Findet ihr auch dass die Gesellschaft zu uninformiert ist über Autismus?

9 Antworten

Um erstmal nur deinen Fragetitel zu beantworten:

Ja, absolut! Daran hege ich keinerlei Zweifel. Der Großteil der Leute - sowohl im Internet, als auch außerhalb - ist uninformiert wenn es um Autismus geht. Und das ist in Ordnung. Was nicht in Ordnung ist, ist, sein Unwissen mit der Welt teilen zu wollen, denn wer muss das ausbaden? Genau: Wir Autisten. Niemand sonst.

Niemand kann mir sagen, die meisten wüssten genug über Autismus, nachdem er sich die Antworten und Kommentare im Internet (besonders hier) durchliest, die ich schon alles lesen musste. Wen will man hier veräppeln? Mich? Ich lese mehrmals die Woche irgendeinen Dummfug über uns und es gibt echt Leute, die es sich erdreisten, zu meinen, die Gesellschaft hätte keine riesige Wissenslücke in Sachen Autismus? Sehen diese Leute nicht all die falschen, klischeebehafteten Antworten, die in den letzten Jahren alleine hier auf gf unter den Fragen über Autismus gegeben wurden? (Nicht alle, selbstverständlich, aber genügend.) Ich sehe das und es regt mich auf. Ich kann das nicht einmal ignorieren. Wir reden hier ja nicht darüber, dass jemand meinen Lieblingsfilm als "scheiße" betitelt hat, sondern über meine Neurologie, über meinen Neurotyp und den von anderen Autisten. Zu verlangen, sowas zu akzeptieren, wäre auch wie wenn Schwarze akzeptieren sollen, wenn man Schwachsinn über sie behauptet oder Transsexuelle sollen das einfach akzeptieren und dann ruhig sein und sich nicht so anstellen. Mhm, ich glaub' ich werd' net mehr.

Was - wie bereits erwähnt - okay ist. Ich interessiere mich auch für vieles nicht und informiere mich daher nicht oder nur sehr, sehr oberflächlich darüber. Aber in 99% der Fälle sage ich dann auch nichts dazu. Da liegt der Knackpunkt, das ist der kleine aber feine Unterschied. Und dann meinen sie häufig, sie wüssten irgendetwas über Autismus - genug um darauf zu antworten -, weil sie ein paar Autisten kennen oder weil sie im Internet irgendetwas über uns gelesen haben, was von Ärzten geschrieben wurde. Meine Güte, die meisten Ärzte haben genau so wenig Ahnung von Autismus und das meine ich absolut ernst. Machen wir uns doch selber nichts vor. Deren Quellen sind auch oft "super toll". Du öffnest den Link und direkt springen dir fünfhundert Falschinformationen, Verallgemeinerungen etc. ins Auge und du hast noch nicht einmal runtergescrollt. Die Informationen auf den Seiten sind meistens von 2010 oder so, hätten aber auch von 1960 sein können.

Ich könnte noch weiter machen, aber ich hab mir noch gar nicht deine eigentliche Frage durchgelesen.

Besonders wenn es um Frauen geht. Viele Leute in meinem Leben haben gesagt dass sie mich komisch finden, haben aber nie die Connection gemacht, dass ich wahrscheinlich Autismus habe.

Genau so. Und so geht es ja vielen autistischen Frauen. Ich wurde zum Glück relativ früh diagnostiziert (mit fast 10), aber das auch erst nach 7 Jahren rumsuchen und nur, weil meine Mutter da so hinterher war. Ich weiß auch, dass einige so eine Abneigung gegenüber dieser Diagnose haben, bzw. sie nicht sagen wollen, dass sie denken, jemand könnte Autist/Autistin sein, weil das ja ein "Label" ist und man möchte niemanden "labeln", aber solche Leute kapieren nicht, dass wir alle gelabelt werden, also wäre es besser, wenn wir uns mit etwas labeln lassen, was wenigstens stimmt. Manche denken wirklich, die Diagnose "Autismus" ist schlimmer als Label wie "seltsam", "unsozial", "behindert" (Im negativen Kontext benutzt, nicht im Neutralen), "überempfindlich", "überperfektionistisch", "nervig", "anstrengend", "Heulsuse" und so weiter und sofort.

