Blickwechsel 30. Juni 2023
Deine Fragen an eine nonbinäre Person
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Was bedeutet für dich weibliche Identität?

1 Antwort

Hey JoshuasFragende!

Weiblichkeit zu beschreiben ist schwer, denn es gibt keine feste Definition. Abgesehen von den biologischen Merkmalen sind es vor allem soziale bzw. emotionale Aspekte, die eine Frau ausmachen.

Ich konnte mich eben nie damit identifizieren, ich wusste aber nicht wieso. Ich wusste nur, dass ich nicht weiblich bin.

Danke für deine Frage!

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Teil der LGBTQ+ Community
JoshuasFragende 
Fragesteller
 30.06.2023, 16:52

Ok. Was für soziale und emotionale Aspekte wären das denn?

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PsychoRolf  01.07.2023, 01:56
@JoshuasFragende

Da LunarEclipse sicher nicht die Zeit hat, antworte ich mal aus psychologischer Sicht:

Soziale und emotionale* Aspekte von Weiblichkeit bedeuten, Männlichkeit emotional (nicht unbedingt sexuell) als einen Gegenpol zu empfinden (als andersartig aber auch ergänzend, auf jeden Fall als anziehend). Dieser Aspekt trifft nicht auf Homosexuelle zu.

Es bedeutet auch, dass frau/man sich schon von Anfang an viel leidenschaftlicher für Babies und Kinder interessiert als (männliche) Männer das tun. Deshalb denkt man/frau früher und intensiver über das Kinderkriegen (oder nicht haben wollen) nach als (männliche) Männer und beachtet die "biologische Bremse".

Weiblichkeit bedeutet auch, mehr Wert darauf zu legen, sich zu pflegen, schön aussehen zu wollen und attraktiv zu sein und mehr auf sein Gewicht zu achten. Weibliche Menschen umwerben (erobern) eine(n) potentiellen Partner(in) nicht aktiv, sondern locken ihn mit Charme und erotischen Reizen an.

Außerdem bedeutet es, mehr über Gefühle zu reflektieren und ein Bedürfnis zu haben, darüber zu reden. Man/frau ist daran interessiert, Konfrontationen zu vermeiden, um nicht sein Ego durchzusetzen sondern einen Konsens zu erreichen.

Diese Beschreibung von Weiblichkeit setze ich nicht allein mit Frauen gleich; es gibt auch biologische Männer, die sehr viel von diesen weiblichen Eigenschaften haben, ohne homosexuell oder non-binär zu sein; so wie es auch sehr männliche Frauen gibt.

Ich behaupte auch nicht, dass diese Eigenschaften biologisch festgelegt wären. Sie werden gesellschaftlich (sozial) erlernt bzw. weitergegeben.

*Die Eigenschaften "sozial und emotional" kann man bei dieser Aufzählung nicht trennen. Sie überschneiden sich meist.

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JoshuasFragende 
Fragesteller
 01.07.2023, 09:27
@PsychoRolf

Danke für die ausführliche Antwort. Ich hatte auch schon vermutet, dass diese soziale Differenzierung zwischen männlich und weiblich hauptsächlich auf stereotypischen rollen Bildern und statistisch normal verteiltem verhalten des jeweiligen Geschlechts geschieht.

Für mich klingt das jedenfalls alles ein wenig nach sexistischen und überholten rollen Bildern, die nichts damit zu tun haben, was eine Person wirklich ausmacht. Aber wie du selbst ja schon sagtest, kann ein mann auch typisch weibliche Attribute haben und umgekehrt. Daher verstehe ich immer noch nicht ganz, wie man sich sozial einem bestimmten Geschlecht zuordnen / nicht zuordnen kann oder was ein soziales Geschlecht überhaupt sein soll, wenn jedes soziale Merkmal auf beide Geschlechter zutreffen kann und es keine Möglichkeit gibt, soziale Geschlechter eindeutig von einander zu unterscheiden.

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PsychoRolf  01.07.2023, 11:28
@JoshuasFragende

Wir, also die Gesellschaft, ordnen die Rollen zu, durch Erwartungen. Wir erwarten von einer Frau, die einen biologisch weiblichen Körper hat und sich (gemäß Modediktat) weiblich kleidet, dass sie sich gemäß unserer stereotypischen Erwartung verhält, denkt, fühlt.

Wobei ich nicht ganz ausschließen möchte, dass die körperlichen, biologischen Merkmale zum Teil auch zu den Rollenerwartungen beitragen. Wer schwanger werden kann, möchte oft auch Kinder und erfüllt gern die Erwartung, die man/frau an Mütter stellt. Oder wer ständig Erektionen bekommt, möchte auch gern seinen Samen möglichst weit streuen, verhält sich also (zumindest in der Jugend) promiskuitv, heißt, er wechselt seine Partner*innen oft.

Es sind eben die biologischen Merkmale, die unser Rollenbild historisch geprägt haben. Das weicht nun zum Teil auf. Das finde ich weder gut noch schlecht.

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JoshuasFragende 
Fragesteller
 01.07.2023, 13:20
@PsychoRolf

Ok, dann verstehe ich nicht ganz, wie weibliche oder männliche Identität zustande kommt. Man scheint männlich und weiblich im sozialen Sinne ja gar nicht voneinander trennen zu können, was eine Differenzierung obsolet macht. Das scheinen dann ja zwei Begriffe zu sein, die sich irgendwie auf das selbe beziehen können oder das selbe meinen.

