Altern wir 'relativ'?

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Hallo wabbel037274,

das Altern ist ein komplexer Prozess, der nicht nur von der Zeitdauer abhängt. Unter sonst gleichen Bedingungen hängt es aber ausschließlich an der Eigenzeit τ, die eine mitgeführte Uhr Ω anzeigt.

Will man sich allerdings verabreden, braucht man den Ort s› und die Koordinatenzeit (zur Bezeichnung s.u.) t des geplanten Treffens, das ein Beispiel für ein Ereignis ist. Ort ist Position relativ zu einer gemeinsamen Bezugs-Uhr U, und t ist diejenige Eigenzeit von U, mit der das Treffen gleichzeitig ist. Vorzugsweise sollte U inertial sein, d.h., keiner Beschleunigung unterliegen.

GALILEIs Relativitätsprinzip
… egal wie schnell wir uns bewegen.

Fortbewegung ist relativ. Außer U lässt sich auch eine relativ zu U mit konstanter Geschwindigkeit v› bewegte Uhr U' als Bezugs-Uhr festlegen, relativ zu der sich U mit –v› bewegt. Das Entscheidende an GALILEIs Prinzip ist aber, dass beide Uhren und Koordinatensysteme physikalisch gleichwertig sind.

Die Raumzeit
Das Zeit unterschiedlich schnell vergeht, ...

Mit der Vorstellung von Zeit als etwas, das vergeht, kommen wir nicht weiter. Stattdessen sollte man sie lieber als Weltlinie (WL) auffassen, als Weg durch die Raumzeit. Die Länge eines WL-Abschnittes von Ω zwischen zwei auf ihr liegenden Ereignissen ist nichts anderes als die Eigenzeitspanne Δτ. Die Geschwindigkeit eines Körpers relativ zu U stellt sich als Neigung (einschließlich deren Richtung) seiner WL gegen die von U, eine eventuelle Beschleunigung als Krümmung seiner WL dar.

Die WL von U ist (unter der Annahme, dass U inertial ist) eine Gerade. Sie ergänzt als Zeitachse ein räumliches Koordinatensystem S (mit U als„ Anker“) zum raumzeitlichen Koordinatensystem Σ. Daher rührt auch die Bezeichnung „Koordinatenzeit“ für die Zeiten t und t+Δt zweier Ereignisse. Bildlich kann man sich tatsächlich vorstellen, dass sie gleichsam „senkrecht“ auf die WL von U projiziert werden.

Dasselbe kann man natürlich mit U' machen, in Bezug auf die die Ereignisse die Σ'-Koordinatenzeiten t' und t'+Δt' haben. U' hat sozusagen eine andere Zeitrichtung als U, und so sollte es nicht überraschen, wenn sich die beiden Koordinaten-Zeitspannen Δt und Δt' voneinander und von Δτ unterscheiden. Dabei denken wir uns S und S' so ausgerichtet, dass v›=(v;0;0) ist.

Raumzeitliche Abstände

Ob dies so ist, hängt von der Metrik, der Definition von Abständen in der Raumzeit ab. Die Strecke zwischen zwei Orten kann ich als Diagonale eines Quaders Δx×Δy×Δz auffassen, dessen Seiten an den Achsen von S ausgerichtet sind, aber auch eines Quaders Δx°×Δy°×Δz°, dessen Seiten an einem anderen Koordinatensystem S° - ebenfalls mit U als „Anker“ - ausgerichtet sind.

Der Abstand Δs in Bezug auf U hängt natürlich nicht davon ab, welchen Quader wir wählen; sein Quadrat ergibt sich aus dem Satz des PYTHAGORAS:

(1) Δs² = Δx² + Δy² + Δz² = Δx°² + Δy°² + Δz°²

Entsprechendes gilt natürlich für den Abstand Δs' in Bezug auf U'.

Bis hierher haben wir nämlich noch nichts gesagt, das in der NEWTONschen Mechanik (NM) nicht gültig wäre, auch wenn es unüblich ist, dort von der Raumzeit und von WL zu sprechen. Das Raumzeit-Konzept an sich setzt nicht die Spezielle Relativitätstheorie ((S)RT) voraus, auf die ich jetzt zu sprechen kommen will. 

