Zeitzeugen gesucht - Wer hat in der DDR gelebt und welche Gefühle/Taten hat der Mauerfall bei dir ausgelöst?

6 Antworten

Ich war 22 Jahre, als die Mauer gefallen ist, hatte schon eine eigene Wohnung. Ich bin nicht gleich gefahren, ging auch gar nicht. Ich musste ja am Freitag, dem 10  November arbeiten. Ausserdem musste man sich auch noch einen Visa-Stempel für den Ausweis holen, um in den Westen reisen zu können und auf der Sparkasse 15 DDR-Mark in 15 DM umtauschen. Ich glaube, das habe ich an einem Wochenende gemacht, weiss das nicht mehr so genau. Am 25. November, das war ein Sonnabend, bin ich zum ersten Mal  mit dem Zug nach Lübeck gefahren. Ich kannte mich da natürlich kein bisschen aus, damals gab es auch noch kein Internet, wo man Google Maps nutzen konnte, um den Weg in die City zu finden. Bin einfach den vielen Leuten hinterhergelaufen,  die mit mir mit dem Zug gekommen waren. Erstmal musste man zu einer Bank gehen und sich die 100 DM Begrüssungsgeld abholen, die jeder DDR-Bürger damals geschenkt bekam. Ich war dann  bei Coop und bei Schlecker und war zum ersten Mal bei McDonalds essen. Und ich war in einem Schuhladen und habe mir da für 30 DM Lederturnschuhe gekauft. Da habe ich mich noch mit den Verkäuferinnen unterhalten, die gleich gemerkt haben, das ich aus dem Osten bin (wahrscheinlich weil man als Ossi nicht so schick angezogen war wie die Wessis.) Ich war einfach überwältigt von allem, dem riesigen und tollen Warenangebot, aber auch der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen. Egal ob das Verkäufer waren oder ganz normale Kunden, sie haben den DDR-Bürgern sofort bereitwillig geholfen, wenn die von dem riesigen Angebot verwirrt waren und nicht wussten, was sie kaufen sollten. Ich habe mir dann auch noch eine "Neue Post" gekauft, die kannte ich, weil meine Oma mal ein paar Jahre vorher eine in die DDR geschmuggelt hatte, als sie im Westen war (Rentner durften ja auch schon zu DDR-Zeiten in den Westen reisen.)  Ich weiss noch, als dann im Zug  auf der Heimfahrt Fahrkartenkontrolle war, habe ich seelenruhig in der Zeitschrift gelesen, ich wusste ja, jetzt würde es keinen Ärger mehr deswegen geben und mir würde die auch keiner wegnehmen. In den Jahren davor hatte ich das schon anders erlebt mit Büchern aus der BRD, die meine Oma mitgebracht hatte.

Mutter und ich sahen den Mauerfall im DDR- Fernsehen, der Abendnachrichtensendung Aktuelle Kamera, und konnten gar nicht glauben, was geschah: Menschenmassen auf, an der Mauer, Trabbi und Co fahren unangefochten über die Grenze, wobei ratlose Grenzer einfach nur Platz machen, feiernde Menschen auch dort...

Es war der blanke Wahnsinn im positiven Sinn.

Wochen später fuhren wir Zwei nach Westberlin und mit einem Doppelstockbus!!! von Bahnhof X in die Stadt rein, reihten uns in eine Schlange aus sicher 1000 Leuten an einer Sparkasse ein, beäugten erstaunt - ungläubig die Glitzerwelt mit all ihrer Werbung.

Mit unseren je 100 DM Begrüssungsgeld wanderten wir schließlich und landeten in einem gigantischen Hertie- Kaufhaus, wo mich gleich eine 10 l Flasche Parfüm in der Kosmetikabteilung faszinierte.

In der Obstabteilung musste ich mich stark beherrschen, nicht aus einer Kartonage mit Fruchtschalen eine Banane zu fischen, die man entsorgte, weil ihre Schale ein wenig aufstand - die Frucht als Solche war absolut in Ordnung - die Verschwendung ärgerte mich.

Schließlich kaufte ich mir 2 kg. besagter Früchte und hatte sie noch vor dem Erreichen der Stadt Cottbus verschlungen.

Und dann kam der Tag, an dem Karl- Eduard von Schnitzler (Sudelede wie er genannt wurde), die Einstellung seiner Agitations-/ Propaganda- Sendung namens Der Schwarze Kanal verkündete - da endete ein Stück Kindheit.

Radio Sputnik brachte dann eine Sendung namens TOP 2000 D, mit den Lieblingssongs der gesamten Deutschen und ich hing nur noch am Radio, nahm wie irre auf Tonbandkassetten auf, die teils pro Stück mit 27 DDR Mark zu Buche schlugen - gab auch welche zu 17 M.

Verflixt viel bei 110 M Lehrlingsgeld bzw. selbst noch als ich dann in der LPG als Melker/ Viehpfleger 1100 M verdiente, was ein sehr hoher Lohn war.

