ÖPNV auf dem Land, was sind eure Ideen?

7 Antworten

"In der Fläche" werden wir auch weiterhin auf Einzelfahrzeugverkehr angewiesen sein. Wir können das mildern, aber wer einmal im seinem Einzel-Auto sitzt, wird eher bis zum Ziel im Auto bleiben, auch wenn es schon P+R- usw. Angebote gibt.

Ein paar Ansätze, um dennoch kollektive Fortbewegung auf dem Land zu fördern könnte sein:

  • Mehr Fahrradboxen an Haltestellen, die im Einzugsgebiet von 5 bis 8 km genug potentielle Einwohner:innen haben. Mit dem Fahrrad zum Zug, von dort die weiteren 20 km oder so in die Stadt. Die Fahrradboxen sollten für Dauerkarteninhaber:innen gegen einen symbolischen Preis monatsweise reserviert werden können.
  • Rufbusse: Wenn ich den Bus eine Stunde vorher triggere, fährt er an meiner Wunschhaltstelle vorbei, digitale Technik ermöglicht mir zu sehen, wo er gerade wirklich steht oder mich drei Halte vorher oder so zu alarmieren, damit ich nicht ewig "im Regen" stehen muss.
  • Rufbusse, auch kurzfristig: Ich kann schauen, welche Strecke heute schon gebucht ist, und mich dann zusätzlich für eine Haltestelle auf der Strecke anmelden. Das sollte bis kurz vor Erreichen der Haltestelle möglich sein.
  • Rufkabinen auf Schienen (Uni Münster; Quelle nicht gesichert): Für wenig befahrene Nebenstrecken selbstfahrende Kabinen, die sich an Halten zu Wagengruppen vereinigen können (um schneller voran zu kommen) und sich auf freier Strecke wieder trennen, um unterschiedliche Halte wahrzunehmen. Herausfordernd in der Steuerung (Kabinen dürfen nach Trennung nicht mehr wieder auffahren) aber ein Taxi artiger Verkehr für Randzonen. Und für zu reaktivierende Strecken.

Gerade der letzte Punkt sollte uns als fortschrittliche Wirtschaftsnation herausfordern! Wäre doch eine gute Umsetzung, oder?


Anastasia65 
Beitragsersteller
 12.11.2024, 10:43

Danke für die ausführliche Antwort!

MacMadB  12.11.2024, 10:50

Noch zu Rufbussen: Da ich mich in eine Haltestelle "einlogge", sollte ich einerseits auch informiert werden, wenn der Bus ohne mich durch ist, und andererseits, wenn der Bus an der Haltestelle steht und noch 15 s wartet, bevor er ohne mich abfährt. Sprich: Ich müsste mich dann mit einem QR-Code in den Bus auch einloggen, damit der_die Fahrer:in weiß, dass alle da sind.

Nur so eine zusätzliche Idee, die es noch zusätzlich komfortabler und komplizierter 😎 macht.

Was sollten das für Alternativen sein, mit denen man pünktlich und mit nicht übermäßig großem Zeitaufwand zur Arbeit kommt?

Mir fällt nichts anderes ein als Individualverkehr. Gleitzeit und Homeoffice bringen da schon einige Vorteile, aber das ist eben nicht überall möglich.

Man könnte sogenannte "Bedarfshaltestellen" auf Buslinien einführen. Dazu muss man halt vorher anrufen wann man loswill und dann fährt ein, meist kleinerer, Bus die Haltestelle an.


Anastasia65 
Beitragsersteller
 12.11.2024, 10:13

Gibt es das schon?

Artus01  12.11.2024, 10:19
@Anastasia65

Es soll schonmal Versuche in dieser Art gegeb haben, ich weiss aber nicht wo und was daraus geworden ist.

Naja, oft ist es die fehlende Rentabilität für das Verkehrsunternehmen. Bei uns gibt es eine Mitnahmebank, wer Lust hat, kann die Wartenden zur nächsten Stadt mitnehmen.


