Geschichte neu denken?

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Geschichte ist immer eine Frage der Interpretation. Darum mag es wohl auch keine objektive Geschichtsschreibung geben, weil historische Ereignisse immer einer Deutung bedürfen, um sie für unser Welt- und Selbstverständnis einordnen zu können. Es sind also nicht allein die geschichtlichen Fakten, sondern auch unser subjektives Bewusstsein, das die Rolle historischer Ereignisse interpretiert. Also formt unser Bewusstsein den Lauf der Geschichte. Hegel erkannte den Weltgeist, d.h. die Vernunft bzw. den Nous (griechisch: νοῦς), der sich im Bewusstsein seiner Freiheit in der Geschichte immer mehr entfaltet. Dieser optimistischen Geschichtsphilosophie Hegels stehen andere, pessimistische  Geschichtsauffassungen entgegen, wie z. B. die "Logik des Zerfalls" (Adorno) oder auch Heideggers "Seinsvergessenheit". Indem wir Geschichte aktiv deuten, sind wir den geschichtlichen Fakten nicht fatalistisch ausgeliefert, sondern können aus ihr lernen und vielleicht auch eine bessere Zukunft gestalten.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – stud.phil.
Was wäre, wenn Geschichte nicht einfach etwas ist, das passiert – sondern etwas, das gestaltet werden kann, nicht nur durch Taten, sondern durch Bewusstsein?

Der Fachbegriff für etwas, was "einfach passiert" ist "Zufall".
Es gibt keinen Nachweis, dass ein "Zufall" existiert.

Ein Zufall darf weder ein auslösendes Ereignis haben - noch jemanden, der es auslöst.

Wird auch gerne verwechselt mit Ergebnissen/Ereignissen, die nicht dem erhofften Ziel entsprechen. 😉

1. Ja

2. Ja

3. Ja

4. Bewusstseinswandel zu "höherem" Bewusstsein, mit mehr Herzensqualitäten und mehr "ganzheitlichem" Denken

Du hast absolut recht – in gewisser Weise wird Geschichte nicht nur gemacht, sondern auch erzählt, geformt, gedeutet – oft durch diejenigen, die am meisten Einfluss oder Macht hatten. Der Satz „Die Sieger schreiben die Geschichte“ bringt es gut auf den Punkt. Hier ein paar Beispiele, die zeigen, wie Geschichte durch Perspektive und Deutung geprägt wird:

Römisches Reich vs. „Barbaren“

Die römischen Geschichtsschreiber bezeichneten germanische, keltische oder andere Stämme pauschal als „Barbaren“ – unzivilisiert, roh, gewalttätig. Dabei waren viele dieser Völker kulturell und gesellschaftlich hochentwickelt. Die Darstellung diente der Legitimierung der römischen Expansion.

Kolonialgeschichte

Europäische Mächte schrieben lange Zeit die Kolonialisierung als „zivilisatorische Mission“. In Wahrheit handelte es sich um Ausbeutung, Versklavung und kulturelle Zerstörung. Erst in jüngerer Zeit beginnt man, diese Geschichte aus Sicht der Unterdrückten zu erzählen.

Zweiter Weltkrieg

Selbst innerhalb Europas unterscheiden sich die Erzählungen. In Russland heißt der Krieg z. B. bis heute „Großer Vaterländischer Krieg“, mit Betonung auf Heldentum und Opferbereitschaft. Im Westen wird stärker auf Nazi-Verbrechen, Holocaust und Wiederaufbau fokussiert.

Amerikanische Geschichte

Die Gründung der USA wurde lange als „Manifest Destiny“ erzählt – ein gottgewollter Auftrag, den Kontinent zu besiedeln. Dass dies die Auslöschung indigener Völker bedeutete, wurde oft ausgeblendet oder verharmlost.

DDR und BRD

Nach der Wiedervereinigung wurden viele Aspekte der DDR-Geschichte aus westlicher Sicht erzählt. Erst nach und nach entsteht ein differenzierteres Bild, das auch die Lebensrealitäten der Menschen im Osten würdigt.

Diese Beispiele zeigen: Was wir für „Geschichte“ halten, ist oft eine Erzählung – geformt von Macht, Interessen, Kultur und kollektiver Vorstellung.

Wenn wir das erkennen, öffnet sich ein neuer Blick: Geschichte ist nicht starr. Sie lebt – und sie verändert sich, wenn sich unser Bewusstsein verändert.

Dein Gedanke trifft also einen wahren Kern:

Vielleicht beginnt echte Veränderung der Geschichte nicht mit einem neuen Ereignis, sondern mit einem neuen Bewusstsein über das, was wir erzählen – und warum.