Ein bissl off topic von meiner Seite aus.

Als ich mal jemanden davon erzählt habe, hat er gesagt, dass er mir das nicht glaubt und dass er aber selbst es wahrscheinlich hat. Das war einfach total verletzend für mich, weil die Person dadurch einen Aspekt meiner Persönlichkeit verleugnet. Ich verstecke natürlich so gut es geht meine eigene Art um "normaler" zu wirken, dass heisst aber nicht dass ich keine Herausforderungen habe. Ich kann mir Gesichter kaum merken, habe Schwierigkeiten mit sozialen Interaktionen, bin überfordert bei der Arbeit mit anderen Menschen, habe allgemein extreme Stärken und Schwächen und werde wahrscheinlich nie Auto fahren können. Da finde ich es frech wenn jemand sich das Recht nimmt und sagt, dass ich nicht Autismus hätte und er behauptet er hätte es selbst, obwohl er mit anderen Menschen reden kann und allgemein sozial intelligent ist.

Hier bin ich geteilter Meinung. Ich kann dich absolut verstehen, dass dich das verletzt hat - hätte mich auch verletzt - und die Person erinnert mich an die Personifizierung von dem Spruch "Du siehst aber gar nicht autistisch aus" (Als könne man "autistisch aussehen"), andererseits kommt es nicht gut rüber, wenn du ihm seinen (eventuellen) Autismus absprichst, nur weil er gut mit anderen reden kann und sozial intelligent ist. Es gibt auch extrovertierte Autisten und du weißt nicht, ob diese soziale Intelligenz intuitiv kam, oder ob er sich diese antrainieren musste. Du kennst doch sicherlich selber den Spruch "Kennst du einen Autisten, kennst du einen Autisten" - Denn wir sind alle unterschiedlich.

Darüber hinaus bietest du uns nur ein einziges Beispiel. Da könnte jeder sagen, dass das ja nur ein Einzelfall ist, denn es ist nur einmal passiert und das hat nichts zu sagen und das hat auch erstmal nichts zu sagen, aber ich kann dir bestätigen, dass es noch viel schlimmer ist. Das Problem ist aber, dass du dies nicht in deinen Fragetext mit einbeziehst (eventuell auch, weil du es selber noch nicht so richtig weißt - zugegeben: die wenigstens sind chronically online so wie ich), also können die Leute sich rausreden.

 Und dann gibt es die jenigen die behaupten ja es ist praktisch jeder Autist.

Ja, solche Aussagen habe ich auch schon zu oft gelesen und jedes Mal frage ich mich: Wenn jeder Autist ist, wieso wird dann versucht, Autismus zu heilen/wegzutherapieren? Wieso wird Autismus als etwas Negatives, Komisches angesehen? Wieso haben wir nicht alle irgendwelche Sensory Sensitivities? Wieso wird Info-Dumping als schlecht angesehen? Wieso existiert so ein sozialer Druck auf Augenkontakt? Wieso gibt es Musik in Läden? Wieso ist exzessives Stimming "unanständig"? Wieso ist das Hinterfragen von Autorität unerwünscht? Und so vieles mehr.

Die Welt sähe ganz, ganz anders aus, wären wir Autisten in der Mehrzahl. Entweder sehr viel besser (denn dann wäre sie mehr auf uns abgestimmt), oder sehr viel schlechter (denn Exekutive Dysfunktion ist überhaupt nicht schön) - Aber definitiv anders.

Für mich ist das unglaublich stressig, wenn meine Herausforderungen von anderen nicht wahrgenommen werden.