In NEWTONs Modell ist Δτ=Δt=Δt', und bei gleichzeitigen Ereignissen ist auch Δs=Δs'.Eine Umrechnung zwischen der Σ und Σ' ist quasi eine Scherung in der Raumzeit.

In der SRT gibt es zwischen zwei Ereignissen nur einen Abstand, dessen Quadrat nach MINKOWSKI

(2.1) Δτ² = Δt² – Δs²/c² = Δt'² – Δs'²/c²

in Σ und Σ' oder irgendeinem anderen Koordinatensystem identisch ist. Dabei ist Δτ nichts anderes als die „geradlinige“ Eigenzeit - falls Δt>Δ/c ist, und c ist der Betrag der Lichtgeschwindigkeit. Dann spricht man von zeitartig getrennten Ereignissen. 

Allerdings ist Δτ=0 bei Ereignissen, die entweder zusammenfallen oder wo Δs=cΔt ist. Dann ist auch Δs'=cΔt', und solche Ereignispaare werden als lichtartig getrennt bezeichnet. Der Grund für die Bezeichnung liegt auf der Hand: Start und Ankunft eines und desselben Lichtsignals sind ein Beispiel für solche Ereignisse.

Sogar negativ kann Δτ² werden, und dann ist Δτ imaginär. Zwei solche Ereignisse können nicht auf der WL irgendeiner Uhr liegen. Solche Ereignisse heißen raumartig getrennt, und dann bietet es sich an, (2.1) umzudrehen und mit c zu multiplizieren. So kommt man auf den Gleichzeitigkeits-Abstand

(2.2) Δς² = Δs² – Δt²·c² = Δs'² – Δt'²·c².

Raumartig getrennte Ereignisse können auch als potentiell gleichzeitig bezeichnet werden, d.h., es gibt ein Koordinatensystem, in dem beide Ereignisse gleichzeitig sind. In diesem haben sie den räumlichen Abstand Δς.

Bild zum Beitrag

Dass raumartig getrennte Ereignisse nicht in jedem Koordinatensystem gleichzeitig sind, heißt Relativität der Gleichzeitigkeit und ist genau genommen der Effekt der SRT. Leider haben sich auch die hochgradig irreführenden Ausdrücke „Zeitdilatation“ und „Längenkontraktion“ eingebürgert. Allerdings ist Ersteres eigentlich ein Projektionseffekt, und Letzteres nenne ich gern „Schrägschnitt durch die Weltwurst“, und beides sind Nebeneffekte der Relativität der Gleichzeitigkeit.

Bild zum Beitrag

Uhr ist Uhr
Aber alle Beispiele von denen ich gelesen hatte, waren mit Lichtuhren.

Ich kenne das aus meiner Schulzeit. Was hier fehlt, ist die explizite Aussage, dass die physikalische Gleichwertigkeit von Σ und Σ' nach GALILEIs Relativitätsprinzip (s.o.) auch MAXWELLS elektromagnetische Wellengleichung einschließt, welche auch die Lichtausbreitung beschreibt.

Wenn nun eine Lichtuhr auf einen Zeittakt T geeicht ist und sich wie U' relativ zu U mit v› bewegt, wobei sie in y-Richtung ausgerichtet ist, bekommt die Geschwindigkeit des Signals in der Uhr eine x-Komponente v. Da der Betrag gleich c bleiben muss, muss die Lichtgeschwindigkeit in Σ (y;√{c²–v²};0) sein, wodurch sich der Zeittakt auf T/√{1–v²/c²} verlängert. 

Das Entscheidende ist jetzt, dass man umgekehrt auch U' als ruhend betrachten können muss und der Zeittakt der Lichtuhr in Σ' von daher T sein muss. Wenn gemessen an der Zeitrichtung von U die Lichtuhr langsamer läuft, muss jede Uhr um denselben Faktor langsamer laufen und das wird

Richtet sich unser Alterungsprozess nun nach dieser Zeit, oder funktioniert unser Körper wie eine unabhängige "Uhr" und altert genau gleich schnell,…

final beantworten. Uhr ist Uhr.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung
 - (Physik, Zeit, Relativitätstheorie)  - (Physik, Zeit, Relativitätstheorie)

Für dich läuft die Zeit immer gleichschnell ab. Oder hast du schonmal erlebt, dass deine Uhr mal schneller und mal langsamer geht?

