Warum haben so viele schlechte Erfahrungen mit dem Jugendamt?

11 Antworten

Ich kann da nur von mir persönlich sprechen. Und Achtung: Ich werde während dem Verfassen dieser Antwort sehr emotional geladen und teilweise auch echt wütend werden. Das Thema bringt einiges in mir hoch.

Wir hatten das Jugendamt 8 Jahre lang - im Prinzip während meiner gesamten Schulzeit - am Hals. (Ich bin jetzt 25, und von meinem 7. bis 15. Lebensjahr hatten wir mit denen zu tun gehabt.)

Meiner jahrelangen Erfahrung nach ist das Jugendamt - oder zumindest das, mit dem wir uns rumschlagen mussten - sehr unflexibel. Ich bin diagnostizierte Autistin (und davon wussten sie) und ich musste leider feststellen, dass das Jugendamt kaum Ahnung hat, wenn es um alternative Schulwege und Neurodivergenz im Allgemeinen geht.

Aber gut, es muss ja einen Grund haben, weshalb das Jugendamt überhaupt bei einem vor der Haustür steht. Der Grund war: Ich ging nicht zur Schule. Ich versuchte jeden Tag, die Schule zu schwänzen. Manchmal gelang es mir, manchmal nicht. Natürlich konnte meine (alleinerziehende) Mutter nicht jeden verdammten Morgen mit ihrem einzigen Kind ein Kreisch-Theater veranstalten, doch weißt du, dem Jugendamt war das alles komplett egal.

Es war ihnen egal, wie meine Mutter mich zur Schule zerren würde: Solange sie es tat, war es denen recht.

Es war ihnen egal, dass ich in der Schule absolut überfordert war (Ich war in einer Sprachheilschule, Hauptschule und sogar in einer Schule für Behinderte: Alles Fehlanzeige), wenn überhaupt nur körperlich anwesend war, dass ich regelmäßig mitten im Unterricht anfing, zu weinen. Dass mir immer alles zu viel war und ich mich nur Zuhause sicher fühlte.

Es war ihnen egal, wie sehr sie mich und meine Mutter stressten. Der Haussegen hing schief.

Unflexibel bis zum Es-Geht-Net-Mehr!

Meine Mutter hatte selbstverständlich versucht, ihnen alternative Lernwege anzubieten. Aber nein, wollten sie nicht. Ich MUSSTE wie die anderen Kinder lernen. Gleicher Weg. Bloß nicht vom Plan abweichen. Weil Plan A ja immer funktioniert und wer Plan A nicht befolgt, der wird dazu gedrängt. Wenn das Quadrat nicht in die Kreisform passt, werden eben ein paar Ecken abgehackt und hier und da wird's fein geschliffen.

Ich lasse einige Details aus. Die Antwort wird sowieso zu lang werden. An vieles erinnere ich mich selber nicht mehr. Aber oh mein Gott, ich hätte jeden Tag schwänzen sollen. Es mag sich erstmal komisch anhören, aber ich wünschte mir so sehr, ich hätte jeden Tag geschwänzt. Jeder Tag, an dem ich mal in der Schule war, war schrecklich. Das Schlimmste ist: Ich hab all den Mist umsonst durchgemacht. Wir haben ihn umsonst durchgemacht. Ich hab nix davon. Es gibt nichts, was mir in der Schule beigebracht wurde, an das ich mich heute noch erinnern kann ... Noch besser: Die meisten Dinge, wie z.B. Schreiben und Englisch wurden erst langsam aber sicher besser, nachdem ich aus der Schule raus war (vorzeitig abgebrochen - nach 8+ Jahren hatten wir ALLE genug, selbst das Jugendamt).

Doch das ist ja noch nicht die Höhe. Nein, die Höhe ist, dass sie meiner Mutter mit Bußgeld und - bitte festhalten - sie ihr und mir gedroht haben, mich in ein Internat bzw. Kinderheim zu stecken.

EXCUSE ME????¿¿ (Satzzeichen sind keine Rudeltiere, ich weiß, aber brain.exe stopped working)

Dass wir Autisten in 99,9% der Internate und Heimen aber absolut fehl am Platz sind, wenn nicht sogar misshandelt werden, daran dachten sie nie, wie's mir scheint.

