuschaffen und das Militär und die Polizei zu stärken.

die Erde würde zur Hölle für Menschen

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Hilfestellung im ökonomischen Fragen
Reinkanation 
Fragesteller
 21.06.2023, 22:24

Die Ankabs wollen Militär und Polizei abschaffen und durch private Sicherheitsdienste ersetzen

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NeonSchaf  24.06.2023, 17:57

Nein, es geht wirklich nur darum den Staat abzuschaffen und das Privateigentum einzuführen.

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Rheinflip  24.06.2023, 17:58
@NeonSchaf

es geht darum die Demokratie abzuschaffen, den Rechtsweg abzuschaffen und alles dem Kapital unterzuordnen mit privaten Armeen wie der wagnergruppe

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NeonSchaf  24.06.2023, 17:59
@Rheinflip

Das denke ich nicht … Wer behauptet das? Welche Quelle hast du, die belegt, dass der Anarchokapitalismus diese Ziele hat?

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