Interpretation / Aussage des Liedes "Am Tag davor"?
Mich würde mal interessieren, was ihr über dieses Lied von Udo Jürgens denkt. Was interpretiert ihr herein? Um was geht es eurer Meinung nach?
Mir ist nämlich in meiner Familie aufgefallen, dass jeder bei dem Lied etwas anderes raushört.
Der Tag davor wird sein wie vorher viele
Die Menschen werden früh zur Arbeit gehn
Die Züge fahr'n wie sonst an ihre Ziele
Und Autos bleiben vor den Ampeln stehn.
Und in den Schulen werden Kinder lernen
Warum Napoleon den Krieg verlor
Die Alten wird im Park die Sonne wärmen
Zum letztenmal
Am Tag davor
Die Kleinen werden auf dem Spielplatz toben
Und Mütter sitzen strickend auf der Bank
Die Richter sprechen Recht in schwarzen Roben
Beamte stellen Akten in den Schrank.
Man wird für's Wochenende Pläne schmieden
Und Lieder üben für den Kirchenchor
Und Menschen werden spür'n, daß sie sich lieben
Zum letztenmal
Am Tag davor
Im Fernsehen wird man alte Filme zeigen
Mit einer letzten Meldung dann und wann
In Supermärkten wird der Umsatz steigen
Und an der Börse ziehn die Kurse an.
Die Nachbarn diskutieren auf den Stiegen
Ein Radio schreit durch den Korridor
Und jeder hofft noch, die Vernunft wird siegen
Nur einmal noch
Am Tag davor
2 Antworten
Das Lied entstand 1984. Für die damalige Zeit waren solche Sujets typisch - das kann man sehen wie man will, positiv wie negativ. Die Beweggründe wird keiner kennen. Der Text ist von Michael Kunze, der oft sehr poetisch und tiefgehend formuliert hat und dessen Texte auch für andere Interpreten oft sehr vielschichtig waren, dem Zuhörer breiten Raum für Interpretationen gaben. Bei "Rot blüht der Mohn" war es ja ähnlich: Dass es da um Drogen geht, merkt man erst, wenn man mehrfach zuhörte. Gemeint sein kann hier auch buchstäblich jeder Tag, der als Tag vor irgendeinem Ereignis fungiert - egal um was es geht, das bleibt ja auch im Dunkeln.
Ich traue es Udo Jürgens aber zu, dass das Lied irgendwie im Zusammenhang mit dem Kalten Krieg zu sehen ist und die Angst in Deutschland vor einem Angriff aus der Sowjetunion beschreibt - war damals sowieso ein gern beschriebenes Thema... eine ähnliche Momentaufnahme hatte er vier Jahre später mit "Moskau - New York" auf dem "blauen Album" veröffentlicht und 1986 verarbeitete er Tschernobyl in "Guten Morgen, mein Liebes".
Dass am Tag davor noch alles in Ordnung und normal war und am nächsten Tag dann die Apokalypse angebrochen ist oder die Welt untergegangen ist oder soetwas ähnliches? :´D
Das wäre die Denkweise meines Vaters. Schon möglich. Für mich ist die vorletzte Zeile sehr wichtig: "Und jeder hofft noch, die Vernunft wird siegen, nur einmal noch..." Deswegen schließe ich eher auf einen bevorstehenden Krieg.
Aber deine Sichtweise ist auch gut. 👍