DaKaBo  12.11.2024, 10:34
Bei uns gibt es eine Mitnahmebank

Sowas gibt's bei uns auch. Das ist die Lachnummer des Jahres. Hätte man mal vorher eine Umfrage gemacht, hätte man vorher wissen können, wie das ausgeht.

Anastasia65 
Beitragsersteller
 12.11.2024, 10:19

So etwas habe ich neulich gesehen, in wie fern ist das sicherer als trampen?

emerel  12.11.2024, 10:22
@Anastasia65

Naja wir wohnen auf dem Dorf, man kennt sich gegenseitig, die Gefahr ist nicht da.

Der ÖPNV hat in der Fläche kein Liniennetz, das ist das Hauptproblem. Es gibt nur einen Linienstern mit der nächstgrößeren Stadt in der Mitte. Wenn man von Dorf zu Dorf muss und die beiden Dörfer nicht zufällig auf einem Strahl dieses Sterns liegen, gibt es zwischen den Dörfern keine ÖPNV Verbindung. Schon ist man auf's Auto angewiesen. Das darf so nicht bleiben. Wir brauchen dringend Ringlinien mit zu den Strahllinien abgestimmten Fahrzeiten, die aus dem Stern ein Netz mit brauchbaren Umsteigemöglichkeiten machen. Und wir brauchen viele, neue Radwege, um auch mit den Rad von Dorf zu Dorf zu kommen, ohne auf engen Landstraßen das Leben zu riskieren.

Ein weiteres Problem ist, dass Kleinstädte keine Stadtbusse haben, sondern nur von den Regionalbussen durchfahren werden. Umwege durch Neubaugebiete kommen für Regionalbusse kaum in Frage, sie würden die ohnehin langen Fahrzeiten noch viel mehr verlängern. Das führt dazu, dass das ÖPNV Angebot auf die Hauptstraße(n) begrenzt bleibt. Da viele Kleinstädte in den letzten Jahrzehnten mit Neubaugebieten stark in die Fläche gewachsen sind, wohnen immer mehr Menschen immer weiter von den Hauptstraßen entfernt. Die Fußwege zur nächsten Haltestelle werden dadurch immer länger. In den Mittelgebirgen kommt dazu, dass bevorzugt minderwertiges Ackerland in Hanglagen aufgekauft und zu Neubaugebieten umgewandelt wird. Der Fußweg vom Bus nach Hause wird dadurch vielerorts zu einer Bergwanderung. Wenn man Einkäufe oder einen Kinderwagen dabei hat, ist das sehr unschön, für alle die schlecht zu Fuß sind wird es zum unüberwindlichen Hindernis. Das Fehlen von Stadtbussen ist auch dadurch negativ, dass es dadurch innerorts keinen Zubringerverkehr zum Bahnhof gibt. Der einzige Bahnhof ist in stark in die Fläche gewachsenen Kleinstädten noch weiter weg als die nächste Bushaltestelle.

Das Problem wird dadurch verschärft, dass die Abfahrtszeiten zwischen den oft in langer Taktung fahrenden Bussen und Bahnen nicht aufeinander abgestimmt sind. Lange Umsteigezeiten verursachen übermäßig lange Reisezeiten.

Sehr negativ wirkt sich auch aus, dass in immer mehr Verkehrsverbünden keine E-Scooter mitgeführt werden dürfen, die den Weg zur Haltestelle erleichtern könnten. Fahrräder mitnehmen ist oft kostenpflichtig und bei hoher Auslastung ganz verboten.

