Was für ein Verhältnis haben die Ostdeutschen zu Russland?

12 Antworten

Selbstverständlich gab es mehr als nur kulturelle Beeinflussung in der ehem. DDR. Auch wenn diese nur 40 Jahre lang bestand, reichte es sicherlich um die Denkweise und Sozialisierung zumindest 2 Generationen von Ost-deutschen zu prägen.

Dabei sind sicherlich die wenigsten zu dem Rückschluss gekommen, dass unter Sowjet-Kontrolle alles prima war zu dieser Zeit. Hört man sich Erfahrungsberichte an, war die Gesellschaft zu jener Zeit stark von Abhängigkeiten mit Beziehungen (Parteimitgliedschaft) und gegenseitigem Misstrauen (Stasi) begleitet.

Der entscheidende Punkt ist das die Wende in Ostdeutschland für die Menschen zum größten Teil ein Desaster war und die BRD mit einem Obrigkeitsverständnis dort regelrecht einmarschiert war, in Form von wirtschaftlichen Übernahmen etc.

Die Zustimmung zu Putin - als eine Form der letzten Bastion gegen den "West-Kapitalismus" - könnte auch als eine Art der Kritik gegen die westliche Kultur im Allgemeinen zu verstehen sein. Oder eine Art antrainierte Kritik gegen die jeweilige deutsche Regierung auf Grund schlechter Prägungen.

Jeder Mensch tendiert dazu seine Vergangenheit rückblickend als schöne, besser, einfachere Zeit wahrzunehmen, weil unser Gehirn die schlechten Erfahrungen ausklammert zum Wohl der eigenen Psyche. "Früher war alles besser" ist also keine Entscheidung, sondern ein "natürlicher" Vorgang, welcher zu dieser Aussage führt. Auch das könnte mir reinspielen, dass die Russen "damals" als gar nicht so schlimm empfunden werden.

Ich habe mal kopiert, was ich unter einer anderen Frage hier aufgeschrieben habe:

Thema heute ist die angebliche Deutsch-Sowjetische Freundschaft.

Das war eine Organisation in der DDR, der Beitritt war Pflicht in dem Moment, als man in die Lehre kam. Da hatte man Mitgliedsbeiträge zu entrichten. Veranstaltungen dazu gab es bei uns nicht.

Hier in der Gegend waren damals Sowjetsoldaten. Die lebten streng abgegrenzt am Rande eines Waldes außerhalb der Ortschaft. Fragte man in dem Dorf nach, sagten alle, dass sie nie einen Soldaten im Ort sahen. Ich kenne auch keine einzige Frau, die mit einem Sowjetsoldaten befreundet war. Fuhren die Soldaten mit dem Zug, saßen sie separat. Da war null Kontakt.

Erst nach dem Mauerfall wurde das anders. Erstmals sahen wir Leute, als das Areal verkauft werden sollte. Der Boden war total ölverseucht.

Hier in Thüringen gab es in Ohrdruf einen Laden der Russen, den man als Deutscher besuchen konnte. Ich war als kleines Kind dort mal mit meinen Eltern drin, was es da gab, weiß ich nicht mehr. Genannt wurde der Laden "das Russenmagazin".

Wir waren alle total westorientiert damals. Und wir mussten hinter Mauer und Stacheldraht leben.

Was heute einige Ostdeutsche verbreiten, stand genauso in unseren Lehrbüchern der 80er. Wir haben unter uns als Schüler darüber gelacht, dass der Westen der Böse sein soll. Angeblich war der Sozialismus überlegen. Wie es wirklich war, sah man in den Läden und am Wohlstand. Jeder Westdeutsche, den ich damals kannte, hatte einen höheren als wir. So einen Käse, dass die Russen unsere Freunde seien, erzählten nur stramme SED-Genossen. Und die waren hier in Grenznähe Mangelware .Warum heute einige Ostdeutsche von sich geben, dass sie das innerlich verankert haben, was sie in der DDR gelernt haben, ist mir ein vollkommenes Rätsel. Forscher sagen, dass diese Ostdeutschen mit dem Westen seit der Wende nicht gut können, und sie das dann als Verbund mit Russland sehen. Dabei sollten Ex-DDR-Bürger, die so denken, mal ihr Weltbild überprüfen, finde ich,

Aus meiner Familie arbeitete nach der Wende nie jemand im Westen, auch wir waren nach der Wende alle mehrfach arbeitslos. Aber keiner von uns hat je eine Stunde mit Freiheit und Demokratie gehadert. Es gab Arbeitslosengeld, ABM und Kurse. Diese Kurse haben mir nie gefallen, ich war in mehreren zwangsverpflichtet, aber da musste ich eben durch. Deshalb wünsche ich mir doch keine russische Besatzung zurück.

Ostdeutsche Rentner reden heute öfter die Diktatur schön. Meine Eltern sind auch ostdeutsche Rentner, das machen sie aber nicht.

Meine Oma erzählte, wie es 1945 war, als hier in Thüringen die Amerikaner als Befreier kamen. Die wurden von den Menschen freundlich empfangen. Dann kam die Meldung, dass die Sowjets übernehmen. Und da hatten die Leute richtig Angst.

Wir hatten in den 80ern in der Schule Russischunterricht. Mir fallen Sprachen leicht. Wir mussten damals fiktive Briefe an sowjetische Kinder schreiben als Unterrichtsthema: liebe Irina... liebe Natascha... Ich fragte den Lehrer, ob man da Adressen bekommen kann. Das war nicht möglich. Schade, ich hatte da Interesse dran. Und mir war egal, ob das Mädchen aus Leningrad, Kiew, Taschkent, Minsk oder aus der Provinz kam. Mir wurde auch nie eine Begründung gegeben, warum das nicht ging.

