Ist es wirklich so, dass man Wilhelm II. die Hauptschuld am deutschen Drama des 20. Jhd. anlasten kann?

5 Antworten

Von Experte kami1a, UserMod Light bestätigt

Die Frage, ob man Wilhelm II. die Hauptschuld am deutschen Drama des 20. Jahrhunderts anlasten kann, ist Gegenstand kontroverser historischer Debatten.

https://www.youtube.com/watch?v=aUfZ53YWEiE

Streit um Kaiser Wilhelm II. und den Weltkrieg

Von Berthold Seewald Freier Autor Geschichte

Er war 30 Jahre lang Deutscher Kaiser, er liebte Fantasieuniformen und starke Worte. Wilhelm II. ist bis heute in seiner Macht umstritten, im Herbst erscheinen gleich zwei voluminöse Bücher über ihn. Dabei geht es um wichtige Fragen: Wollte der Kaiser den Krieg schon vor 1914? Und war Wilhelm II. schwul?

Bis zum Jahr 1918 war der 27. Januar über Jahrzehnte hinweg ein Tag, an dem die Glocken läuteten, Reden gehalten wurden und Kinder Gedichte aufsagten. Zwar ist der 27. Januar 2009 kein Feiertag mehr, aber das Wetterleuchten, das bereits jetzt auf ihn weist, hätte dem Mann sicherlich gefallen, der dann 150 Jahre alt geworden wäre: Wilhelm II., Deutscher Kaiser und König von Preußen. Bücher, Vorträge, Ausstellungen, Filme sind auf dem Weg. Denn noch immer ist die Frage ungelöst: Wer war der letzte Hohenzoller, in dessen Namen Deutschland in die Urkatastrophe des Ersten Weltkrieges zog?

Die Antwort erhofft man sich vor allem anderen von einem Werk, das am 22. September abgeschlossen werden soll. Dann erscheint bei C.H. Beck (München) der dritte Band der monumentalen Wilhelm II.-Biografie des deutsch-britischen Historikers John C. G. Röhl. Stellte Band eins auf 1000 Seiten 1993 die Kindheit des Kaisers vor und Band zwei auf 1400 Seiten den Aufbau der Persönlichen Monarchie (2001), geht es nun auf 1600 Seiten um seine welthistorische Rolle im 20. Jahrhundert. Fürwahr ein Jahrhundertwerk.

Löste der Kaiser den Ersten Weltkrieg aus?

Und weil diese stupende, auf jahrzehntelanger Recherche in entlegensten Archiven sich gründende Arbeit die Neugier nicht nur von Historikern anstachelt, werden vorab schon die ersten Fragen gestellt. Etwa: War Wilhelm II. tatsächlich die treibende Kraft bei der Auslösung des Krieges von 1914. Der „Zeit“ antwortete Röhl: „Ich versuche den Nachweis zu führen, dass Wilhelm schon Jahre vor 1914 die Absicht hatte, einen Krieg auszulösen, so im November 1912 während der Balkankrise.“

Das ist schon starker Tobak. Damals, nach dem ersten Balkankrieg, hatten die Bulgarien, Serbien und Griechenland der Türkei vernichtende Niederlagen beigebracht. Bulgarische Truppen marschierten sogar auf Istanbul los, so dass Russland darüber räsonierte, den Osmanen zu Hilfe zu kommen. Die Konstellation war der von 1914 nicht unähnlich. Wilhelm aber zuckte zurück, sagt Röhl, weil er die Nachricht bekam, dass England in einem großen Krieg nicht neutral bleiben würde.

Als es zwei Jahre später, nach dem Schüssen von Sarajewo, so weit war, soll Wilhelm aber nicht die entscheidende Rolle gespielt haben, sondern „der Generalstab, der Kriegsminister, der Reichskanzler und das Auswärtige Amt zusammen“. Damit aber sind wir fast so klug als wie zuvor. Denn Röhls Motiv für sein Lebenswerks ist kein geringeres als zu beweisen, dass kein anderer als Wilhelm II. die zentrale Figur in den Entscheidungsprozessen der deutschen Reichsführung gewesen ist, zumindest bis zum Kriegsausbruch 1914.

