Mitte 19. Jahrhundert: 50% uneheliche Kinder in Wien?
In einem Artikel über das Wiener Gebär- und Findelhaus steht, dass Mitte des 19. Jahrhunderts 50% der Kinder in Wien unehelich geboren wurden. Wie kommt dieser hohe Wert zustande?
Ich hätte die damalige Gesellschaft (katholisch, Habsburger-Monarchie zu Sissi-Zeiten) als wesentlich sittenstrenger eingeschätzt als unsere heutige. Heute liegt der Anteil unehelicher Kinder in Österreich bei 41%.
7 Antworten
Verantwortlich war dafür wohl vielfach der in der Habsburgermonarchie übliche Ehekonsens, wodurch nicht jeder jeden heiraten durfte. Wenn man Leuten nicht erlaubt zu heiraten, kriegen sie eben auch uneheliche Kinder.
...mit der Aufhebung des Ehekonsens im Jahr 1868 zu einer sprunghaften Verringerung der Illegitimitätsrate um vier Prozent.".
Weiter heisst es: "Mitte der 1870er-Jahre fiel die Rate der unehelich geborenen Kinder in Wien zeitweise auf unter 40 %"
Innerhalb nur weniger Jahre, das ist enorm.
Die Betroffenen hätten ja auch denken können "okay, wir sind wirklich sehr arm, also besser keine Kinder zum jetzigen Zeitpunkt, das verbessert unsere Lage nicht".
Wir reden hier von Mitte des 19.Jhdt's. Die Eizelle wurde gerade erst entdeckt, was hatte man da schon für Wissen und Möglichkeiten bezüglich Verhütung? Gerade als Verarmte?
Ich könnte mir vorstellen, dass über die gesamte Geschichte der Menschheit (seit dem es Religionen gibt versteht sich) ein großer Teil der Kinder unehelich geboren wurde.
Ich könnte mir vorstellen, dass das einfach nur daran lag, dass sie damals in Wien viele Geburten aufzeichnen konnten.
Das waren vermutlich nicht mehr oder wenige uneheliche Kinder als 50, 100 oder 200 Jahre vorher. Nur hat man da noch nicht so viel von der Unterschicht der Gesellschaft mitbekommen.
Genau. Die unehelichen Geburten spielten sich ja nicht im Bürgertum ab, da wäre das ein riesiger Skandal gewesen. Aber was in der Arbeiterschaft mit den vielen Bettgehern in engen Wohnungen so passierte, interessierte "oben" nicht so sehr.
Arme Leute hatten oft nicht die finanzielle Möglichkeit, zu heiraten.
Der Punkt wir in dem Artikel auch erwähnt, aber "...mit der Aufhebung des Ehekonsens im Jahr 1868 zu einer sprunghaften Verringerung der Illegitimitätsrate um vier Prozent.". Das ist kein großer Beitrag.
Das war zu allen Zeiten so.
Da habe ich Zweifel: Ich mache Ahnenforschung und beziehe dazu DNA-Informationen mit ein und das passt in der Regel alles gut zusammen. Die Ausnahmen, wo es nicht passt, sind als unehelich/illegitim dokumentiert - somit hätte ich den Anteil nie höher als vielleicht 5-10% eingeschätzt.
Die hatten auch wieder Kinder und deren Nachkommenschaft müsste unter den DNA-Treffern auftauchen. Habe ich aber über die letzten fünf, sechs Generationen wirklich nur selten und dann dokumentiert unehelich/scheinehelich. Vielleicht ist es in Familien anderer Gesellschaftsschichten anders.
Du hast die Antwort schon gegeben.
Findelkind (Neutrum; teilweise auch Fundkind oder Findling, mittelhochdeutsch vundelinc für ausgesetztes, gefundenes Kind) ist eine Bezeichnung für ein aufgefundenes, in der Regel namenloses Kind, das zuvor von den unbekannten Eltern (meistens der Mutter) häufig kurz nach der Geburt aktiv ausgesetzt oder abgegeben . Quelle Wikipedia
Im sittenstrengen Umfeld durfte es keine unehelichen Kinder geben. Da es sie eben trotzdem gab, fand man sie im Findelhaus.
War für ledige Dienstmädchen o.ä. auch eine wirtschaftliche Existenzfrage - Kinderkrippen gab's da noch nicht und auch keine "Mindestsicherung", die konnten nicht mal ein Jahr "Sabbatical" machen und sich ums Kind kümmern.
Gegen einen geringen Obulus (oder sogar ganz gratis?) konnte man die Kinder im Findelhaus abgeben, diese wurden dann auf Staatskosten in Pflegefamilien gegeben. Das hat sicher vielen Babies das Leben gerettet. Die Namen der Mütter wurden aber in die Matrikel eingetragen, deswegen weiß man das.
Wäre auch mal eine interessante Untersuchung, was aus denen so geworden ist. Denen wurde wahrscheinlich in ihren Pflegefamilien weniger Liebe zuteil als den leiblichen Kindern der Pflegeeltern - Ausnahmen mögen die Regel bestätigen. Ob sich das auf deren späteres Leben ausgewirkt hat?
Die Luxusversion war die komplett anonyme Geburt ohne Eintragung des Namens der Mutter, aber das war wesentlich teurer, eher fürs Bürgertum gedacht.
Der Punkt wird in dem Artikel auch erwähnt, aber "...mit der Aufhebung des Ehekonsens im Jahr 1868 zu einer sprunghaften Verringerung der Illegitimitätsrate um vier Prozent.". Das ist bei 50% Ausgangswert weniger als man erwarten könnte.
Auch, dass man trotz gesellschaftlicher Sanktionen die Illegitimität einfach so in Kauf nahm, überrascht. Die Betroffenen hätten ja auch denken können "okay, wir sind wirklich sehr arm, also besser keine Kinder zum jetzigen Zeitpunkt, das verbessert unsere Lage nicht".