Und das Schlimmste war ja, dass sie genau wussten, dass ich sehr an meiner Mutter hing. Sie war die einzige, die mich verstand, die einzige, die sich um mich kümmerte. (Es stellte sich irgendwann heraus, dass sie selber Autistin ist, also kein Wunder.)

Sie wussten, dass ich sie brauche. Sie wussten, dass das aufgrund meiner Behinderung war. Und bei einer Behinderung kannst du ja nicht einfach sagen, das wäre unnormal oder schlecht fürs Kind. Manche brauchen eben deutlich mehr Unterstützung im Alltag als andere.

"Kindeswohlgefährdung" - Von wegen. Sagten sie genau der Richtigen. Sagten mir diejenigen, die mich auf Krampf in die Schule schicken wollten - Komme, was da wolle! Und zur Not auch ins Internat/Kinderheim. Na klar.

Na ja, wie dem auch sei. Ich musste dann doch nicht ins Internat/Heim. Das konnte meine Mutter verhindern. Bzw. ich konnte das. Und wie? Ja, das Jugendamt hatte einen extrem miesen Schachzug gemacht - Sehr widerlich: Sie sagten, ich müsse für 6 Monate in eine Tagesklinik (wegen meiner damals vermuteten und dann in der Klinik auch diagnostizierten Sozialphobie) und wenn ich nicht gehen würde, dann müsse ich ins Internat/Heim.

Denn somit war es ja theoretisch kein Zwang. Ich hatte ja die "freie Wahl" 🤷🏼‍♀

Ja, ich glaub' auch! Und dann sagen sie zu uns Autisten, wir hätten einen Mangel an Empathie.

So, dann ging ich eben zur Klinik. Musste ich ja! Dann war ich dort und ich sollte für meine Sozialphobie therapiert werden. Nun weiß ich natürlich nicht, ob das Jugendamt wusste, welche Therapieform die Klinik für mich in Petto hatte, aber ich gehe davon aus, denn diese Therapieform ist die Go-To-Variante bei Angststörungen: Konfrontationstherapie.

Kurze Erklärung: Konfrontationstherapie bei Sozialphobie + Autismus gehen selten Hand in Hand.

Konfrontationstherapie sagt "Hey, du weißt, wie es geht, du hast nur Angst, dass du etwas falsch machst, dabei machst du alles richtig."

Sozialphobie + Autismus ist jedoch: "Ja, du machst vermutlich einiges falsch/anders und deine Sozialphobie ist in einigen Punkten begründet. Deine Phobie ist nicht nur in deinem Kopf und eine Konfrontationstherapie könnte deine Lage sogar verschlimmern, denn du weißt eben nicht, wie es geht. Und dir beizubringen, wie es geht, birgt das Risiko des Maskings, was für deine Psyche sehr schädigend sein kann. Das Problem ist, dass du eine andere Art der Kommunikation hast, die viele nicht verstehen."

Hatte natürlich niemand gecheckt. Mal davon abgesehen, dass erzwungene Therapie fast nie (langanhaltende) Verbesserungen/Heilung mit sich bring.

Nun, was war dann? Konnten sie mich heilen? Ne, selbstverständlich nicht. 12/13+ Jahre und meine Sozialphobie ist noch immer in vollem Gange. Da kann man doch nur dem Jugendamt (und der Tagesklinik) danken. Also: Danke fürs Verschlimm"bessern". Danke dafür! :-----)

Wirklich ... Ich hatte da hinzugehen, die 6 Monate (damals war ich 12/13), und dann hatte ich gefälligst zu funktionieren. Mhm. Manche Leuten sollten wieder mit Puppen spielen.

Mein Kindeswohl wurde von denen gefährdet und beschädigt. Nie von meiner Mutter. Das Jugendamt muss lernen, dass eine Verweigerung, zur Schule zu gehen, nicht immer (vielleicht oft, okay, aber nicht immer) mit einer Kindeswohlgefährdung zusammenhängt. Die Schule, das Jugendamt, die Tagesklinik - Alles Orte, die mich mehr geschädigt haben, als meine Mutter es jemals könnte.

