Evolution Angepasstheit von Organismen?

4 Antworten

Dein Lehrer hat recht. Die Arten passen sich nicht an, sie werden angepasst. Wenn man sagt, dass eine Art sich an ihre Umwelt angepasst hat, unterstellt man ihr dabei einen aktiven Prozess, der aber nicht stattfindet.

Lamarck glaubte, dass Arten sich durch Gebrauch bzw. Nichtgebrauch ihrer Körperteile veränderten und diese erworbenen Eigenschaften anschließend vererbten, sich also aktiv anpassten. Um beim berühmten Lehrbuchbeispiel zu bleiben: um an die Blätter in der Baumkrone zu kommen, hätte die Giraffe ihren Hals gestreckt, wodurch dieser länger und länger geworden wäre und ihre Nachkommen hätten dann automatisch längere Hälse gehabt. Das war damals eine weit verbreitete und allgemein akzeptierte Annahme. Selbst Darwin bezweifelte nicht, dass Arten erworbene Eigenschaften vererben könnten. In seinem Buch Über die Entstehung der Arten beschreibt er diesen Aspekt sogar sehr ausführlich im ersten Kapitel. Darwin hielt dies jedoch nicht für die Hauptursache, die zur Veränderlichkeit der Arten führt bzw. neue Arten entstehen lässt. Heute wissen wir, dass sich in diesem Punkt sowohl Lamarck als auch Darwin geirrt haben - eine Vererbung erworbener Eigenschaften wie der Lamarckismus sie beschreibt, findet nicht statt und somit auch keine aktive Anpassung.

Die Angepasstheit der Arten ist einfach das Ergebnis des natürlichen Selektionsprozesses, den die einzelnen Individuen jedoch nicht bewusst steuern können. Mutationen passieren zufällig, manche Individuen haben einfach eine Mutation, die einen positiven Anpassungswert (Adaptationswert) besitzt und andere nicht.

Wir dürfen gleichzeitig aber auch nicht der Natur unterstellen, dass sie die Arten aktiv verändert. Evolution ist kein gesteuerter Prozess. Wie gesagt, Mutationen entstehen rein zufällig. Und eine Mutation ist zunächst einmal auch nur das, eine Mutation. Ob eine Mutation einen Selektionsvorteil darstellt oder ob sie einfach nur neutral oder gar für das Überleben nachteilig ist, entscheidet sich allein durch die jeweils aktuell existierenden Umweltbedingungen, die sich auch jederzeit ändern können. Wenn eine Mutation neu entsteht, dann entsteht sie also nicht, um "damit irgendwas machen zu können", sondern sie ist erst mal da und ob man damit etwas anfangen kann, hängt dann von der Umwelt ab. Das heißt, dass wir die Entstehung von Merkmalen immer auch unter den Bedingungen erklären müssen, unter denen sie entdtanden sind.

Ein Beispiel: Landwirbeltiere (Tetrapoda) sind ans Landleben u. a. dadurch angepasst, dass sie Lungen haben, mit denen sie atmosphärischen Sauerstoff atmen können. Wir können aber nicht sagen, dass Landwirbeltiere Lungen entwickelt haben, um damit an Land leben zu können. Das geht allein schon deshalb nicht, weil Lungen für den Landgang eine Voraussetzung waren. Erst an Land zu gehen und dann Lungen zu entwickeln geht ja nicht, wie hätten die Landwirbeltiere ohne Lungen an Land überleben sollen? Das heißt, dass bereits die Vorfahren der Landwirbeltiere Lungen besessen haben müssen, als sie noch im Wasser lebten. Für den Landgang waren die Lungen eine sog. Präadaptation, die schon vorhanden war und den Landgang erst ermöglicht hat. Wenn wir wissen wollen, warum Lungen entstanden sind, müssen wir uns somit die Frage stellen, welchen Vorteil Lungen im Wasser gehabt haben könnten. Die Antwort finden wir bei den nächstlebenden Verwandten der Landwirbeltiere, den Lungenfischen (Dipnoi). Australische Lungenfische (Neoceratodus forsteri) leben in Gewässern, die oft sehr sauerstoffarm sind. Die Lungen ermöglichen es ihnen, zusätzlich Luftsauerstoff atmen und so bei Sauerstoffknappheit trotzdem überleben zu können. Das kann man übrigens auch bei Fischen beobachten, die keine Lunge (mehr, bei ihnen wurde daraus die Schwimmblase) haben, z. B. bei uns im Hochsommer an einem Karpfenteich, wenn die Fische nach Luft schnappen. Die Fische können den Luftsauerstoff über den Darm aufnehmen - tatsächlich ist die Lunge sogar ursprünglich einmal aus einer Aussackung des Darms entstanden. Afrikanische Lungenfische (Protopterus) können dank der Lungen sogar das völlige Austrocknen des Gewässers überleben - sogar bis zu fünf Jahre lang. Bei den Landwirbeltieren erfuhr die Lunge dann einen Funktionswechsel, indem sie statt zum Überdauern ausgetrockneter Tümpel zum dauerhaften Leben an Land genutzt wurde.