„Einer nur ist Herr im Reiche"

Wenn dem so war, hatten kaiserliche Sätze wie „jetzt oder nie. Mit den Serben muss aufgeräumt werden, und zwar bald“ ein anderes Gewicht, als wenn man ihn als prunksüchtigen, inkompetenten Schwadroneur deutet. Oder: 1891 erklärte Wilhelm vor einer Versammlung rheinländischer Industrieller in Düsseldorf: „Einer nur ist Herr im Reiche, und der bin ich.“ Das kann man als programmatische Äußerung Ernst nehmen oder als ungelenke tagesaktuelle Spitze gegenüber Bismarck, der in der Presse aus Wut über seine Entlassung kein Wort vor den Mund nahm.

Dass der Kaiser seine zahllosen Reden zumeist aus dem Stegreif hielt, sie „bewusst als spontane, unmittelbare Akte der Kommunikation inszeniert“ hat und damit die Zuhörer, an die die Worte gerichtet waren, gewann, war das eine. Die andere Seite war, dass die übrige Öffentlichkeit die Reden gänzlich anders, zumeist höchst konsterniert aufnahm.

Das Zitat stammt von dem Cambridge-Professor Christopher Clark, der 2007 mit seinem Buch „Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600-1947“ (DVA) eindrucksvoll bewies, dass man auch als Australier Preußen verstehen kann. Auch von ihm ist für den Herbst eine Wilhelm II.-Biografie („Die Herrschaft des letzten Kaisers; DVA) angekündigt. Sicher ist, dass sie sich in weiten Teilen auf Röhls Forschungen stützen wird. Sicher ist aber auch, dass Clark durchaus in der Lage ist, eigene Schlussfolgerungen zu ziehen. Wie er den Kaiser in seinem Preußenbuch zeichnet, lässt ahnen, dass er ihn nicht als den selbstständigen Akteur interpretiert, der in der Lage war, die widerstrebenden Parteiungen im Berliner Machtzentrum im Sinne eines „Königsmechanismus’“ (Röhl) zu steuern und in der Balance zu halten.

Wilhelm II. war doch nicht schwul

Weitere Bücher werden folgen. In ihnen werden andere letzte Fragen beantwortet werden. Etwa, ob Wilhelm nun homosexuell war – war er nicht konstatierte Röhl schon 2004, sondern er ging gern gleich mit zwei Geliebten ins Bett. Eberhard Straub wird ihm als großem Modernisierer huldigen („Die Erfindung des Reiches aus dem Geist der Moderne“; Landt). Doch ob das debattentauglich ist, steht dahin.

Wichtiger ist das Duell mit einem anderen Monumentalwerk, das in diesem Herbst ebenfalls bei C.H. Beck abgeschlossen wird: Hans-Ulrich Wehlers „Deutsche Gesellschaftsgeschichte (1700-1990)“. Ihr fünfter und letzter Band deckt die Jahre von 1949 bis 1990 ab. Mit Wilhelm II. hat das erstaunlicherweise eine Menge zu tun.

Im dritten Band seiner Gesamtdarstellung nämlich, die ähnliche Großunternehmen Franz Schnabels, Heinrich von Treitschkes oder, in jüngerer Zeit, Thomas Nipperdeys thematisch weit überholt, hält Wehler hartnäckig an seinem Bild Wilhelms fest, das er 1973 skizziert hat: „Eine schwächliche Figur auf tönernem Podest. Nicht Wilhelm II. drückte der Reichspolitik seiner Zeit den Stempel auf, sondern die traditionellen Oligarchien taten das im Verein mit den anonymen Kräften der autoritären Polykratie.“ Dieses Zitat wiederum findet sich im wohl einflussreichsten Lehrbuch, das die 68er-Bewegung der Geschichtswissenschaft beschert hat: „Das Deutsche Kaiserreich“ von Wehler aus dem Jahr 1973.

Das Ringen der Historiker

Wenn jetzt also der Bielefelder Altmeister der Sozialgeschichtsschreibung seine Deutung der deutschen Geschichte vorlegt, lässt sich das Ziel von Röhls Gegenentwurf ziemlich deutlich ausmachen. Es geht um das jahrzehntelange Ringen darüber, wie die verquere deutsche Geschichte denn eigentlich zu deuten sei und wer dies tun dürfe.

https://www.welt.de/kultur/article2174342/Streit-um-Kaiser-Wilhelm-II-und-den-Weltkrieg.html

Woher ich das weiß:Recherche

Koehlerlisl 
Fragesteller
 20.12.2023, 19:10

sehr unfassende Abhandlung!

