Deutschland klagt über Fachkräftemangel. Warum scheint niemand zu sehen, dass er Folge des Absinkens des Bildungsstandes der Schulabgänger ist?

11 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Darüber redet die Politik nicht gerne, weil man es auch als ein Versagen der Politik interpretieren kann. 2021 verließen 47500 Schüler die Schule ohne einen Schulabschluss. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.

Und wie viele von denen sind überhaupt ausbildungsfähig?

grtgrt 
Fragesteller
 02.07.2023, 11:04

Bildungspolitiker scheinen sich diese Frage nicht zu stellen. Sie glauben, das Problem lösen zu können, indem sie die Volksschule in Mittelschule umbenennen (wie in Bayern geschehen) oder (worüber man jetzt anscheinend in Mecklenburg-Vorpommern nachdenkt) Mathematik als Pflicht-Prüfungsfach im Abitur zu streichen:

Abi ohne Mathe in MV: Hochschulen und Wirtschaft warnen

Stand: 15.06.2023

In der Diskussion um ein mögliches Abitur im Nordosten ohne verpflichtende Mathe-Prüfung warnen Hochschulen und Wirtschaft vor negativen Folgen.

https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Abi-ohne-Mathe-in-MV-Hochschulen-und-Wirtschaft-warnen-,abitur546.html

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Nofear20  02.07.2023, 11:09
@grtgrt

Das ist typisch: man senkt einfach das Niveau ab und bekommt damit bessere Abschlusszeugnisse. Dass man sich damit international gesehen ins eigene Knie schießt, begreifen einige nicht.

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grtgrt 
Fragesteller
 02.07.2023, 13:24
@Nofear20

Richtig: Es ist ein Schuss ins Knie: aber keineswegs nur hinsichtlich internationaler Aspekte. Fehlende Handwerker machen sich ja vor allem auch dort bemerkbar, wo man sie als Dienstleister im Inland benötigt, ggfs. auch möglichst schnell benötigt, wie etwa bei einem Wasserrohrbruch oder Ähnlichem.

Es gibt ja inzwischen sogar Handwerksbetriebe, die man nur noch über ihr Webportal kontaktieren kann, so dass ihnen frei steht, wann und wem sie überhaupt antworten (= helfen) wollen.

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Grautvornix  02.07.2023, 11:34
Und wie viele von denen sind überhaupt ausbildungsfähig?

Wann ist man denn nicht ausbildungsfähig?

Ich hatte das Glück in einem Großbetrieb zu lernen da gab es zusätzlich zur Berufsschule noch eine Werksschule, die über einen ganzen Arbeitstag ging. Von 80 Auszubildenden sind weniger als 10 Prozent durchgefallen und davon hatte die Hälfte sowieso keine Lust.

Ok, das kann nicht jeder Betrieb leisten, aber einem Metallfacharbeiter, fehlende Mathekenntnisse beizubringen, sollte nicht zu aufwendig sein.

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Nofear20  02.07.2023, 11:37
@Grautvornix
Wann ist man denn nicht ausbildungsfähig?

Wenn die aller einfachsten Grundkenntnisse nicht vorhanden sind, und/oder überhaupt kein Interesse an einer Ausbildung besteht. Was soll da ein Ausbilder noch machen?

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Grautvornix  02.07.2023, 12:07
@Nofear20

Kein Interesse lasse ich gelten. Bei den aller einfachsten Grundkenntnissen kommt es darauf welcher Beruf das ist. Jemand der 9 Jahre in die Schule gegangen ist wird Grundkenntnisse haben. Für Defizite ist die Berufsschule da.

Kann jemand die 4 Grundrechenarten nicht, dann ist das zu beheben, wenn er Bäcker werden will. Schwieriger sieht es aus, wenn man die Grundkenntnisse der Rechtschreibung nicht beherrscht, und dann Journalist werden will.

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Nofear20  02.07.2023, 12:11
@Grautvornix
Jemand der 9 Jahre in die Schule gegangen ist wird Grundkenntnisse haben. 