Du erinnerst mich an etwas, auf das ich schon vorher eingehen wollte. Du betreibst ja ganz offensichtlich Masking und wie du selber sicherlich schon bestellen konntest, tut dir das nicht gut. Ich kann dir nur raten, zu lernen, dich zu "demaskieren", denn alles andere wird dir kein glückliches Leben bescheren. Wenn du offen mit deinem Autismus umgehst, sehen die Leute deine Herausforderungen und wer diese nicht sehen möchte, der war nie dein Freund und solche Leute gehören in die Tonne.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ich bin diagnostizierte Autistin (Keine Selbstdiagnose)👽

Ich finde es gut, dass das Wissen um psychische Störungen immer weiter fortschreitet. Allein das hilft schon sehr, dass man sensibler und fairer mit einander umgeht.

Es muss gar nicht explizit das einzelne Krankheitsbild sein. Es genügt schon, wenn man einfach das Bewusstsein dafür hat, dass jeder Mensch anders ist, und dass jeder so akzeptiert werden möchte, wie er ist.

Ich selber habe auch erst in diesem Jahr von Autismus in meiner Familie erfahren. Inzwischen bin ich der Meinung, dass ich autistisch bin und meine Eltern und Geschwister auch. Aber wir haben nicht als Kinder so eine Diagnose bekommen. Meine Eltern sind nicht mit uns zu x Fachärzten gelaufen. Meine Eltern sind keinesfalls sensibel mit uns umgegangen. Und Therapien gab es bei uns auch nicht.

Insofern denke ich, bei uns früher war es echt schlimm. Aber heute wird wirklich sehr viel Rücksicht genommen. Es werden sehr viele Hilfen angeboten. Und auch das Wissen um all die Störungen und Ursachen ist hilfreich, weswegen ich alle beneide, die schon zu Schulzeiten all dies Wissen und all die Empathie bekommen, die ich damals vergeblich gesucht habe.

Findet ihr auch dass die Gesellschaft zu uninformiert ist über Autismus?

Der Normalbürger ist nicht besonders gut darüber informiert, aber über sehr viele andere Themen der Medizin ja auch nicht.

Ich finde nicht, dass Autismus da hervorsticht, und ich denke auch nicht, dass man erwarten kann, dass jeder Normalbürger sich mit allen möglichen medizinischen Themen auskennt.

Gerade Autismus tritt in vielfältigsten Formen auf und darüber auch nur ansatzweise "gut informiert" zu sein, ist für Laien gar nicht wirklich möglich.

Das Problem an einer Autismusspektrumstörung ist, daß das Spektrum/die Auswirkungen eben sehr verschieden und komplex sind. Es gibt nicht DEN Autisten.


Icognito123 
Fragesteller
 22.05.2024, 12:18

Ja eben, aber das wäre doch etwas worüber die Gesellschaft mal informiert werden sollte.

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Merle87  22.05.2024, 12:20
@Icognito123

Autismusdiagnosen sind kein gesellschaftliches Problem. Jeder der sich darüber informieren möchte, hat die Möglichkeit dies zu tun. Und trotzdem ist jeder Autismusbetroffene ein Individuum mit individuellen Merkmalen und Verhaltensweisen.

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Icognito123 
Fragesteller
 22.05.2024, 12:30
@Merle87

Es ist ein Problem für Autisten, weil durch die Uninformiertheit der Gesellschaft ihnen viele Chancen versperrt werden können oder nicht angemessen auf ihre Bedürfnisse reagiert werden kann. Es ist eine Frage der Inklusion und Chancengleichheit, was auch die Menschenrechte betrifft. Für mich ist es ein gesellschaftliches Problem.

