Gibt es eine sexualisierende Gesellschaft/Kultur? Z.B. Kinder auf den Mund küssen nicht toll finden und es mit etwas sexuellem gleich in Verbindung bringen?
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Z.B. Kinder auf den Mund küssen nicht toll finden und es mit etwas sexuellem gleich in Verbindung bringen?
Könntest du da vielleicht etwas Kontext anfügen? Von wem z.B. der Kuss?
Von den Eltern, Geschwistern, Tanten, Onkeln etc.
3 Antworten
Danke für die Konkretisierung!
Also in dem von dir beschriebenem Fall (Eltern, Geschwistern, Tanten, Onkeln etc. geben dem Kind einen Kuss auf den Mund) würde ich persönlich, ausgehend von dieser Beobachtung allein, niemals darauf kommen darin irgendwas "sexuelles" zu sehen.
Ich denke das Phänomen um das es hier primär geht ist der sogenannte Ethnozentrismus. Es ist nunmal so, dass der Mensch andere Menschen ,und die Kulturen der sie angehören, quasi durch die eigene "kulturelle Brille" betrachtet. Unsere eigene Kulturelle Prägung nehmen wir, mitunter auch völlig unterbewusst, gewissermaßen als Maßstab für die Betrachtung und Wertung anderer Kulturen , in die man sich aufgrund der eigener Prägung nur begrenzt hineinversetzen kann, wenn man keine besondere Kenntnisse über diese Kultur hat.
In der Ethnologie spricht man in diesem Kontext von dem "Fremden" und dem "Eigenen". Mit dieser Dynamik geht leider auch einher, dass Menschen die eigene Kultur (das "Eigene"), und die damit einhergehenden Ansichten, Vorstellungen, etc., als die einzig "richtige" ansehen, und alle anderen Kulturen ("das Fremde") als dem unterlegen empfinden. Und das bezeichnet man als Ethnozentrismus. Vor einigen Jahrhunderten war dies noch sehr viel weiter verbreitet, als es heute der Fall ist.
Das liegt vor allem daran, dass man diese vergleichende Kulturbetrachtung, die dem Ethnozentrismus zugrunde liegt, zu hinterfragen begann. Der Werte-/ und Kulturrelativismus spielten dabei ebenfalls eine Rolle.
Zurück zu diesem Beispiel, lässt sich folgendes feststellen:
Wenn ein Mensch, der durch eine Kultur geprägt ist, in der das "Küssen von Kindern auf den Mund" unkonventionell ist bzw. In der solche Praktiken von den eigenen abweichen, auf das beschriebene Verhalten trifft, dann kommt es sozusagen zu einem "Aufeinandertreffen zweier kultureller Welten": und beide Welten empfinden ihre Position/ Haltung gemäß ihrer kulturellen Prägung als "normal" , wundern sich vielleicht über den anderen, denken ihre Perspektive wäre richtig, besser als die andere. Gemessen an den eigenen kulturellen Maßstäben, die nicht universell gültig sind.
Obwohl es bei derartigen soziokulturellen Praktiken und Verhaltensweisen kein "besser oder schlechter" gibt , kein "Richtig oder Falsch". Nur die eigene kulturspezifische Brille, durch die wir fremde Kulturen nur eingeschränkt erfassen können.
Und die daraus resultierende Unkenntnis/ Verwunderung über das von dir beschriebene Verhalten, die Unfähigkeit den zugrundeliegenden kulturellen Kontext dieses Verhaltens zu erfassen und zu verstehen führt unweigerlich dazu, dass man dieses unmöglich korrekt deuten kann.
Als würde man versuchen ein Puzzle zusammensetzen, bei dem die zentralen Steine nicht mitgeliefert wurden, ergibt sich einfach ein unvollständiges, lückenhaftes, "Falsches" Bild.
Und so wird eine Verhaltensweise wie von dir beschrieben falsch verstanden, missgedeutet,auf etwas falsches zurückgeführt. Zum Beispiel in deinem genannten Fall eben auf sexuelle Ansichten oder sowas.
Aber das liegt wie gesagt weniger daran, dass die Kultur X "sexualisierend" ist, sondern an den dargelegten kulturellen Phänomenen und Dynamiken, von denen aber grundsätzlich alle (Sub-)Kulturen und Individuen betroffen sind.
Das erwähnte Verhalten kann ja schließlich auch auf vielerlei Weise missgedeutet werden, und nicht nur auf "sexuelle Absichten".
Deswegen denke ich nicht dass es Kulturen gibt für die es charakteristisch ist , dass sie Menschen die ihre Kinder auf den Mund küssen für Sexualstraftäter oder so halten.