Das ist fraglich, wenn er keinen Abschluss hinbekommen hat.

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Grautvornix  02.07.2023, 12:45
@Nofear20

Wenn jemand keinen Abschluss bekommt hat, dann heißt das nicht das er nichts gelernt hat. Nur nicht genug.

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Nofear20  02.07.2023, 14:04
@Grautvornix

Kann er denn ohne Hauptschulabschluss überhaupt eine Lehre beginnen?

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Nofear20  02.07.2023, 14:43
@Grautvornix

Gut, bei manchen fällt der Groschen eben später. Aber wie oft passiert das bei den fast 50.000, die keinen Abschluss haben? Wir haben ja auch nicht mehr die einfachen Industriearbeitsplätze, die es früher auch Ungelernten erlaubten, einen Job zu finden. Baut sich da nicht ein Riesenproblem auf?

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Grautvornix  02.07.2023, 15:09
@Nofear20

Arbeitsplätze für Ungelernte wird es weiterhin geben. Natürlich baut sich ein Problem auf, daher brauchen wir Zuwanderung. Und wir sollten auch alles aktivieren, was durch die Fehler der Vergangenheit, die ich oben beschrieben habe, keine Lust hat, zu arbeiten. Der Abstand zum Bürgergeld muss deutlich sein. Nicht weil das Bürgergeld wenig ist, sondern weil ordentliche Löhne bezahlt werden müssen. Global gesehen ist das natürlich nicht einfach.

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Weil das nun mal nicht der Grund für Fachkräftemangel ist. Es ist nicht mal der Grund für unbesetzte Ausbildungsplätze! Wenn für diese ein Zusammenhang mit dem Bildungsniveau der Abschlussjahrgänge in den Schulen besteht, dann eher der, dass das Bildungsniveau zu hoch ist - im Sinne von extrem hohen Abiturientenquoten!

Die wiederum lassen sich zu großen Teilen dann wiederum tatsächlich auf das Verhalten von Ausbildungsbetrieben in der Vergangenheit zurückführen, wo Bewerber*innen mit Real- oder gar Hauptschulabschluss deutlich schlechtere Chacen als die mit Abitur hatten. Und dass nach der Ausbildung Menschen in diesen Ausbildungsberufen nach wie vor erheblich schlechter verdienen als die mit einem 3-jährigen Bachelorabschluss - und das dauerhaft während der gesamten beruflichen Laufbahn, nicht nur in den ersten paar Berufsjahren...

Logisch, dass bei so einem Vorgehen dann mehr junge Menschen in Richutng des Abis drängen, oder? Und eben mitverschuldet durch die Ausbildungsbetriebe, die jetzt niemanden mehr finden...

Der zentrale Faktor für den Fachkräftemangel ist aber schlichtweg die demografische Entwicklung in Deutschland, kombiniert mit viel zu hohen Hürden für Menschen, die aus dem Ausland nach Deutschland ziehen und hier leben und arbeiten möchten. Die Babyboomer gehen in Rente und haben selbst weniger Kinder als ihre Eltern bekommen. Gleichzeitig wird es Menschen mit ausländischen Abschlüssen extrem schwer gemacht, diese hier anerkennen zu lassen und somit in ihrem erlernten Beruf zu arbeiten. Tja, und das Resultat aus diesen beiden Faktoren ist eben einfach, dass derzeit in allen Bereichen und Betrieben massiv Menschen fehlen, die die anstehende Arbeit erledigen können!

Grautvornix  02.07.2023, 11:22

Das kommt noch dazu, zudem was ich geschrieben habe.

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Nein! Der Fachkräftemangel hat demografische Gründe.

Der Jahrgang, der jetzt nach und nach in Rente geht, ist der Jahrgang 1958. Dieser Jahrgang ist rund 1,2 Millionen Menschen stark.
Der Jahrgang, der jetzt nach und nach zu arbeiten beginnt, der Jahrgang 2005 besteht nur noch aus 680.000 Menschen. Es fehlen rund 500.000 Fachkräfte.