Mutter verdiente ca. 450 M als Angestellte im Wählersaal der Dt. Post..., lG.

Gugu77  25.12.2016, 16:13

Das ist ja total interessant!

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ilknau  25.12.2016, 16:17
@Gugu77

Bitte schön, :D

Noch ganz wichtig: dort in einem Kiosk kaufte ich meinen ersten Asterix- Comic (6,80 DM): Asterix und der Kupferkessel - hab ich heute noch + inzwischen auch alle Anderen.

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Buddhishi  25.12.2016, 23:31
@Gugu77

Ja, absolut, habe gerade ein Kompliment gemacht, denn das war der tollste Zeitzeugenbericht, den ich je gelesen habe. Best answer!

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Ich habe NICHT in der DDR "gelebt" bin aber als Fernfahrer mehrere Jahre auf den Transitstrecken unterwegs gewesen und habe gelegentlich auch westdeutsche"Edelprodukte" in die DDR geliefert. Deshalb kannte ich mich dort recht gut aus. Beispiel: Wenn ich auf einer der Transitstrecken unterwegs gewesen war und entweder in Westberlin oder in der Bundesrepublik ankam, hatte ich IMMER das Gefühl während des Aufenthaltes in der "Zone" die Luft angehalten zu haben. Das wäre natürlich völlig unmöglich gewesen, aber jeder Grenzübertritt nach Westdeutschland oder Westberlin war für mich IMMER mit einem Aufatmen verbunden..

Meine Erinnerung sind lückenhaft, begründet durch das Alter aber auch durch die große Aufregung.


Ich war 11 als die Ankündigung über den Bildschirm flimmerte, das man über die Grenze darf. Zu dem Zeitpunkt war ich allein zu Hause mit meiner Mutter. Meine ältere Schwester war mit Freunden draußen - abhängen würde man wohl heute sagen. Mein Vater war noch auf der Arbeit.

Mein Opa, der nicht weit entfernt wohnte, kam direkt bei uns vorbei und wir fuhren anschließend mit ihm im Auto durch die Stadt, um meine Schwester zu finden. Ich erinnere mich das er alle paar Meter aus dem Fenster auf verschiedene Männer deutete und immer 'Stasi' sagte. In der Kirche schien eine Menge los zu sein - sehr viele Menschen, ungewöhnlich für den kleinen Ort und die Uhrzeit.

Die Atmosphäre empfand ich als spannend aber auch ein wenig beängstigend.

Nachdem wir meine Schwester gefunden hatten, fuhren wir zur Polizeiwache, wo schon eine lange Schlange von Leuten wegen der nötigen Visa anstand.

Wir stellten uns an. Wie lange wir dort warteten weiß ich nicht mehr, aber schlussendlich hielten wir ungläubig die Visa in der Hand.

Wieder zu Hause angekommen, war mein Vater mittlerweile zu Hause und wenig begeistert von der Idee noch am gleichen Abend nach Berlin zu fahren. Meine Eltern stritten sich, ich heulte, meine Mutter zerriss aus Trotz die Visa und irgendwann lenkte mein Vater dann doch ein. Das hieß nochmal zur Polizei neue Visa holen, zu den anderen Großeltern, da sie ein Telefon hatten und die Großtante in Westberlin anrufen und unseren Besuch ankündigen und dann ging es auf nach Berlin.

Dort angekommen stellten wir das Auto ab und bewegten uns per U- und S-Bahn weiter. Ich erinnere mich vor Aufregung sogar mit den Zähnen geklappert und gezittert zu haben - konnte mich nicht einkriegen.

Es waren überall ziemlich viele Menschen unterwegs und meine Eltern trafen sogar einige Bekannte in den Menschenmengen, die wohl genauso aufgeregt waren. Am Grenzübergang selbst, schienen sich die Massen schon etwas verlaufen zu haben.Die Leute wurden zügig abgefertigt - es war recht unspektakulär.

Auf der anderen Seite angekommen überkam mich die totale Ernüchterung.. Ich hatte aufgrund dessen was ich im TV gesehen hatte, erwartet es gäbe überall Leuchtreklame und es wäre viel los auf den Straßen - tatsächlich sah es genauso wie auf der Ostseite aus.

Bei der Großtante angekommen, wurden wir Kinder alsbald ins Bett gesteckt.

Am nächsten Tag wurde dann die Gegend erkundet. Das erste, das ich vom Begrüßungsgeld bekommen hatte, waren Turnschuhe. Ich war lediglich mittelmäßig begeistert und neidisch, weil meine große Schwester sich eine Bravo kaufen durfte :)

Bevor wir uns am Nachmittag wieder auf den Heimweg machten, durfte ich mir aber noch einen großen Traum erfüllen - ein Cornetto-Eis. 