Wenn man Väter dafür gesellschaftlich ankreidet, dass sie ihrem Kind in der Öffentlichkeit einen Kuss auf den Mund geben. In einem Foto, in dem ein Kind eine Banane hält ein Phalussymbol und Pädophilie erkennt und öffentlich den Mopp aufhetzt. Wenn der Erzieher dem Kind nicht mal im Kindergarten auf Toilette helfen darf nur die Hose aufzumachen und dann vor der Tür zu warten.
Dann weiß ich zumindest manchmal nicht, was in den Köpfen der Menschen vorgeht.
Ja wieso haben Menschen solche Perversitäten im Kopf?
Keine Ahnung. Mir wurde mal gesagt, weil so viele sexuelle Gewalt erfahren haben. Stimmt. Ich auch. Bin trotzdem bei sowas nie auf solche Gedanken gekommen. Und da ich da nicht die einzige bin, kann es daran nicht liegen.
Weil sie vielleicht selbst dauernd an Sex denken oder Sex als unhygienisch betrachten (aber immer nur nachher, im Rausch ist es sehr schön :) nachher wird religiös gepredigt. Damals hatte es einen Sinn aber in größeren Gruppen ist es schädlich.
Ah, da sprichst du was an. Da hatte ich gestern erst eine entsprechende Diskussion wegen der christlichen Meinungsprägung bei Sex. Auch unbewusst ist die Scham und das Gefühl der Sündhaftigkeit gegeben. Aber wird natürlich abgestritten. Ja, das kann ich mir gut vorstellen.
Manch einer wird aber auch wirklich selbst solche Bedürfnisse hegen und den inneren Kampf entsprechend nach Außen projizieren. Ich glaube aber nicht, dass es einen großen Teil betrifft.
wieso haben Menschen solche Perversitäten im Kopf?
"Der argwöhnische Geist beschwört seine eigenen Dämonen." (Japanisches Sprichwort)
Die alttestamentarischen Religionen haben ein ziemlich gestörtes Verhältnis zur Sexualität. Und von den dreien treibt es das Christentum auf die Spitze, weil es, wg. der Leiden Jesu, ein asketischer, lustfeindlicher Kult war:
"Das Schlimmste an der christlichen Religion ist ihre krankhafte und unnatürliche Einstellung zur Sexualität." (Bertrand Russell, Philosoph)
"Die bedeutendste negative Leistung des Christentums war die 'Problematisierung' der Sexualität (...) Wir brauchen eine Geisteshaltung, die in der Sexualität kein 'Problem', sondern ein 'Vergnügen' sieht. Den meisten Leuten fehlt dazu die Sicherheit - und oft auch die Liebe." (Dr. Alex Comfort, Arzt, Psychologe, Wissenschaftler und Schriftsteller)
Entsprechend sind tiefgläubige Christen geradezu besessen vom Sex: "The only people who are obsessed with food are anorexics and the morbidly obese; and that, in erotic terms, is the Catholic Church in a nutshell." (Stephen Fry, Schriftsteller, Drehbuchautor, Schauspieler, Regisseur, Journalist, Dichter, Komiker und Fernsehmoderator in seinem legendären Beitrag zur IQ2-Debatte "The Catholic Church is a Force for Good in the World" - Spoiler: War und ist sie nicht)
Aber bis in die 1960er Jahre hinein bestimmten einzig die Kirchen unsere Sicht auf Sexualität. Das steckt also tief in unseren Traditionen und unserem Denken drin. Damit wachsen sehr viele unbewusst auf - selbst wenn man atheistische Eltern hatte.
Zwar hat sich seit '68 eine Menge verbessert, aber so etwas dauert halt ...
Ich finde es als Opfer nicht so schlimm. Meiner leiblichen Mutter hat keiner ihre Hände als sexuelle Handlung kritisiert. Leider! Das einzig gescheite, das sie mit ihren Händen machte, war im Knast die Bettdecke als Strick basteln und sich daran mit dem Hals hängen. Ihre Kinder durften die komplette Hand im Gesäß und Unterleib spüren. Im Knast beim Duschen durfte sie nur von einem Mitknasti die Toilettenbürste spüren. Ging damals die Hand in Gesäß und Unterleib bei uns nicht rein, gab es Schläge. Meine heutigen Eltern küsse ich auch auf den Mund. Ein Zeichen einer Zuneigung zur Person. Im Sozialismus ist das normal. Wurde Brechnew oder Honecker vom anderen z.B. sexuell angegangen?
Danke für deinen Text. 95% stimme ich dem zu.
Damit ist gemeint, dass bestimmte Gesellschaftskulturen solche Aktionen oft auf die Sexualität schieben und allein, dass der sexuelle Gedanke sie triggert.
Bei der Beobachtung solch einer Handlung verstehen sie darunter etwas Verbotenes/pervers. So ist jedenfalls meine Wahrnehmung und Kenntnisstand.