Flugzeuge die eigentlich nicht fliegen können?

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Hi, interessante Frage!

Das nennt sich Aerodynamische Instabilität.

Ein aerodynamisch stabiles Flugzeug hat die Eigenschaft, nach einer Störung (z.B. einer Windböe oder einer kurzen Ruderbewegung) von selbst in seinen ursprünglichen Flugzustand zurückzukehren. Stell dir vor, du drückst den Steuerknüppel kurz nach vorne, und das Flugzeug nickt nach unten. Ein stabiles Flugzeug würde von selbst die Nase wieder heben und den vorherigen Geradeausflug wieder aufnehmen. Dies ist wünschenswert für Passagierflugzeuge, da es den Piloten entlastet und den Flug für die Insassen angenehmer macht.

Diese Stabilität wird in der Regel durch die Position des aerodynamischen Druckpunkts (oder Neutralpunkts) im Verhältnis zum Schwerpunkt des Flugzeugs erreicht. Bei stabilen Flugzeugen liegt der Druckpunkt hinter dem Schwerpunkt. Wenn das Flugzeug die Nase senkt, erhöht sich der Anstellwinkel des Leitwerks, was einen Abtrieb erzeugt, der die Nase wieder anhebt. Umgekehrt führt ein Anheben der Nase zu einer Verringerung des Anstellwinkels am Leitwerk und somit zu weniger Abtrieb, wodurch die Nase wieder sinkt.

Was ist aerodynamische Instabilität?

Bei einem aerodynamisch instabilen Flugzeug ist die Situation umgekehrt: Der aerodynamische Druckpunkt liegt vor dem Schwerpunkt. Das bedeutet, dass das Flugzeug nach einer Störung dazu neigt, sich weiter von seinem ursprünglichen Flugzustand zu entfernen, anstatt zurückzukehren. Wenn ein instabiles Flugzeug die Nase senkt, erzeugt das aerodynamische Design Kräfte, die die Nase noch weiter nach unten drücken würden. Es "will" ständig ausbrechen und ist ohne aktive Steuerung nicht eigenstabil.

Moderne Kampfflugzeuge, wie der Eurofighter Typhoon oder die F-16, sind bewusst instabil ausgelegt, insbesondere in der Längsbewegung (Nicken). Dies wird oft als "statisch negativ stabil" bezeichnet.

Warum werden Kampfflugzeuge instabil gebaut? Die Vorteile:

Die bewusste Instabilität bringt entscheidende Vorteile für Kampfflugzeuge mit sich, die auf höchste Wendigkeit und Agilität angewiesen sind:

Extreme Manövrierfähigkeit: Dies ist der Hauptgrund. Ein instabiles Flugzeug reagiert viel schneller und stärker auf Steuereingaben. Es ist "reaktionsfreudiger" und kann extrem enge Kurven fliegen und schnelle Richtungswechsel vollziehen, was im Luftkampf von entscheidender Bedeutung ist, um gegnerischen Angriffen auszuweichen oder selbst in eine vorteilhafte Schussposition zu kommen.

Geringerer Steueraufwand für Manöver: Da das Flugzeug von Natur aus dazu neigt, sich zu bewegen, müssen die Ruder nur minimale Kräfte aufwenden, um ein Manöver einzuleiten und aufrechtzuerhalten. Bei stabilen Flugzeugen müssen die Ruder gegen die Eigenstabilität arbeiten, was mehr Kraft und Zeit kostet.

Reduzierter Luftwiderstand im Manöver: Die aerodynamische Auslegung für Instabilität ermöglicht oft auch eine optimierte Form, die den Luftwiderstand reduziert, insbesondere bei hohen Anstellwinkeln und Überschallgeschwindigkeiten.

Die Herausforderung: Wie fliegt man ein instabiles Flugzeug?

Ein instabiles Flugzeug ist für einen Menschen allein nicht steuerbar. Die Reaktionszeiten und die Präzision, die erforderlich wären, um die ständigen Abweichungen auszugleichen, übersteigen die Fähigkeiten eines menschlichen Piloten bei Weitem.

