Warum regen sich viele Menschen so über das Gendern auf?
Mir fällt auf, dass Fragen der geschlechtergerechten Sprache bzw. des Genderns ein enormes Triggerpotenzial haben. Kaum ein Thema, bei dem so wild und beleidigend "diskutiert" wird wie bei diesem Thema - wobei paradoxerweise sogleich hinzugefügt wird, dass es doch wichtigere Themen gebe. Warum dürfen Leute nicht einfach reden, wie sie es aus guten Gründen für richtig halten, die einen eben nur männlich, die anderen männlich und weiblich, wieder andere so genderneutral wie möglich? Warum müssen Menschen sprachpolizeilich bevormundet werden bis hin zu Genderverboten in Schulen, Universitäten, Behörden? Warum gibt es in diesem Feld so wenig Toleranz?
34 Antworten
Gendern soll unterschiedliche Geschlechter in der Sprache sichtbar machen. Und manche Leute haben damit ein Problem, weil sie das nicht wollen. Sie wollen nicht, dass z.B. nichtbinäre Menschen Aufmerksamkeit bekommen. Ein Gender-Stern (Schüler*innen) schließt alle Geschlechter ein, das längere "Schülerinnen und Schüler" hingegen nur männliche und weibliche Personen. Wer könnte ein Interesse daran haben, nichtbinäre Personen auszuschließen? Vielleicht konservative Menschen, v.a. Männer, die nicht ihre Privilegien einer patriarchischen Gesellschaft verlieren wollen, indem im öffentlichen Diskurs das Konzept von Geschlechtern aufgeweicht wird. Und wenn Gendern verboten wird, vergisst die Öffentlichkeit wieder, dass nichtbinäre Menschen existieren.
Es ist schade, diese Entwicklung zu beobachten. Wenn Gendern verboten wird, können wir immer noch inklusive Sprache ohne Genderstern verwenden (z.B. "Studierende" statt "Student*innen"), aber das ist nicht immer problemlos möglich. Als letzter Ausweg bleibt dann nur noch das generische Femininum (nicht weil es inklusiv ist, sondern weil es die Aufmerksamkeit auf das Problem lenkt und gleichzeitig die Leute verärgert, die erst das Gendern verbieten wollten).
Dieses Argument wird immer wieder angebracht. Tatsächlich gibt es aber keine Belege, dass Text mit Gendersternen schwieriger zu verstehen ist.
Was Textverständnis erleichtert, ist leichte Sprache. Die meisten Leute haben aber keine Lust darauf, Texte in leichter Sprache zu schreiben. Auch Dokumente von Behörden sind nur selten in leichter Sprache verfügbar. Wenn es den Gegnern von inklusiver Sprache wirklich um Textverständnis ginge, würden sie sich für mehr Angebote in leichter Sprache einsetzen, nicht gegen Gendersterne.
Tatsächlich gibt es aber keine Belege, dass Text mit Gendersternen schwieriger zu verstehen ist.
Tatsächlich arbeite ich täglich mit Menschen, die solche Probleme beim Textverständnis haben.
Dass es dafür keine Belege gibt, liegt eher daran, dass in der Gender"forschung" keine Dogmen angetastet werden sollen.
Was Textverständnis erleichtert, ist leichte Sprache.
Leichte oder einfache Sprache sind hilfreich für einige Gruppen, aber kein Allheilmittel.
So wird zB ein neurotypischer blinder Mensch einen Text in leichter Sprache als unterkomplex und zu langatmig bewerten (das ist die höfliche Umschreibung).
Übrigens: In leichter Sprache wird auch nicht typografisch gegendert, viele Ratgeber raten sogar von durchgehender Beidnennung ab.
Auch Dokumente von Behörden sind nur selten in leichter Sprache verfügbar.
Schon mal von Barrierefreiheitsstärkungsgesetz gehört?
Es gibt Untersuchungen zum Textverständnis bei Benutzung des Genderssterns. Die TU Braunschweig fasst ihre Untersuchung zusammen mit:
Insgesamt spricht die Forschung zu geschlechtergerechter Sprache und Textverständlichkeit dafür, dass geschlechtergerechte Sprache die Verständlichkeit nicht beeinträchtigt, solange die geschlechtergerechten Formen den gewohnten Formen ähnlich sind.
So wird zB ein neurotypischer blinder Mensch einen Text in leichter Sprache als unterkomplex und zu langatmig bewerten
Dieser Mensch verwendet vermutlich einen Screenreader. Nutzer*innen von Screenreadern können durch Einstellungen weitgehend selbst bestimmen, ob Genderzeichen gar nicht vorgelesen, teilweise vorgelesen oder vollständig vorgelesen werden.
1. Den negativen Teil ignorierst Du:
Im zweiten vorgelegten Text zeigten sich hingegen deutliche Beeinträchtigungen der Verständlichkeit durch das Gendersternchen.
2. Diese Studie wurde offensichtlich mit neurotypischen Probanden ohne Einschränkungen durchgeführt und ist daher nicht auf neurodiverse Menschen oder Personen mit Einschränkungen übertragbar.
Dieser Mensch verwendet vermutlich einen Screenreader.
3. Sowohl Screenreader als auch Braillezeile sind im Einsatz
Nutzer*innen von Screenreadern können durch Einstellungen weitgehend selbst bestimmen, ob Genderzeichen gar nicht vorgelesen, teilweise vorgelesen oder vollständig vorgelesen werden.
Das Ausblenden von Sonderzeichen ist bei der ausgeführten Tätigkeit (Entwicklung/Programmierung) nicht sinnvoll realisierbar.
Mich regt das nicht sonderlich auf, ich habe mich dran gewöhnt. Dabei "gendere" ich selber eher nicht (es sei denn, man würde die Doppelnennung wie "Schülerinnen und Schüler" auch dazu zählen). Es soll jeder so machen, wie er das möchte.
An die Sprechweise in den Nachrichten habe ich mich gewöhnt (ich finde es nicht schwerer verständlich als früher). Und wenn jemand nicht gendert, ist das auch ok.
Man muss nicht alles streng regulieren, aber in Deutschland ist die "Verbieteritis" mal wieder auf dem Vormarsch. Ich habe auch schon öfters einen Kompromissvorschlag gemacht: am Anfang des Textes schreibt man in einem Satz, dass im folgenden Text mit "Schüler" stets "Schülerinnen und Schüler" gemeint sind. Danach kann man dann fröhlich "Schüler" schreiben, und beide Seiten sollten eigentlich glücklich sein.
In wissenschaftlichen Texten ist es ganz üblich, am Anfang eine Abkürzung zu definieren, damit man nicht immer im darauf folgenden Text Wortungetüme wiederholen muss. Mit ein wenig Fantasie und gegenseitigem Wohlwollen kann man einiges erreichen (und das ganz entspannt).
Deutsch ist so schon, verglichen mit anderen sprachen ein unatraktiever eißkalter rotz, auch ohne zwitterunterschlüpfe zu indoktirnieren
Sie fremdeln deshalb anscheinend mit der deutschen Sprache, gell?
Weil viele damit überfordert sind und wenn man etwas von Leuten verlangt das sie nicht verstehen dann regen sich Menschen eben auf.
Ist ganz natürlich.
Ich will nicht Gendern. Ich will so reden wie ich möchte und lasse mich deswegen auch nicht als ignorant hinstellen, der Minderheiten ausschließt. Denn das tue ich nicht, und wenn das welche so sehen sind sie für mich primitiv und sowieso nicht nennenswert.
Jeder Mensch, der durch typografisches Gendern vom Textverständnis ausgeschlossen wird.