Andere Theorie der Entstehung der Menschen?

4 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Ihr habt beide recht. Der Mensch stammte vom Affen ab. Er ist sogar ein Affe. Das wird deutlich, wenn man sich einmal die Stellung des Menschen im System der Arten anschaut. Denn Schimpansen (Gattung Pan) sind mit den Menschen (Gattung Homo) enger verwandt als mit allen anderen Affen wie z. B. den Gorillas (Gattung Gorilla). Wenn die Verwandtschaftsgruppe (Taxon) der Affen (Anthropoidea) die Schimpansen umfasst, muss sie deshalb zwingend auch die Menschen umfassen, andernfalls würden die Affen das, was wir als paraphyletisches Taxon bezeichnen, also eine Gruppe, die nicht alle Nachfahren eines gemeinsamen Vorfahren enthält¹. Systematisch gesehen ist der Mensch also nichts anderes als eine Art aus der "Familie" der Großen Menschenaffen (Hominidae).

Deine Freundin hat insofern recht, dass der Mensch von keiner der heute lebenden Affenarten abstammte, auch nicht vom mit uns am engsten verwandten Schimpansen. Verwandt heißt in diesem Fall nicht, dass Schimpansen unsere phylogenetischen "Eltern" sind, sondern es bedeutet, dass wir von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen, aus dem sich sowohl Schimpansen einerseits als auch Menschen andererseits entwickelt haben. Bildlich gesprochen sind Schimpansen also sozusagen unsere phylogenetischen "Geschwister". Auch mit den anderen Affenarten sind wir verwandt, aber je entfernter die Verwandtschaft ist, umso weiter müssen wir bis zum gemeinsamen Vorfahren in die Vergangenheit zurückgehen. Der letzte gemeinsame Vorfahr aller Affen beispielsweise dürfte etwa im Eozän gelebt haben, vor etwa 55 Mio. Jahren. Gehen wir zum letzten Vorfahren aller Primaten zurück (die Affen sind ja eine Teilgruppe der Primaten, es gehören noch Koboldmakis, Lemuren und Loris dazu), landen wir sogar in der Kreidezeit vor etwa 80 Mio. Jahren. Es gibt keine Fossilien von Primaten aus dieser Zeit (jedenfalls hat man noch keine gefunden). Wir können den Zeitpunkt aber trotzdem bestimmen, indem wir die DNA benutzen. Wenn wir das Erbgut von Primaten mit dem ihrer engsten Verwandten, der Riesengleiter (Dermoptera) vergleichen, können wir anhand der Sequenzunterschiede der DNA den Zeitpunkt ihrer Trennung ermitteln. Dieses Verfahren wird auch molekulare Uhr genannt.

Im Fall der menschlichen (Hominini) und der schimpansischen (Panini) Entwicklungslinien können wir den Zeitpunkt der Trennung mit der molekularen Uhr auf einen Zeitraum von vor etwa 6-5 Mio. Jahren schätzen. In diesem Fall kann uns aber auch der Fossilbericht Auskunft geben, weil zumindest von den Homininen eine Reihe gut erhaltener Fossilien erhalten ist. Die Fossilien lassen sich mit Hilfe der Messung radioaktiver Isotope auf ihr Alter bestimmen. Der Fossilbericht verortet den Zeitpunkt der Trennung von Mensch und Schimpanse auf etwa 7-6 Mio. Jahre vor heute². Der letzte gemeinsame Vorfahre von Mensch und Schimpanse hat demnach also etwa vor knapp 7 Mio. Jahren gelebt. Und natürlich war dieser Vorfahre ein Affe.