Hier kommt die Fly-by-Wire (FBW)-Technologie ins Spiel, die ein zentraler Bestandteil moderner Kampfflugzeuge ist:

Elektronische Flugsteuerung: Anstatt mechanischer Steuergestänge, die direkt die Ruder bewegen, werden die Befehle des Piloten (über Steuerknüppel und Pedale) in elektronische Signale umgewandelt.

Flugsteuerungssystem (FCS - Flight Control System): Diese Signale werden von leistungsstarken Bordcomputern verarbeitet. Das FCS überwacht ständig die Fluglage, Geschwindigkeit, Anstellwinkel und andere Parameter des Flugzeugs.

Regelung in Echtzeit: Das FCS berechnet in Millisekunden die notwendigen Ruderausschläge (z.B. an Höhenrudern, Querrudern, Seitenrudern oder Canards – zusätzliche kleine Flügel am Rumpf, die für die Nicksteuerung wichtig sind), um das Flugzeug stabil zu halten und die gewünschten Manöver des Piloten umzusetzen. Es korrigiert ständig die Eigeninstabilität und sorgt dafür, dass das Flugzeug präzise auf die Eingaben reagiert, ohne unkontrolliert auszubrechen.

"Carefree Handling" (CFH): Moderne FCS-Systeme bieten sogar ein "Carefree Handling". Das bedeutet, der Pilot kann den Steuerknüppel bis zum Anschlag ziehen, ohne befürchten zu müssen, das Flugzeug zu überlasten oder in einen unkontrollierbaren Flugzustand zu geraten. Das FCS begrenzt automatisch G-Kräfte und Anstellwinkel, um die strukturelle Integrität des Flugzeugs zu schützen und einen Strömungsabriss zu verhindern.

Die aerodynamische Instabilität bei Kampfflugzeugen ist eine bewusst herbeigeführte Eigenschaft des Designs, die in Kombination mit hochentwickelten, redundanten Fly-by-Wire-Flugsteuerungssystemen eine unvergleichliche Agilität und Manövrierfähigkeit ermöglicht.

Wenn das System ausfällt was aber so unwahrscheinlich wie ein Absturz ist, kannst du allerdings nichts mehr machen. Also das Flugzeug würde zwar noch fliegen allerdings nicht mehr geradeaus sondern unkontrollierbar durch die Gegend fliegen um die eigene Achse Rollen usw. Fliegen tun Flugzeuge übrigens aufgrund der Flügelform das ist ein rein physikalischer Vorgang.

Bei Rückfragen schreib mich gerne an

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Flugzeug-Experte&Vielflieger

SunnySideUp234  08.07.2025, 13:16

Sehr gute und ausführliche Erklärung 👍🏼

FirstGizmo 
Beitragsersteller
 08.07.2025, 13:13

Vielen Dank für die ausführliche und genaue Erklärung. Also kann man eigentlich sagen: Dadurch das der Computer sich um die Stabilität kümmert muss der Pilot nicht gegen das Flugzeug arbeiten (weil normale Flugzeuge von selbst versuchen eine Stabilität herzustellen) und dadurch lässt sich das Flugzeug viel wendiger fliegen, was aber nur für Kampfflugzeuge interessant ist?

CodeRed911  08.07.2025, 13:19
@FirstGizmo

Genau. Passagierflugzeuge werden auch nicht so gebaut sondern nur Kampfflugzeuge

FirstGizmo 
Beitragsersteller
 08.07.2025, 13:20
@CodeRed911

Ok dann versteh ich das jetzt. Danke!

Hatte sich nur erstmal unlogisch angehört in dem Video, wenn plötzlich n Pilot sagt "das Flugzeug kann eigentlich gar nicht mehr fliegen". Aber so macht das Sinn.

CodeRed911  08.07.2025, 13:22
@FirstGizmo

Also technisch gesehen würde es noch fliegen weil es sich durch die Luft bewegt faktisch aber nicht wirklich weil du es nicht mehr kontrollieren kannst

Hi!

Ein klassisches Beispiel dafür sind die Nurflügler, also wie der B2 Tarnbomber. Die fliegen erst vernünftig, seitdem es unterstützende Stabilisierungssysteme gibt. Allerdings bietet das Design Vorteile.