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Icognito123 
Fragesteller
 22.05.2024, 12:37
@Merle87

Meinen Interessen nachzugehen und einige meiner Bedürfnisse zu befriedigen. Man wird für vieles was man tut beschämt, obwohl es einen glücklich macht. Auch mein Alter 24 und mein Geschlecht weiblich spielen da eine grosse Rolle. Es sind Erwatungen von der Gesellschaft an einem, die man nicht erfüllen kann und will. Es werden einem viele Chancen verschlossen, wenn gewisse Kontakte, die einem zur Erreichung der eigenen Ziele helfen könnten, nicht den Kontakt zu einem wollen, weil man nunmal verhaltensauffällig ist.

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Merle87  22.05.2024, 12:38
@Icognito123

Wieso benötigst andere Menschen um deinen Interessen nachzugehen oder deinen bedürfnisse nachzugehen? Was sind deine Interessen und Bedürfnisse?

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Icognito123 
Fragesteller
 22.05.2024, 12:49
@Merle87

Ich brauche andere Menschen, weil Menschen immer in soziale Systeme integriert sein müssen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Beispielsweise das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung oder soziale Integration. Ich möchte mal DJ werden oder eine Kunstaustellung machen, aber dafür brauche ich die nötigen Kontakte und die entsprechenden Skills, für die ich je nachdem auch andere Menschen brauche. Ich ziehe mich gerne bunt an, aber werde gleichzeitig von fremden Menschen gemobbt, was mich in meinem Alltag einschränken kann. Ich möchte gerne in einen Indoorspielplatz, aber meine Freunde finden das komisch und alleine will ich nicht gehen. Ich will coole Videos machen aber auch da habe ich Angst, dass Menschen nur negativ darüber denken werden. Ich denke die Negativität anderer Menschen mir gegenüber ist das was mich am meisten bedrückt und dafür sorgt, dass ich vieles nicht umsetzen kann und will.

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Merle87  22.05.2024, 12:50
@Icognito123

All das hat er rein gar nichts mit deinem Autismus zu tun, bzw. kann jedem nichtbetroffenen genau so ergehen.

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Icognito123 
Fragesteller
 22.05.2024, 12:57
@Merle87

Aber er verstärkt es ganz bestimmt. Vielleicht hätte ich ohne Autismus nicht meine extremen Interessen die andere Menschen nicht zu interessieren scheinen.

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Du hast jetzt EINE Meinung bekommen, die dich verletzt hat. Aber so, wie du deinen ureigenen Charakter hast, deine Denkensweise, die man dir zugestehen muss, hat dein Gegenüber auch seine eigenen Denkensweise, die du akzeptieren solltest, auch wenn sie dir nicht gefällt. Du musst seine Aussage, die vielleicht total unkompetent war (auch je nach Alter) ja nicht auf dich beziehen, nur weil er anzweifelt, dass du Autistin bist. Und nein, die Gesellschaft muss darüber nicht noch mehr aufgeklärt werden. Wer selber mit Autisten zu tun hat, wird sich informieren, aber nicht jeder muss das zwingend. Auch weiß nicht jeder über meine Krankheiten bescheid. So wichtig bin ich dann auch nicht für die GESELLSCHAFT, dass sich wegen mir und allen, die darunter leiden, ALLE informieren müssen, für den Fall, dass sie mal auf jemanden wie mich treffen. Dafür sind viele Krankheiten viel zu komplex und auch du wirst nicht über jede psychische Störung genau Bescheid wissen. Ich will dich in deinem Ärger nicht noch befeuern, aber du weißt, was dir fehlt, wenn das klinisch belegt wurde, aber du darfst nicht davon ausgehen, dass du deswegen jetzt bei allen auf Verständnis triffst. Und es nutzt deswegen auch nichts, Unwissenden von deiner Krankheit (oder wie immer du es nennst) zu erzählen, wenn sie keine Ahnung haben. Da sind Probleme vorprogrammiert, wenn du das Verständnis als selbstverständlich nimmst.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Mein "Lebensbuch" erweitert sich täglich durch Erfahrungen.