Meine Großeltern im Nachbarkreis erzählten von der Niederschlagung des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953. Da rollten sowjetische Panzer alles platt.

CorgiMcweasel  14.10.2023, 02:11

Interessant :) Ja, da hast du recht. Vor allem ist es absoluter Unsinn, wie von einer anderen Person bei dieser Frage behauptet, dass die Sowjetunion nie einen Angriffskrieg begangen hat. Mehr Gehirnwäsche gibt es nicht. Das sagen nämlich in erster Linie russische Nationalisten & Faschisten und sowjetische Kommunisten selbst. Afghanen und viele andere Nationen, auch wo die Russen Aufstände niedergeschlagen haben, wie Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien (und auch das neutrale Finnland) und selbst alle drei ehemaligen baltischen Sowjetrepubliken sahen das ganz anders, nämlich die Sowjetunion als aggressiven Staat, der andere Staaten angreift.

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Katinkacat  19.10.2023, 18:55
@CorgiMcweasel

Was manch ein User hier behauptet, habe ich auch so noch nie erlebt. Ich kenne keinen einzigen Menschen in meinem Umfeld, der sich die DDR zurück wünscht. Selbst die 3 Kommunistenkinder in meiner Klasse sagten damals manchmal, dass sie die DDR auch nicht mochten.

Als 1986 Top Gun rauskam, hörten wir die Musik im Radio des Westens, lasen davon in geschmuggelten BRAVOs, aber den Film konnten wir nicht sehen. Den sah ich erstmals in den 90ern im Privat-TV. Ich bin eigentlich Anti-Kino, aber im Vorjahr war ich bei Top Gun Maverick im Kino. Die Amerikaner fanden wir alle sehr viel besser als die Sowjets.

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Welche Einstellung ein Mensch zu einem anderen Land hat, kann nur individuell betrachtet werden. Nach Erzählungen meiner Vorfahren war die Kriegsgefangenschaft nach dem 2. Weltkrieg für deutsche Gefangene in der Sowjetunion echt grausam, klar, hatte Deutschland dort auch Schlimmes angerichtet. Somit hat der Betroffene bis heute eine negative Einstellung zu Russland. Mein Vater hingegen war in Südfrankreich zwei Jahre Gefangener und durfte auf einem Weingut wohnen und arbeiten, kam zurück und hatte einiges für sein Leben dazugelernt. Nun und ich? Habe schon immer mit gebrauchten Autos gebastelt, so einen alten PKW Moskwitsch und Lada reparieren können, weil es eine überschaubare und robuste Technik war. Nur etwas dürfen Ost- und gleichermaßen Westdeutsche nicht vergessen: Seit etwa 1970 heizen wir unsere Wohnungen und Häuser mit russischem Erdgas, stets zuverlässig und preisgünstig. Seit diesem Jahr ist das nun der unüberlegten Sanktionspolitik zu schulden, dass dies alles vorüber ist. Mit dem ausfallendem Erdöl geschieht das gleiche Schicksal. Von Krise kann man da nicht mehr reden, weil künftig die Preise für Heizenergie und Benzin ein Dauerzustand sein werden. Fazit: Das Verhältnis zu Russland wird durch die Ostdeutschen realer eingeschätzt werden, als durch andere!

BenniXYZ  03.12.2022, 23:25

Bis auf die unüberlegte Sanktionspolitik stimme ich dir in allen Punkten zu. Ich möchte nicht mit blutigem Gas heizen. Da ziehe ich mir lieber 4 Pullover über. Der Russe darf von uns möglichst kein Geld erhalten um seinen Krieg gegen die Ukraine zu finanzieren.

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Ich glaube nicht, dass die Beziehungen zwischen Sowjet-Russen und DDR-Bevölkerung besonders positiv waren.

Die Sowjetunion ist zusammengebrochen, weil sie mit dem Westen nicht mithalten konnte. Und der Abstand ist bis heute noch größer geworden. Das verdrängte Minderwertigkeitsgefühl ist für mich der Hintergrund des Krieges gegen ein Nachbarvolk. Die Ukraine triggert Russland, weil sie sich einen potenteren Partner im Westen wünscht. Das positive Putinbild findet sich eher bei Leuten, die nach der Wende Probleme hatten. Deshalb können sich viele Leute im Osten identifizieren. Insbesondere abgehängte, ländliche und zurückgebliebene Regionen sind ja die Basis der Putinisten.

Das sollte man auf gar keinen Fall pauschalisieren und allen Ostdeutschen die gleichen Erfahrungen und die gleiche Meinung andichten.

Viele haben positive Erfahrungen mit den Russen gemacht, andere sehr negative. Allen älteren Ostdeutschen gemeinsam ist jedoch, dass sie allein schon durch den Russisch Unterricht in der Schule ganz andere Erfahrungen gemacht haben, als die Leute im Westen.

Vielen taten die russischen Soldaten leid, weil sie regelrecht "eingekerkert" waren in ihren Kasernen. Das änderte aber nichts an der Bedrohung, die von ihnen ausging. Es kam immer wieder zu Übergriffen, die allesamt von der Stasi vertuscht wurden.

Heute ist viel Gras über die alten Geschichten gewachsen und die positiven Erinnerungen haben viele negative Erinnerungen verdrängt. Deshalb stehen die meisten Ostdeutschen den Russen wohl positiver gegenüber als die Westdeutschen. Doch wie gesagt! Das sollte man nicht verallgemeinern!