Vermisst ihr das spießbürgerliche Nachkriegsdeutschland?
Eine Gesellschaft für die Etikette noch wichtig war und auf Werte geachtet wurde. Damals ging ein Arbeitersohn in die Lehre und verbrachte eventuell das ganze Berufsleben dort im Betrieb. Der hat ein Haus gebaut und konnte eine Frau und 2 Kinder ernähren. Heuer ist das nicht mehr möglich. Zuerst kam der Linksliberalismus, gefolgt vom Neoliberalismus.
8 Antworten
Ich bin in so einem Umfeld aufgewachsen und es hatte zwei Seiten. Diese bleierne Spießigkeit bot gewisse Sicherheit, aber sie nahm einem auch jeden Freiraum und alle Luft zum Atmen spätestens dann, wenn man in der Jugend mehr wollte als das bisher Bekannte (Ausgehen, Partys, Freundin und Musik). Vor allem in einem typischen Arbeitermilieu mit rauen Sitten und tiefkatholischer Frömmigkeit hatte man als Kind und Jugendlicher wenig zu lachen und die Gewaltbereitschaft typischer Arbeiterväter war, zumal oft schon auf der Arbeit im Handwerk bis in den 90er und auf dem Land bis in die 2000er hinein gesoffen wurde (da stand die Bierflasche neben der Drehmaschine oder Werkbank usw., je nachdem, was jemand arbeitete) immens, auch wenn sie am Sonntag mit feinem Zwirn in die Kirche rannten, kaum dass es bimmelte und beim Vaterunser fast weinten... ich kenne das noch. Die Leute fühlten sich zwar ehrbar und anständig und sagten Sachen wie "wir sind ja anständige Leut, net" oder "wir sind schon recht ordentlich gut angesehen, net", aber es war alles nur gelogen. Furchtbar!
Zu meinem Werdegang damals, mir blieb immerhin körperliche Gewalt erspart, ich wuchs aber auch nicht in einer Arbeiterfamilie auf, sondern in einer Familie, die etwas fortschrittlicher war und eher humanistisch orientiert - das Milieu war aber vergleichbar vom Ding her, da kriegt man vieles auch unfreiwillig mit.
Meine Kindheit und Jugendzeit war sehr bieder, aber recht gut im Nachgang weil ich es besser als viele Mitschüler hatte, es ist aber andererseits so, dass fast alle "Spießereltern" indirekt versucht hatten, ihrem Kind das Selbstbewusstsein komplett abzuerziehen. Auch bei mir gab es den Versuch, ich war scheinbar dann doch zu willensstark und zu eigensinnig.
Im spießbürgerlichem Nachkriegsdeutschland waren allenthalben die Sätze zu hören:
- Hitler hätte kurzen Prozeß gemacht (mit den langhaarigen Rock- und Beatfans)
- bei Hitler war nicht alles schlecht.
Kirchenmänner vergingen sich reihenweise an Kindern und Jugendlichen.
Am Sonntag predigten sie dann von der Kanzel herunter gegen junge ledige
Frauen, die ungewollt schwanger geworden waren. Alle Zuhörer verstanden, wer
im Dorf gemeint war. Ansonsten galt der Aufruf ja christlich zu wählen.
Es galt: Eine Ohrfeige/ein Klaps auf den Po hat noch niemanden geschadet.
Unser Nachbar schoss am Sonntag zum Zeitvertreib mit dem
Kleinkalibergewehr auf Elstern und ihren Nachwuchs im Nest.
Etikette und Liberalismus hin oder her; das einzig Einschneidende war die 68er
Generation und ihre kreativen Proteste. Da geriet die alte Welt eine zeitlang aus
den Fugen.
Und sonst Positives: am Sonntag gab es an der Tür zur Bäckerei zwischen
11.00-12.00 die Kugel Eis für 10Pfennige
Nein, das würde ich echt nicht haben wollen. Mir gefällt die Gesellschaft heute besser, auch mit allen ihren Problemen.
Also ob jemand der 70+ Generation hier online ist.
Vielleicht wird diese Zeit heute auch nur romantisiert, gerade von denen, die sie selbst nicht erlebt haben. Damals war nicht alles besser, nur weil es geordneter wirkte.
Ich bin 1970 geboren und kann mich an diese Zeit gut erinnern.
In meiner Familie war das alles ganz anders. Wir hatten schon früh Patchwork, "Familie" waren auch Freunde meiner Eltern. Wir haben schon sehr früh mit einem Lächeln auf die Menschen geschaut, die bis zum Hals in Konventionen feststeckten und nur damit beschäftigt waren, irgendeinen Schein zu wahren.
Aber meine Eltern haben auch ein Haus gekauft, und mein Vater konnte als Buchdruckermeister eine fünfköpfige Familie allein ernähren - das funktionierte auch ohne Spießigkeit.
1970 war die Adenauerzeit und die Etikette ja schon vorbei. 1970 war die Zeit der antiautoritären Erziehung mit all ihren Nachteilen.
Ich kann mich auf jeden Fall noch an jede Menge "Etikette" erinnern.
Hallo? Jahrgang 1970 🫡.