Ich vermag mir gar nicht auszumalen, was für ein Wrack ich heute wäre, wäre ich damals ins Internat/Heim geschleppt worden. (Mich bei meinem Erzeuger abzugeben war keine Lösung, aus verschiedensten Gründen. Die Antwort ist schon recht lang.)

Nun ja, nach 8 Jahren sagte meine Mutter dann endgültig, dass es ihr reicht und das Jugendamt entweder mit einer brauchbaren Alternative ums Eck kommen soll, oder es das ansonsten ein für alle Mal war.

Sie sagten nichts. Es wurde all die Jahre nicht besser. (Wie denn auch!) Und von da an war die Sache gegessen. 8 Jahre ... Hölle. Ich lüge nicht, wenn ich sage, dass ich mir im Nachhinein oft denke, wie viel kostbare Lebenszeit mir/uns damals geraubt wurde. Leute sagen, die Kindheit und Jugend ist die wichtigste Zeit im Leben und man solle es doch genießen und dann tun sie einem sowas an.

Um also auf den Punkt zu kommen: Unflexibel, starr, widerlich, manipulativ und so viel Ahnung von Autismus/Neurodivergenz/neurologischen Behinderungen wie ich von Quantenphysik. Also null!

Wenn der Kommentar mit der Schweigepflicht wahr ist, dann geht mir da auch die Hutschnur hoch. Die hätten ihm/ihr ganz ehrlich sagen sollen, dass sie es den Eltern (oder Lehrern o.Ä.) erzählen werden und nicht im Deckmantel der Schweigepflicht Informationen aus der Person ziehen. Das ist sehr hinterhältig. Ich verabscheue sowieso jegliche Form des Lügens, aber sowas ist mitunter die widerlichste Form.

Ich hoffe, das alles beantwortet zumindest mein persönliches "Warum".

Mit den Jugendämtern.

Es gibt Städte und Gemeinden, da arbeitet das dortige Personal recht gut und anders wo eben nicht.

Zum Teil ist es ein Problem was das benötigte Personal angeht, zum Teil liegt es aber an der Herangehensweise des Amtes selbst.

Es heißt nicht umsonst, wenn du das Jugendamt am Hals hast, dann musst du aufpassen.

Eine Bekannte hatte einige Jahre das Jugendamt am Hals wegen der Trennung von ihrem Ex.

Offiziell nur zur Unterstützung, das Problem sobald das Jugendamt involviert ist, ist man deren Regeln unterworfen.

Beispiel sie ist mit 3 Kindern umgezogen, Forderung vom Amt jedes Kind, 2 U5 und ein Baby, benötigt ein eigenes Zimmer, Wohnungen in der Kategorie kosten bei uns 1500+.

Leiste dir das als alleinerziehende Mutter mal, Unterstützung gibt es diesbezüglich natürlich nicht.

Gut gemeint ist nicht in der Praxis nicht immer die beste Lösung.

Ich hab vor Jahren einen Fall der in den Medien war verfolgt, wo sich das Kind geweigert hat den Vater an den Wochenenden zu besuchen.

Das Jugendamt hat das dann durchgesetzt, das Kind hat getreten, geweint und laut geschrien, hat nichts genutzt.

Beim Vater die Interaktion verweigert, das Jugendamt hat die Auffassung vertreten, es sei die Pflicht des Kindes Urteile einzuhalten.

Dazu gabs wenns mich nicht täuscht sogar ein Video, es war richtig schlimm anzusehen.

Sowas sollte nicht passieren und auch gar nicht erlaubt sein.

Das Problem ist, dass leider oft nur die negativen erfahrungen so an die Oberflläche kommen. Dazu verstärken natürlich Hausfrauensendungen wie Verklag mich doch oder die Trovatos so ein bisschen die negativen Vorurteile.

Man darf natürlich auch nicht davon ausgehen, dass es so eben NICHT dort abläuft, nur weil es im Fernsehn so dargestellt wurde.