4
zetra  20.12.2023, 19:23
@Koehlerlisl

Sehr sexy, nur zur Frage ist da nicht viel bei. Die Kopierer ei ist somit auch nicht das gelbe vom Ei und umfassende Abhandlung hat mit der Schuldfrage fuer den Ersten Weltkrieg, nur bedingt etwas zu tun.

1
Koehlerlisl 
Fragesteller
 20.12.2023, 19:27
@zetra

Du wirkst auf mich ausgesprochen pfiffig!

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Nein, das kann man nicht aus meiner Sicht!

Ja, er mag unklug gehandelt haben, aber ihm die Hauptschuld zu geben, weiß nicht - denke nicht!

Nebenbei war er zwar Kaiser, aber die Macht lag eher bei den Königen, es war also nicht so das er alleine entscheiden durfte.

Dann gab es in ganz Europa Spannungen zwischen den Ländern. Von Österreich-Ungarn angefangen über Frankreich bis hin zu den Engländern.

Irgendwie hatten alle noch eine Rechnung offen und man hoffe wohl das es einen kurzen Krieg geben würde wo all diese Probleme "gelöst" werden würden. Nun, es ist anders gekommen wie wir wissen und das Handeln der Sieger war so katastrophal das dadurch erst der 2. Weltkrieg möglich wurde.

Das ist zumindest meine Sicht. Viele grüße

Also auch wenn er der Kaiser war und die macht hatte es zu verhindern ist er nicht der alleinige Hauptschuldige auf Deutscher Seite. Kaiser Wilhelm II war nicht unbedingt Charakterlich ein starker Kaiser gewesen und hatte sich oft von seinen Beratern überreden lassen weil es gab sehr viele auf deutscher Seite die den Krieg wollten. Wie zum Beispiel der Damalige Reichskanzler sowie auch die Militärs. Global gesehen sind alle Großmächte an den ersten Weltkrieg verantwortlich weil sie alle in den Krieg getaumelt sind und niemand ihn verhindern wollte. Die waren einfach alle Pro Krieg eingestellt

Woher ich das weiß:Hobby – Interessiere mich dafür

Koehlerlisl 
Fragesteller
 21.12.2023, 09:22

ja, das stimmt!

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Ist es wirklich so, dass man Wilhelm II. die Hauptschuld am deutschen Drama des 20. Jhd. anlasten kann?

Nein, nur er ist nun einmal der oberste Repräsentant von DE gewesen und trägt somit auch die Verantwortung. Das Wilhelm II als schlichtes Gemuet gilt, sind seine Berater natuerlich die Macher gewesen. Angelastet wird ihm ja sein Verlangen, 200 Matrosen in Kiel erschießen lassen zu wollen, weil die Flotte sich weigerte gegen die dreifache Übermacht der Engländer auszulaufen.

Zusammen mit Oesterreich/Ungarn, wird die Schuld am ersten Weltkrieg festgemacht. Der Umstand das nur DE mit132 Milliarden Goldmark zur Kasse mit den Reparationskosten herangezogen wurde, wird als alleinige Schuld interpretiert, was allerdings nicht stimmt, denn Oesterreich hatte Serbien den Krieg erklärt und DE ist als der Verbündete dabei mitgegangen.

Gavrilo Princip erschießt Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Frau. Zeitgenössische, nachempfundende Darstellung. Foto: gemeinfrei. Das Attentat von Sarajevo auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau gilt als Auslöser für den Ersten Weltkrieg.

Woher ich das weiß:Hobby

SchlimmerJimmy  22.12.2023, 07:43
Gavrilo Princip erschießt Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Frau. Zeitgenössische, nachempfundende Darstellung. Foto: gemeinfrei.

Wie bitte?

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Nein, auf keinen Fall. Er war nicht die hellste Kerze und hielt säbelrasselnde Reden, aber genau solche Reden hielten alle Politiker der Großmächte im Zeitalter des Kolonialismus. Keineswegs war er das kriegerische Monster, das die Entente-Propaganda aus ihm machte.

Der Erste Weltkrieg entstand nicht durch eine Aggression Wilhelms, sondern durch die Balkankonflikte, die Österreich-Ungarn und Russland anheizten. Zu einem Weltkrieg kam es durch das diplomatische Versagen aller Großmächte und durch den Gegensatz zwischen Deutschland und den alten Großmächten Großbritannien/Frankreich, die sich durch den schnellen Aufstieg Deutschlands zur Industriemacht provoziert fühlten und Deutschland stoppen wollten.