Ein weiteres Problem ist die hoffnungslose Überlastung der bestehenden Linien in den Stoßzeiten des Berufs- und Schülerverkehrs. Das führt dazu, dass viele trotz vorhandener ÖPNV Anbindung das Auto nehmen. In diesen Zeiten könnte der ÖPNV mehr Fahrgäste transportieren, wenn er in den Fahrzeugen mehr Plätze anbieten könnte. Beim Busverkehr scheitert es an zu wenig Fahrern und auch an zu wenig (Gelenk-)Bussen. An vielbefahrenen Netzknotenpunkten ist auch Platzmangel ein Problem, es kommt zu Bus-Staus vor dem Haltestellen. Im Schienenverkehr sind auf dem Land meist eingleisige Trassen und kurze Bahnsteige ein nur mit Milliardenaufwand zu beseitigendes Hindernis für Kapazitätssteigerungen.

Mitunter muss man sich auch die Frage stellen, ob die Stadtplaner wirklich Interesse an funktionierendem ÖPNV haben. Viel zu oft werden Haltebuchten für Busse rückgebaut. Bussen werden dadurch Wartemöglichkeiten genommen, mit denen sie auf die planmäßige Abfahrt warten können, wenn sie in verkehrsarmen Zeiten zu früh angekommen waren. Das erschwert die Arbeit der Fahrer, die bei leerer Straße absichtlich besonders langsam fahren müssen um nicht zu früh anzukommen und es schadet dem Verkehrsfluss insgesamt. Außerdem fällt auf, dass grundsanierte Straßen oft schmälere Fahrbahnen, neue Mittelinseln und neue Verschwenkungen haben, die es vorher nicht gab. Die Idee dahinter ist, den Autoverkehr zu verlangsamen und breitere, besser benutzbare Gehwege und sichere Querungsmöglichkeiten zu bauen. Aber niemand denkt daran, dass den Busfahrern dadurch die Arbeit erschwert und für den Fahrgast die Pünktlichkeit gefährdet wird, weil nach der Sanierung an vielen Stellen keine 2 Busse mehr aneinander vorbei passen oder neue Engstellen besonders vorsichtig und langsam durchfahren werden müssen.

Zu einer vollständigen Lösung des ÖPNV Problems auf dem Land gehört auch, dass man die Liniennetze in den größeren Städten neu denken muss. Das oft unkoordinierte Nebeneinander von bis ins Stadtzentrum fahrenden Regionalbussen und innerhalb der Stadt fahrenden Stadtbussen verursacht auf vielen Streckenabschnitten ein Doppelangebot das in dieser Form nicht benötigt wird und die Infrastruktur übermäßig belastet. Wo sich alles trifft, gibt es Bus-Staus vor den Haltestellen.

Um das Problem zu umgehen und gleichzeitig den in die Stadt fließenden Autoverkehr zu reduzieren, müssen an den wichtigsten Einfallstraßen am Stadtrand Umsteigezentren neu gebaut werden. Dort muss der Umstieg von den dann dort endenden Regionalbussen auf die mit enger Taktung bis dort hin verlängerten Stadtbusse, Straßen- und U-Bahnen eingerichtet werden und dort müssen auch P&R Parkplätze/Parkhäuser gebaut werden, um einen unkomplizierten Umstieg vom Auto auf den innerstädtischen ÖPNV zu ermöglichen. Kaum jemand der auf dem Land wohnt hat Spaß daran, in der Stadt mit dem Auto zu fahren. Eine bequeme Umstiegsmöglichkeit wäre vielen Autofahrern sehr willkommen.

Wenn die Regionalbusse nicht mehr innerhalb der Stadt um Platz konkurrieren und auch der Autoverkehr zumindest nicht weiter wächst, ergibt sich mehr Platz für eine Verdichtung der innerstädtischen Linien und Taktzeiten. Davon profitieren auch die Stadtbewohner.

Und nochwas: Wir brauchen ein Rauchverbot in den ÖPNV-Wartehäuschen. Ein einziger suchtgesteuerter Raucher reicht um den Auffenthalt für alle anderen Wartenden zu verqualmen. Man hat die Wahl zwischen gesundheitsschädlichem, stinkendem Rauch oder außerhalb des Wartehäusschens im Regen stehen. Das darf so nicht bleiben.