Sicherlich, es werden und wurden im Jugendamt fehler gemacht. die meisten auf Grund von Überforderung bzw. Überlastung. etwas weiter unten dürfte dann Inkompetenz ragieren. Bewusst gemachte "Fehler" sprich dass jemand da z.B. Pflegekinder an Pflegeltern verschachert sind denke ich, wenn auch leider vorkommend eher die Ausnahme.

was mich betrifft. auch ich stand eine Weile unter der Fuchtel des Jugendamtes. damals wurde ein Sozialhelfer zu uns in die Familie geschickt. Ich habe auch lange Zeit gebrauht, darüber zu reden. Im Nachhinein betrachtet, hat er aber doch denke ich gute Arbeit geleistet.

lg, Nicki

Das Jugendamt wird oft als Sündenbock für die schlimmen Umstände gesehen.

Ein Beispiel: Ich fahre grad in eine Wohngruppe um mit einer 15-jährigen zu sprechen. Das Mädchen habe in im Dezember in Obhut genommen, aufgrund heftigsten Streitigkeiten zwischen Mutter und Tochter. Einmal ist das Mädel mit dem Messer auf ihre Mutter los. Die Mutter befürwortet die stationäre Unterbringung und ich habe eine gute Einrichtung gefunden. Das Mädchen will jetzt unbedingt heim zur Mutter. Ihre Mutter hat aber schwere Depressionen und ist nicht in der Lage und nicht willens, ihre pubertierende Teenagertochter aktuell schon zurückzunehmen. Sie schafft es aber auch nicht, ihrer Tochter das so ins Gesicht zu sagen. Problem: Je klarer ich dem Mädchen sage, dass die Mutter sich nicht kümmern will, desto wütender wird sie auf ihre Mutter und verliert ihre wichtigste Bezugsperson. Wenn ich hingegen sage "Ich halte es zum jetzigen Zeitpunkt nicht für möglich", dann hasst sie mich, hat dafür aber weiter eine gute Beziehung zur Mutter - ein Preis, den ich zahle.

Davon abgesehen passieren aber natürlich auch Fehler beim Jugendamt.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Sozialer Dienst (Jugendamt)

Weil man als Jugendliche häufig nicht versteht wie das Jugendamt läuft.

Meine Mutter hat erzählt, dass das Jugendamt sie dazu gedrängt hat, ein Papier zu unterschreiben. Man sagte ihr, dass es irgendwas unwichtiges nebensächliches war, dabei war sie dabei ihr Sorgerecht abzugeben für alle ihre Kinder! Man hat versucht sie zu verarschen, weil sie nicht so gut deutsch sprach, aber sie hat die List dieser Intelligenzbestie durchschaut.

Ich musste dann später zu einem anderen Zeitpunkt aus anderen Gründen ins Kinderheim. Man belog mich , dass ich nur ein Jahr dort sein müsse. Am Ende waren es 5 lange, lange Jahre. In Hilfeplangesprächen wurde ich nie ernst genommen und ausgelacht. Ich habe mein Los irgendwann einfach hingenommen. Die christliche Nächstenliebe hat mein Los sehr viel erträglicher gemacht. Ohne das wäre ich nicht unwahrscheinlich zum potientiellen A..... geworden.

Irgendwann meldete sich das Jugendamt wieder bei meiner Einrichtung und man wollte wissen, „wie ich es denn geschafft hätte, mich so gut zu entwickeln." Ich habe die Anfrage dankend abgelehnt.

Ganz ganz schlimm, wie da mit der zerbrechlichen Seele von Kindern umgegangen wird. Fast wie in einem dieser Hollywoodfilme. Fehlt nur noch der Haferschleim. 😅

Ich könnte noch mehr aufzählen, aber habe keine Lust mehr.

guterfrager5  11.03.2024, 09:21
man wollte wissen, „wie ich es denn geschafft hätte, mich so gut zu entwickeln." Ich habe die Anfrage dankend abgelehnt.

Krass dass du noch so viel Respekt für sie übrig hattest, es noch dankend abzulehnen. Ich habe es einfach ignoriert und still gehofft, dass jemand auf eine Antwort warten würde ._.

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