Hundertmal in der Werbung im TV gesehen, immer im Bewusstsein, das man sich theoretisch ja alles irgendwie schicken lassen kann, nur kein Eis. Entsprechend spektakulär war das dann auch für mich tatsächlich so ein Eis in der Hand zu halten. :)

Ich habe übrigens bis heute noch den typischen Intershop-Geruch - eine Mischung aus Waschpulver und Süßigkeiten in der Nase, wenn ich an früher denke. So roch für mich der Westen oder so hatte ich jahrelang geglaubt würde der Westen riechen.



die meisten menschen gingen auf montagsdemos um ein recht auf freiheit zu bekommen:

- recht auf freie meinung - die gab es nicht, die leute haben alles hinter vorgehaltener hand erklärt

- das recht auf freie berufswahl nach der schule - gelernt werden musste das was im abschlussjahrgang zur verfügung stand

- das recht sich schulisch selbst zu entfalten, nur die wenigsten durften zur eos. a) nur die allerbesten mit 1er durchschnitt und b)nur die die auch papis parteibuch vorzeigen konnten

- das recht zu studieren was man wollte, auch hier zählte neben dem abi, die parteizugehörigkeit des jungen erwachsenen und das was zur verfügung stand und gefragt war in der zeit. (einige ausnahmen gabs auch hier)

- das recht zu reisen war den menschen extrem wichtig. denn die wenigsten wollten "ausreisen", die meisten wollten einfach nur die welt sehen und dann wieder kommen nach dem urlaub um weiter zu arbeiten. menschen hatten ja im endeffekt alles was sie brauchten in der ddr: arbeit, rente, absicherung bei krankheit, klasse hort und kitasystem etc.

wir hatten alles: meine eltern hatten beide arbeit, waren gut bis sehr gut bezahlt. sie konnten innerhalb der ddr reisen wohin sie wollten. einmal durften sie in die su reisen mit dem schiff, weil sie es sich verdient hatten, hatte der chef gesagt. offiziell hieß es es sind tolle mitstreiter des sozialismus lol.

das geringste übel hat meine eltern maßlos geärgert: sei es das es nicht genügend obst gab wie orangen, bananen oder klamotten für die kinder. sei es das sie wieder ab 5 uhr morgens am samstag sinnlos angestanden haben am baustoffhandel für ziegel, zement oder sonstwas. sei es das sie nicht verreisen durften ins ausland (zu verwandten in den westen ganz zu schweigen). sei es dass sie nicht genügend abwechslung im supermarkt hatten oder sei es das sie den ganzen sinnfreien mist des marxismus-leninismus ständig mithören mussten. es fehlte an allem und vielem, vieles haben sie gelernt zu ersetzen und zu erhalten - immerhin können ossis aus schxxe... bonbons machen.

als die leute anfingen abzuhauen, waren meine eltern nicht begeistert, da es die sache innerhalb des landes nicht löse und eine angleichung an den westen wiederum wollten sie nicht. sie hatten sich eingerichtet, wollten aber die inneren mißstände beseitigt und bearbeitet haben. aussage meines vaters: es ist nicht alles gold was glänzt und im endeffekt ist es egal unter welchem kaiser wir sitzen, es ist alles mist, wenn das im inneren nicht funktioniert....

sie wollten reisen, genügend auswahl haben und auch südfrüchte, die sie als selbstverständlich ansahen etc. preise die moderat sind und allen die möglichkeit geben sollten was schönes zu haben. die knappheit muss beseitigt werden etc. sie gingen zu den demos, sie haben es sich angehört, im fernsehen angeschaut und dann fiel die mauer. dann sind wir losgefahren gucken. viele menschen schrien hurra, andere waren wie gelähmt, meine eltern unkten viel schlechtes und das kam auch so: die menschen wurden massenhaft arbeitslos, der goldene westen entpuppte sich auch nur als ein land mit viel schein als sein und haufen gelabber. aber sie konnten nun reisen.

das taten wir dann auch. erst ungarn, dann griechenland und irgendwann weiter weg. der westen brachte uns bunte schaufenster, neue hausfassaden, 20% arbeitslosigkeit in vielen regionen, massenhafte abwanderung der jungen leute und fachkräfte, vielen leuten brachte es armut ins haus, die sie trotz knappheit nicht so kannten. viele verloren viel, einige verloren alles: haus, arbeit, auto. meine ellis verloren die hälfte der ersparnisse zur dm und die hälfte der ersparnisse noch einmal zur zeit der umstellung auf den euro.

meine oma sogar dreimal: reichsmark zu ostmark, ostmark zu dmark und dmark zu euro. das hat sie sehr geärgert, denn der preis für die freiheit war für die meisten menschen sehr hoch. aber es ist nun mal wie es ist und die leute richten sich mit dem ein was sie heute haben. den meisten gehts gut, die verlierer haben verloren und heulen nach dem ewig gestrigen und ich bin froh das es ist wie es ist - weil es gut so ist.