So ein Prinzip ist nicht nur bei Flugzeugen gängig und das erklärt vielleicht auch warum es so gehandhabt wird.

Denn eine moderne Drohne mit den 4 Propellern oder diese lustigen Boards mit zwei Rädern, die man einzig durch Gewichtsverlagerung bewegen kann, funktionieren auch nur so wie sie sollen mit stabilisierenden oder koordinierenden Hilfssystemen.


eieiei2  08.07.2025, 13:47

Instabilität ist für Nurflügel nicht allgemeingültig.

SunnySideUp234  08.07.2025, 15:02
@eieiei2

Das kann wohl sein. Ich erinnere mich nur an eine Reportage, die darüber berichtet hat. Dort hieß es, dass schon lange an Nurflüglern gebaut wird, zuerst glaube ich während des zweiten Weltkrieges, aber dass das Flugverhalten immer recht instabil war und damit immer eine große Hürde darstellte, die erst mit heutigen Hilfssystemen überwunden worden ist. Vielleicht habe ich das aber auch nicht ganz richtig in Erinnerung.

eieiei2  08.07.2025, 16:01
@SunnySideUp234

Ein Nurflügel nach der "reinen Lehre", also ohne irgendwelche außerhalb des Flügels liegenden Stabilisierungs- oder Kontrollflächen, ist aerodynamisch anspruchsvoll, aber realisierbar. Jack Northrop und die Horten Brüder haben unabhängig voneinander flugstabile Nurflügel entwickelt. Die Theorie dahinter ist heute vollständig verstanden und kein Hexenwerk mehr. Aerodynamikrechner die die Konstruktion stabil fliegender Nurflügel ermöglichen, sind am Markt verfügbar.

Ausgerechnet die berühmte Horten IX funktioniert aber nicht richtig. Die Horten IX ist gleichermaßen überzüchtet und viel zu hastig entworfen. Die Kombination aus Pfeilung, Streckung und Glockenauftriebsverteilung harmoniert hier nicht richtig und verursacht eine völlig ungenügende Gierstabilität. Die Position der Schubdüsen verursacht bei Lastwechseln zusätzlich noch ein gravierendes Problem mit der Längsstabilität. Daran beißen sich seit Jahrzehnten die besten Nurflügelspezialisten die Zähne aus, obwohl heute Computer bei der Berechnung helfen. Die kurz vor Kriegsende noch viel hastiger entworfene Horten X ist so wie sie im Original gezeichnet ist sogar völlig flugunfähig.

Wenn man vertikale Stabilisierungsflächen akzeptiert, ist am Nurflügel nichts kompliziertes mehr. So nachgerüstet fliegt dann auch die Horten IX völlig stabil.

Die B-2 hat aerodynamisch absolut nichts mit früheren Nurflügeln zu tun. Jeder der versucht, irgendeine Verbindung zu Horten herzustellen hat entweder absolut keine Ahnung oder lügt vorsätzlich. Sie ist tatsächlich instabil und nicht nach den gängigen Regeln für Nurflügel konstruiert. Stealth steht klar im Vordergrund, deswegen waren die Konstrukteure bei der Festlegung der Geomentrie nicht frei und gängige Wege zu Flugstabilität standen nicht zur Verfügung. Und das anscheinend in einem gerade noch zu beherrschenden Ausmaß. Es gibt kaum ein Bild auf dem eine B-2 bei niedriger oder mittlerer Geschwindigkeit nicht die Spreizklappen am Außenflügel offen hat um ein bisschen Stabilität zu erzwingen. Kurioserweise lassen sich völlig stabil fliegende Modelle der B-2 bauen, wenn man einen konventionellen Profilstrak verwendet und den Flügel nach Hortenregel verschränkt um eine Glockenauftriebsverteilung zu erreichen.

Übrigens ist die Horten IX kein Stealthflugzeug. Das Modell, das medienwirksam gebaut und vermessen wurde, war eine leere Hülle aus Holz. Da geht ein Großteil der Radarwellen einfach durch, entsprechend gering ist der Radarquerschnitt. Mit dem originalen Stahlrohr-Gitterrahmen mit Mittelstück, Flügelrandbögen aus Blech, Fahrwerk, 2 Triebwerken, Tanks und vollständiger Ausrüstung hat die Horten IX einen für ein Flugzeug dieser Große sehr durchschnittlichen Radarquerschnitt. Entweder hatten die Macher der Show keine Ahnung, oder es war Betrug am Publikum. Ich tendiere zu letzterem.