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PsychoRolf  02.07.2023, 01:08
@JoshuasFragende

Doch, gerade die sozialen Rollenerwartungen prägen (neben den biologischen Merkmalen) unsere Geschlechtsidentität, jedenfalls im Normalfall. Das wird nur dann aufgeweicht oder irritiert, wenn die Eltern/Familie andere Rollen erwarten oder andere Rollenvorstellungen haben oder sich ein anderes Geschlecht gewünscht haben. Oder wenn eine non-binäre Person durch uns bisher unbekannte Faktoren die allgemein erwartete Rolle nicht erfüllen kann.

Ansonsten sind die Rollenbilder der 2 Hauptgeschlechter tief im kollektiven Unbewussten verwurzelt. Die weichen auch nicht so schnell auf. Nur in einigen Anteilen, aber nicht grundsätzlich.

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JoshuasFragende 
Fragesteller
 02.07.2023, 11:37
@PsychoRolf

Ok. Also da würde dir LunarEclipse vollständig widersprechen. Sie hat in ihren Antworten ja immer wieder betont, dass die Geschlechtsidentität gar nichts mit Rollenbildern zu tun hat. Siehe zum Beispiel hier:

https://www.gutefrage.net/frage/was-bedeutet-geschlecht-und-geschlechtsidentitaet-fuer-dich

Rollenklischees sind ein Problem; aber haben mit Geschlechtsidentität nichts zu tun.

Ich finde jedenfalls nicht, dass wir uns dem Druck irgendwelcher Rollenbilder und Geschlechterklischees beugen müssen. Ich bin zum Beispiel kein typischer Mann, bin sehr gefühlvoll / sensibel, empathisch, liebe Gedichte und die Natur. Aber das ändert nichts daran, wie ich mich selbst identifiziere. Ich bin ein Mann und lehne klassische Rollenbilder ab, auch, da sie auf mich nicht zutreffen.

Wenn Queere Menschen sich dem Druck der Gesellschaft beugen würden, idem sie ihre Identität aufgeben, nur weil ihr Geschlecht nicht dem Rollenbild entspricht, welches von der Gesellschaft diktiert wird, hätte ich jedenfalls keinerlei Respekt vor solchen Menschen. Das ist Unterordnung und Anpassung auf der größtmöglichen Stufe. Aber genau das, wie die Mehrheit der Queeren betonen, tun sie ja nicht. Für sie haben Rollenbilder nichts mit Geschlechtsidentität zu tun, sondern man hat diese einfach.

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PsychoRolf  02.07.2023, 13:42
@JoshuasFragende

Ich stimme vollkommen mit dir überein. Ich bin auch ein "untypischer" Mann, ich sage zu mir selbst, ich bin ein Mann der "Neuen Zeit", ebenfalls sensibel, empathisch, harmonieliebend, anpassungsbereit, Naturbewunderer, ein Kinder- und Tiernarr und Frauenversteher (habe mehr Frauenfreundinnen als männliche Fraunde). Sexuell bin ich allerdings rein hetero. Das ist kein Widerspruch für mich, nur für manche Frauen ein Problem. Ich nenne sie Machofrauen.

Ich beuge mich auch keinem Klischee, egal welchem. Und ich finde die Queere Scene wichtig, um Vorurteile und festgefahrene Rollenklischees abzubauen.

Ich habe als Psychologe nur die Vermutung, dass man nicht einfach eine abweichende Geschlechtsidentität "hat", sondern dass sie irgendwie (evtl. auch vorgeburtlich) psychisch und/oder hormonell geprägt wird.

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JoshuasFragende 
Fragesteller
 02.07.2023, 21:23
@PsychoRolf
Ich beuge mich auch keinem Klischee, egal welchem. Und ich finde die Queere Scene wichtig, um Vorurteile und festgefahrene Rollenklischees abzubauen.

Das finde ich gut. Nur tun queere Menschen nicht genau das Gegenteil, wenn sie lieber einen Teil ihrer Identität korrigieren / aufgeben, um mehr den von der Gesellschaft zugewiesenen Rollenbildern zu entsprechen?

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PsychoRolf  02.07.2023, 22:08
@JoshuasFragende

Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Kann sein, dass einige sich im beruflichen/schulischen Bereich der Rollenerwartung beugen (müssen), um nicht diskriminiert zu werden. Aber wir alle spielen ja bestimmte, erwartete Rollen, und sogar viele unterschiedliche: Bei den Eltern eine andere als bei unseren Freunden, beim Chef eine andere als bei der/dem Partner*in. Trotzdem muss man sich dabei nicht aufgeben oder verlieren. Meine wahre Identität kenne nur ich allein. Und selbst die kann sich im Laufe des Lebens verändern. Zugegeben: die Geschlechtsidentität ist kaum oder gar nicht veränderbar, weil sie sehr tief sitzt.

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JoshuasFragende 
Fragesteller
 06.07.2023, 11:55
@PsychoRolf

Nochmal danke für deine Antworten. Leider konntest du zum Themenspecial keine eigene Antwort schreiben, sonst hätte ich dir den Stern gegeben. Wollt ich dir nur mal mitteilen ;)

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