Und das ist nicht nur dieses Jahr so, sondern ist schon seit Jahren so und wird noch viele Jahre so sein. Beachtet man die fünf Jahre davor und danach summiert sich der Arbeitskräftemangel auf fast fünf Millionen.

Und der Arbeitswille hat sich verändert. Während die ältere Generation ihr Leben über Arbeit definiert hat und oft sehr viel gearbeitet hat, sehen das Jüngere lockerer und arbeiten nicht mehr komplett 100 %, sondern oft weniger - solange das Geld zum Leben reicht. Das verschärft die Lage zusätzlich.

Dann sollte sich der Präsident mal Gedanken darüber machen wie man in den vergangenen Jahren mit Fachkräften umgegangen ist.

Die Unternehmen fuhren immer höhere Gewinne ein, und die Löhne wurden immer geringer, so das sich die Regierungen gezwungen sahen einen Mindestlohn einzuführen.

Die Gesetze zur Arbeitnehmerüberlassung wurden liberalisiert, aber das reichte noch nicht. Es wurden Werksverträge eingeführt, so konnte man den Arbeitnehmern mit Werksverträgen noch weniger zahlen, als den sogenannten Zeitarbeitern.

Befristete Arbeitsverträge gab es in Kette, so das sich man sich, als Arbeitnehmer immer um seine Zukunft sorgen musste, was dazu führte das man sich mehr gefallen lassen musste, als ein Festangestellter AN, da man ja nicht riskieren wollte keine Verlängerung zu bekommen.

Als Berufsanfänger gleich in ein Zeitarbeitsunternehmen einzusteigen, wurde sehr leicht gemacht. Dagegen eine Direktanstellung zu bekommen war schwierig, weil manche Unternehmen nur über Zeitarbeitsfirmen Personal beschäftigten.

Wie soll man seine erlernten Grundkenntnisse verfeinern, was meist durch Tipps von erfahrenen Kollegen geschieht, wenn man als Zeitarbeiter an einen Betrieb verliehen wird, der eine vollwertige Arbeitskraft erwartet, und man für die Kollegen in dem Betrieb ein Fremder ist, der bald wieder geht?

Diese jungen Fachkräfte wurden dem Markt überlassen. Einem Markt in dem ein Immobilienmakler o.Ä. nebenbei eine Zeitarbeitsfirma betrieb. Hat man da Pech, und wird ein paar Mal an Betriebe ausgeliehen, die "schlechte" Leute gleich zurückschickt, dann ist die Motivation, sich weiterhin Mühe zu geben, nach wenigen Einsätzen bei Null.

Die AG wussten das die geburtenstarken Jahrgänge irgendwann ein Loch hinterlassen würden und sie wussten auch, dass die, die sie ersetzten müssen weniger sein werden. Trotzdem haben sie die Weinigen dem Markt, der alles ja regeln soll, überlassen.

Jetzt schauen sie dumm aus der Wäsche, dafür habe ich kein Mitleid.

grtgrt 
Fragesteller
 02.07.2023, 13:15

Das Dumme ist nur, dass unter solch falscher Politik die Arbeitnehmer mehr zu leiden haben als die Arbeitgeber.

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Grautvornix  02.07.2023, 13:17
@grtgrt

Arbeitnehmer leiden immer mehr als Arbeitgeber. Im Endeffekt hat das ganze Land zu leiden.

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Das mag stimmen, trifft aber sicher nur auf eine geringere Zahl zu.

Denn der „Fachkräftemangel“ ist ja mittlerweile in fast jeder Branche zu finden.
Es fehlen also nicht nur die Fachkräfte, sondern Arbeiter an sich,
also Menschen, die diese unbesetzten Jobs machen könnten.

Würde es nur an Qualifikation fehlen,
müssten die Arbeitslosenzahlen viel höher sein als sie es sind.