Auch die ganze Legende, wonach die Horten IX oder irgend ein anderer Nurflügel seiner Zeit Jahrzehnte voraus war, ist frei erfunden. Horten Segelflugzeuge der 1930er Jahre waren der konventionell gebauten Konkurrenz überlegen. Das lag aber nicht am Nurflügel, sondern an der mutiger gebauten, im Vergleich höheren Streckung des Flügels und der insgesamt widerstandsarmen Bauweise. Spätestens seit den 1950er Jahren sind Segelflugzeuge mit Rumpf und Leitwerk wieder jedem Nurflügel überlegen. Die Konstrukteure haben keine Angst mehr vor Streckung, moderne Seglerrümpfe sind außerordentlich widerstandsarm und die Verwendung eines Leitwerks eröffnet bei der Profilwahl des Flügels eine Freiheit, die ein Nurflügel niemals haben kann. Horten Motorflugzeuge wie die Horten V oder VII waren ihren Gegenstücken von Northrop nicht überlegen und waren sonst im Vergleich mit konventionellen Flugzeugen ähnlicher Motorisierung nicht herausragend. Außerdem haben sich die Hortens mit den Hosenbeinverkleidungen des Hauptfahrwerks selbst beschissen. Das sind aerodynamisch wirksame Seitenleitwerke.

Warum macht man das?

Ein Flugzeug welches instabil fliegt ist dafür auch automatisch wendiger. Ein Kampfflugzeug welches nur durch die ständigen Korrekturbewegungen eines Computer in der Luft bleibt, kann also deutlich engere Manöver mit extrem hohen Geschwindigkeiten fliegen als zb ein Segelflieger welcher praktisch von allein in der Luft bleibt

Falls du Auto fährst, hast du da einen guten Vergleich, ein kleiner Stadtflitzer der in einer einseitigen Straße noch in einem Zug wenden kann, fühlt sich bei 200kmh auf der Autobahn sehr unruhig und unsicher an. Umgekehrt braucht ein Sportwagen der bei 200 noch wie ein Brett auf der Straße liegt 10 Züge um in eine parklücke zu kommen.

Da gibt es heute viele Beispiele wo das so ist. Auch beim Auto.

Früher hatte man ein Bremspedal und wenn man draufgetreten hat, wurden an allen 4 Rädern die Bremsbacken angelegt und es hat gebrenst. Das würde heute auch noch so funktionieren, aber man würde da keinen TÜV mehr bekommen, mal von Oldtimern abgesehen.

Heute tritt man nur noch auf einen Sensor, der den Pedaldruck und somit die gewünschte Brensleistung erfasst. Ein Comuter errechnet nun die Bremsleistung pro Rad und steuret die jeweiligen Brenszylinder und Rekuperation. Kein Mensch könnte mit 4 Bremmspedalen ungehen und exakt die nötige Bremsleistung pro Rad steuern.

Oder eine handelsübliche Drohne. Die hat 4 Motoren. Niemand könnte die per Hand so steuern, dass das Ding stabil in der Luft bleiben würde.

Das ist jetzt keine neue Erfindung. Bereits vor 80 Jahren flog die V1 mehr oder weniger automatisch gesteuert. Man hat per Fernsteuerung nur den Kurs korrigiert. Das funktionierte damals auch schon fast ganz ohne Elektronik oder gar Computer. Nur für den Empfang von Steuerbefehlen war ein Empfänger mit Röhrentechnik verbaut.

Woher ich das weiß:Hobby

Hallo,

die Typhoon, zum Beispiel, ist durch ihre Instabilität wesentlich agiler,
als ein konventionelles Fluggerät.

Sollte dem Piloten einmal etwas "unpässlich" sein,
kann sie selbständig weiter fliegen.

https://www.youtube.com/watch?v=JmlZRfhekYg

Hansi