Von der paninen Evolutionslinie sind leider keine Fossilien erhalten. Schimpansen haben sich im zentralen Afrika entwickelt, wo es immer warm und feucht war. Das sind schlechte Bedingungen für die Entstehung von Fossilien. Als ältester Vertreter unserer Entwicklungslinie gilt Sahelanthropus tchadensis. Seine Überreste konnten auf ein Alter zwischen 7-6 Mio. Jahren datiert werden. Er hat also schon kurz nach der Divergenz von Schimpansen und Menschen gelebt. Die Zuordnung zu den Hominini ist nicht gänzlich unumstritten, weil sie nur auf wenigen Merkmalen beruht, findet aber breite Zustimmung. Wir dürfen nicht vergessen, dass sich so kurz nach der Trennung die Vertreter beider Linien sich sowieso kaum voneinander unterschieden haben dürften. Schließlich verlief die Evolution der Menschheit graduell, es muss daher zu erwarten sein, dass die frühesten Vormenschen noch viel mehr affen- als menschähnlich waren. Ein weiterer früher Vormensch ist Orrorin mit einem Alter von etwa 6 Mio Jahren. Als dritte Gattung ist noch Ardipithecus (6-4 MYA³) zu nennen. All diese Gattungen sind nur fragmentarisch erhalten. Möglicherweise könnten all diese Funde daher auch nur einer einzigen Gattung angehören. Entsprechend der Nomenklaturregeln für die Zoologie wäre der gültige Name für die Gattung dann Ardipithecus. Etwa 4 MYA erschienen die "Australopithecinen". Die "Australopithecinen" sind allerdings ein Paraphylum, weil sich aus einer Art von Australopthecus die Gattung Homo entwickelt hat. Früher stellte man alle Arten dieser Gruppe in die Gattung Australopithecus. Man unterschied dabei zwischen zwei verschiedenen Typen, den feingliedrigeren "grazilen" und den kräftiger gebauten "robusten" Australopithecinen. Heute werden nur noch die "grazilen" Formen zur Gattung Australopithecus gezählt. Die "robusten" werden einer eigenen Gattung, Paranthropus zugerechnet. Die Gattung Paranthropus gehört nicht zu unseren direkten Vorfahren, sie stellt einen heute ausgestorbenen Seitenzweig dar. Aus welcher Gruppe der grazilen Australopithecinen die Gattung Homo entstand, ist nicht klar, möglicherweise Australopithecus africanus. Der erste Vertreter der Gattung Homo war Homo habilis. Ein bisschen später erschien Homo erectus, aus dem schließlich der Homo sapiens hervorging, also die Art, der auch der vor etwa 315 000 Jahren entstandene anatomisch moderne Mensch angehört. Anatomisch moderne Menschen sind heute die einzig verbliebene Menschenform.

¹ Ein anderes schönes Beispiel für ein Paraphylum sind die Kriechtiere ("Reptilia"). Die Krokodile sind nämlich mit Vögeln enger verwandt als mit Echsen und Schildkröten, weshalb die Vögel eigentlich zu den Kriechtieren gestellt werden müssen. Die in sich geschlossene Verwandtschaftsgruppe (Monophylum) aus den "klassischen" Kriechtieren inklusive der Vögel heißt Sauropsida.

² die geringe Diskrepanz zwischen Fossilbericht ubd molekularer Uhr kann mit der sog. unvollständigen Linientrennung erklärt werden: in einer Population gibt es ja meist mehr Varianten eines Gens (Allele genannt). Solche Allele können nach der Trennung verschwinden, sie können aber auch nehrere Artbildungsprozesse überspringen. Stellen wir uns vor, es gibt von einem Gen eine Variante A und B und diese überstehen beide zunächst die Trennung von Gorillas auf der einen Seite und von Schimpansen und Menschen auf der anderen. Nun überstehen beide Allele noch die Auftrennung von Schimpansen und Menschen. Dann verschwindet aber bei den Schimpansen das Allel A, während bei Gorillas Allel B verschwindet und auch beim Menschen verschwindet Allel B. Obwohl wir weiterhin enger mit Schimpansen verwandt sind, würde eine Analyse dieses Gens zu dem Ergebnis kommen, dass Menschen enger mit Gorillas verwandt wären. Das ist unvollständige Linientrennung.

³ MYA = million years ago, Millionen Jahre vor heute)

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Euer beider Auffassungen sind kein Widerspruch, sondern beruhen auf derselben Theorie der Evolution des Menschen.

Es gibt einen gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Menschenaffen (Schimpansen, Gorilla, Bonobos). Der wird in der Wissenschaft als "letzter gemeinsamer Vorfahre" (LCV) bezeichnet und ist wahrscheinlich eine ausgestorbene Art, die vor mehreren Millionen Jahren existierte. Dieser gemeinsame Vorfahr gehört auf jeden Fall zu den Menschenaffen. Insofern hast du völlig recht. Wir stammen aber nicht von einer der heute noch lebenden Affenarten ab, insofern hat deine Freundin ebenfalls recht.

Welche Art dieser gemeinsame Vorfahr war, ist mangels Funden der Zwischenschritte der Entwicklung nicht genau bekannt. Es gibt da verschiedene Thesen unter den Wissenschaftlern.

