Katholischer Gottesstaat?


08.12.2020, 00:56

Ich bin übrigens lutheranisch erzogen.

7 Antworten

Es gab in der Vergangenheit, vorallem zur Zeit der Romantik, durchaus Menschen, die so eine Überzeugung vertreten haben. Es gab übrigens, bevor es den heutigen Nationalstaat Italien gibt, einen großen Kirchenstaat, der weit über die Grenzen des heutigen Vatikanstaates hinausging.

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Kirchenstaat

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Vatikanstadt

Während der Unruhen um die Bildung des Nationalstaates wurde der damalige Kirchenstaat von italienischen Truppen besetzt. Erst 1929 durch die Lateranverträge wurde der heutige Vatikanstaat als autonomes Gebiet und offizieller Nachfolger des Kirchenstaates bestätigt. Dies ging auf die. sog. Konstantinische Schenkung zurück. Das also der Kirche die Flächen des Vatikans unabdingbar geschenkt wurden. Diese Urkunde war, wie man heute weiß gefälscht. Das sagt jedoch nichts darüber aus, dass die Schenkung nicht stattgefunden hat, sondern sagt lediglich, dass die Urkunde gefälscht war. Zur Zeit Konstantins wurden noch keine solchen Urkunden ausgestellt, so dass die Schenkung erst im Nachhinein festgehalten wurde.

Die Fläche des heutigen Vatikans geht übrigens hauptsächlich auf die Pläne und Arbeiten eines deutschen Kirchenmannes zurück.

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Konstantinische_Schenkung#:~:text=Der%20Begriff%20der%20Konstantinischen%20Schenkung,ausgestellt%20wurde

Wie gesagt, gab es durchaus Vertreter einer solchen Idee. Der Maler der Romantik Ludwig Richter etwa war der Überzeugung, Weltfrieden könne nur entstehen, wenn sich die ganze Welt zum katholischen Glauben bekennen würde. Im 20. Jahrhundert war Erzbischof Lefebvre, der das Zweite Vatikanische Konzil ablehnte und die fundamentalistische Sekte der Piusbrüder gründete, ein Anhänger der Ideologie von Kirchenstaaten. Die Diktatur von Franco war für ihn das Ideal eines Staates.

Heute gibt es unter gebildeten Leuten eigentlich keine solchen Ideen mehr. Man hat erkannt, dass die Kirche, wenn sie absolutistisch war, viel Leid über die Menschen gebracht hat. Eine kirchliche Allmacht ist daher abzulehnen, ebenso wie eine staatliche Allmacht. Im Idealfall kontrollieren sich Staat und Kirche gegenseitig. Der Staat kontrolliert die Einhaltung weltlicher Rechtsgrundlagen und die Kirche mahnt die Einhaltung von Moral und Ethik an.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung
apocalyptikus  08.12.2020, 01:56

Mit dem letzten Satz habe ich Probleme. Gerade die katholische Kirche mit ihrer Doppelmoral sowie fragwürdiger Ethik hat gar nichts anzumahnen.

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Sachse06 
Fragesteller
 08.12.2020, 15:07

Danke für die ausführliche Antwort!

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Jede Religion hat immer, zu jedem Zeitpunkt der Weltgeschichte versucht andere von Ihrem Glauben zu überzeugen/zu infizieren. Jüngst der IS. Wenn der Vatikan oder auch jede andere Kirche heute noch Macht und Mittel hätten würden Sie auch versuchen eben jenes durchzusetzen.

Die Weltgeschichte wurde bisher immer von Religion geprägt und das selten zum besseren.

Selbst die Verinigten Staaten haben sich in grossen Teilen wieder zu einem fundamentalistischen Gottesstaat zu(rück) entwickelt. Atheist möchte ich dort heutzutage nicht sein

Religion hatte immer mit, meistens, gewalttätigen Expansionsbestreben zutun.

Nicht nur heute und in der westlichen Welt, frühe amerikanische Hochkulturen wie Maya, Inka, Azteken haben 100000e freudig entzückt Ihren grausamen, nie zufriedenzustellenden, immer durstigen Götter in den Rachen geworfen.

Mittelalter, Inquisition und Kreuzzüge...

Der Islam tötet und foltert heute noch gerne als gebe es kein morgen..

Die alten Ägypter...

Puritaner, Hexenverbrenner...

Das ließe sich noch ewig weiterführen

Wo man hinsieht fließt immer Blut wenn es um Religion geht. Nur heute in unserer vorgeblich säkularen Welt kann die Schweizer Garde nicht ganze Kontinente mehr erobern, unterdrücken und assimilieren.

Sonst würden Sie es tun wie seit 10000 Jahren.

..

Bodesurry  08.12.2020, 06:01

...und ohne die Religionen wäre die Welt friedlich, mitmenschlich und gerecht?

Das hätte sie eigentlich nach deiner Definition in den letzten 100 Jahren sein sollen.

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In Europa teilen viele Katholiken diese Ansicht nicht.

  • Priestermangel - weil am Zölibat nicht gerüttelt wird
  • zu wenig Mitspracherecht der Frauen
  • zu liberale oder zu konservative Ansichten den Vatikans - je nach Land
  • zu undurchsichtige Finanzpolitik des Vatikans
  • die Ferne zu dem, was Jesus vorgelebt hat
  • kein Recht auf Scheidung

Als Lutheraner solltest du zuerst vor der eigenen Haustür kehren, bevor du auf den Papst herfällst.
Einen richtigen Gottesstaat hat nämlich schon der radikale Calvin in Genf errichtet und dort wurde wirklich alles unter Strafe (auch Todesstrafe) gestellt, was dem Mann nicht gefiel.
Von der Nichtanwesenheit beim Gottesdienst, dem Besuch eines Gasthauses, oder die Vernachlässigung der Arbeit.


Das ist der Traum jeder Religion. Als erstes werden Denkverbote erlassen. Mit allen Konsequenzen.

Ein Alptraum für jeden, der Wert auf eine freie Gesellschaft legt.