Aber Lungen sind auch nicht entstanden, damit die Tiere im Wasser Sauerstoffknappheit überstehen können. Auch das würde ja eine Zielgerichtetheit unterstellen, die es nicht gab. Es war nur einfach so, dass bei einigen Individuen durch eine zufällige Mutation die Darmaussackung ein bisschen größer war. Diese Tiere konnten damit zufälligerweise den Sauerstoff besser verwerten, waren also gegenüber den artgenossen, die diese Aussackugn nicht hatten, im Vorteil. Erst dadurch, dass die Umwelt genau diese Individuen begünstigte, ergibt sich der Anpassungswert.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Organismen denken sich nicht "wow, wäre doch praktisch, wenn ich längere Beine habe" und ändern das dann (obwohl der Mensch kurz davor ist das zu können).

Was passiert ist, daß in einer Gruppe von Organismen manche längere und andere kürzere Beine haben und wenn die längeren wirklich einen Vorteil bringen (und es Gene gibt die deren Wachstum steuern), dann pflanzen diese Lebewesen sich besser fort und geben diese Gene häufiger weiter und so entsteht eine Gruppe Lebewesen mit längeren Beinen. Die Umwelt ist der "filter" der dem ganzen eine Richtung geben kann so lange sie stabil ist.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

Die Formulierung "Tiere passen sich an" suggeriert, dass Tiere aktiv ihre Anpassung steuern. Tiere passen sich aber selbst nicht an, sondern sie werden (durch die Mechanismen) angepasst. Sie "entscheiden" das selbst nicht.

In jeder Population einer Art gibt es eine genetische Variation und der Folge, dass einige dieser Varianten in der nächsten Generation mehr Nachkommen hinterlassen können als andere Varianten. Diese genetische Variation wird durch zufällige Mutation erzeugt - ein Prozess, der nicht davon beeinflusst wird, was die Organismen in der Population "wollen". Entweder hat ein Individuum Gene, die gut genug sind, um zu überleben und sich fortzupflanzen, oder es hat sie nicht.

Ein Beispiel: Bakterien entwickeln keine Resistenz gegen Antibiotika, weil sie das "wollen" oder "selbst beisteuern". Stattdessen entwickelt sich die Resistenz, weil durch zufällige Mutation einige Individuen entstehen, die besser in der Lage sind, das Antibiotikum zu überleben, und diese Individuen werden sich stärker vermehren als andere, wodurch mehr resistente Bakterien zurückbleiben.

Ich verwende die Formulierung übrigens genauso wie du, da ich davon ausgehe, dass ohnehin jeder versteht, was damit gemeint ist.

Wie man das formuliert, ist ziemlich egal. Das Problem ist, wie man die Formulierung VERSTEHT und die meisten Leute verstehen sie IMMER FALSCH.

Natürlich denkt sich kein Organismus "Oh, das Klima ändert sich, also muss ich mich anpassen" und tut das dann.

Anpassung bedeutet, dass sich die Selektion für die nächsten Generationen einer Population ändert und nicht individuell der Organismus des Individuums.

Anpassung bedeutet, dass sich geänderte Lebensbedingungen darauf auswirken, welche Eigenschaften der Nachkommen sich als vorteilhaft oder nachteilig aufs Überleben auswirken.

MaxBe03 
Fragesteller
 25.03.2024, 18:55

Aber ist die 2 Formulierung nicht sinvoller den ein organismus ist ja nicht selber dazu fähig sich anzupassen sondern die umwelt zwingt ihn dazu bzw die nachkommen werden immer besser angepasst? Sorry falls ich nur müll rede ich bin selber noch nicht so tief in dem thema drinne und wir haben das gerade erst in der 10 klasse😀

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JMC01  25.03.2024, 23:22
@MaxBe03

Wer genug Grips im Kopf hat, weiß, dass sich nicht individuelle Organismen aufgrund eigener Entschlüsse und eigener Fähigkeiten an irgendwas anpassen. Jede derartige Formulierung kann von ungebildeten Laien falsch verstanden werden - auch die zweite.

Auch die Umwelt zwingt nicht einen Organismus zur Anpassung. Der Zwang besteht in einer geänderten Selektion, die darüber entscheidet, ob ein Organismus stirbt, bevor er seine Gene vererben kann oder nicht. Wer erfolgreich so lange lebt, um sich fortzupflanzen, hat bewiesen, dass seine Gene überlebensfähig genug für die aktuellen Lebensbedingungen sind.

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matmatmat  30.03.2024, 06:31
"Oh, das Klima ändert sich, also muss ich mich anpassen"

Ja, leider tun das nicht mal die Organismen die es könnten :-(

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