In der Diskussion sind Ardipithecus ramidus, der vor etwa 4,4 Millionen Jahren lebte und als eine der frühesten bekannten Hominin-Arten betrachtet wird. Ein weiterer Kandidat ist Australopithecus afarensis, der vor etwa 3,9 bis 2,9 Millionen Jahren lebte und durch das berühmte Fossil "Lucy" bekannt geworden ist. Kenyanthropus platyops, dessen Fossilien vor etwa 3,5 Millionen Jahren entdeckt wurden, ist eine weniger bekannte Art, die jedoch auch als potenzieller Kandidat für den LCV betrachtet wird.

Wels33 
Fragesteller
 14.05.2023, 18:14

Ich habe ja gesagt, dass wir von einer nicht mehr lebenden Affenart abstammen, meine Freundin hat vollkommen abgestritten, dass wir in irgendeiner Form von einer Affenart abstammen.

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Hamburger02  14.05.2023, 21:15
@Wels33

So ist es. Dieser gemeinsame Vorfahr wird ebenfalls zu den Affen gezählt, allerdings zu keiner heute noch existierenden Art.

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Wels33 
Fragesteller
 14.05.2023, 22:37
@Hamburger02

Hast du denn schonmal von der beschriebenen andere Theorie gehört, dass wir gar nicht von Affen abstammen? Es interessiert mich jetzt schon was das genau ist.

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Hamburger02  14.05.2023, 22:39
@Wels33

Eine solche Theorie gibt es nicht, außer man sieht das religiös und nimmt die Schöpfungsgeschichte wörtlich. Dann hat Gott den Menschen geschaffen und er hat sich nicht evolutionär aus irgendwas entwickelt.

Ich vermute eher, dass deine Freundin die Aussage: "der Mensch stammt nicht von heutigen Affen ab" irgendwie falsch verstanden hat.

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Wels33 
Fragesteller
 14.05.2023, 22:41
@Hamburger02

Ok, vllt war es irgendeine „bewiesene“ YouTube-Doku, wo ich schon gehört habe, dass der Triceratops Jagd auf den T-Rex gemacht hat. Da findet man glaube ich zu allem einen vermeintlichen Beweis.

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Wir stammen von keiner Affenart ab, dennoch hat der Affe und der Mensch gemeinsame Vorfahren. Unser Genom ist auch zu einem sehr hohen Protzentsatz mit den einer Giraffe gleich, dennoch sind wir sehr unterschiedlich. Also 99% klingen viel, aber sind noch sehr weit entfernt von einer direkten Ähnlichkeit

Wels33 
Fragesteller
 14.05.2023, 15:07

Und dieser gemeinsame Vorfahre gehört zur Familie…?

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Enzi1  14.05.2023, 15:10
@Wels33

Die Taxonomie hat nicht zwingend etwas mit der genetischen Evolution zu tun bzw. gar nicht. Ein Fossil des Urmenschen wurde auch nicht gefunden, dieser ist gar nicht in die Taxonomie eingegliedert

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Wels33 
Fragesteller
 14.05.2023, 15:13
@Enzi1

Hast du wenigstens einen Namen?

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Wels33 
Fragesteller
 14.05.2023, 15:31
@Enzi1

Das heißt, es gab einen Vorfahr, aber er dürfte eigentlich gar nicht existieren, wenn es keinen Artennamen gibt.

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Enzi1  14.05.2023, 20:11
@Wels33

Es gab so viele Lebewesen, die nicht klassifiziert wurden, da man nichts/zuwenig von ihnen gefunden hat.

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Ich war eigentlich immer strikter Anhänger der Meinung, dass wir von einer nicht mehr lebenden Affenart abstammen, von der auch die heutigen Schimpansen und co abstammen, und soweit ich weiß, ist das auch wissenschaftlicher Konsens.

Das ist richtig.

Die in der Zeit der Trennung der Entwicklungslinien von Schimpanse und Mensch vor ungefähr 7 Millionen Jahren lebenden Arten, die als letzte gemeinsame Vorfahren in Frage kommen (aus diesem Zeitraum gibt es leider nur wenige, unvollständige Skelette, wodurch das Bild ziemlich unscharf ist) waren dem aufrechten Gang übrigens sehr viel näher als heutige Schimpansen. Die Form von Hüften und Oberschenkeln ist menschenähnlich, nicht schimpansenähnlich und sie hatten keine die anatomische Anpassung an den Knöchelgang. Sie waren Bewohner offener Sawannenlandschaften. Die Schimpansen sind Rückkehrer in den Wald.

Wenn man es sehr provokant formulieren will, könnte man sagen, dass Schimpansen von Vormenschen abstammen :p