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
CrEdo85wiederDa  28.06.2019, 21:14
Oder hast du schonmal erlebt, dass deine Uhr mal schneller und mal langsamer geht?

Aber natürlich :) Eine Stunde vor Feierabend geht die Uhr deutlich langsamer als während der Mittagspause :)

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Von der Zeitdilatation sind sämtliche Prozesse betroffen, auch das Altern.

Dadurch kommt ja das Zwillingspradoxon zustande, in dem einer von zwei Zwillingen auf der Erde bleibt und einer mit einem Raumschiff mit nahezu Lichtgeschwindigkeit zu einem fernen Stern und dann mit derselben Geschwindigkeit zurückfliegt. Bei der Rückkehr stellen sie fest, dass der Zwilling im Raumschiff nun jünger ist als der andere.

Beide stellen aber, während der eine Zwilling unterwegs ist, in ihrem direkten Umfeld keinen Unterschied im Zeitverlauf fest. Auch für den Zwilling im Raumschiff geht daher zum Beispiel eine Uhr im Raumschiff mit der gewohnten Geschwindigkeit. Während das Raumschiff unterwegs ist, sieht dagegen jeder der beiden Zwllinge den jeweils anderen verlangsamt.

Dass am Ende der Zwilling im Raumschiff langsamer gealtert ist als der auf der Erde gebliebene, liegt am Wechsel des Bezugssystems, wenn das Raumschiff umkehrt.

SlowPhil  01.07.2019, 22:20

Danke für den Stern. Ich sehe ihn als Zeichen dafür an, dass meine Erklärung der Relativitätstheorie verständlich ist.

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PhotonX  02.07.2019, 07:51
@SlowPhil

Weil du den Dank unter eine fremde Antwort gesetzt hast statt unter deine eigene, oder war das so gedacht? ;)

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Im eigenen Bezugssystem ("mitbewegtes System") altern alle gleich schnell, die Zeitkoordinate ist gleich der Eigenzeit. Nur aus der Sicht von Beobachtern, die uns als bewegt wahrnehmen ("Laborsystem"), altern wir langsamer.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Masterabschluss Theoretische Physik
SlowPhil  02.07.2019, 01:15
Im eigenen Bezugssystem ("mitbewegtes System")...

Ein Bezugssystem ist ein Koordinatensystem, auf das wir physikalische Größen beziehen.

Ein Koordinatensystem, in dem ich selbst stationär bin, heißt mein Ruhesystem.

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PhotonX  02.07.2019, 07:49
@SlowPhil

Ja richtig, allerdings führt diese Bezeichnung häufig zu Verwirrungen. Die Bezeichnung. "Ruhesystem" impliziert, dass das System ruht, aber relativ zu wem? Wenn ich einen Beobachter auf der Erde habe und einen in der fliegenden Rakete, dann sagt man häufig die Erde ist das Ruhesystem, die Rakete das bewegte System. Was aus der Sicht der Erde auch genau der Fall ist. Allerdings aus der Sicht der Rakete genau umgekehrt: Hier ist die Rakete das Ruhesystem, das Labor das bewegte.

Wenn ich hingegen stattdessen die Bezeichnungen wie in meiner Antwort verwende, dann ist klar, dass das mitbewegte System sich mit der Rakete mitbewegt, während das Laborsystem auf der Erde fixiert ist.

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SlowPhil  02.07.2019, 09:21
@PhotonX
NoDie Bezeichnung. "Ruhesystem" impliziert, dass das System ruht,...

Nicht "Ruhesystem" oder "das Ruhesystem", sondern z.B. "mein Ruhesystem".

Das impliziert nicht, dass das System ruht (bei raumzeitlichen Koordinatensystemen ist die Vorstellung von Bewegung ohnehin problematisch, denn der Ursprung ist ein Ereignis, sondern dass in diesem System ich ruhe.

Wenn ich einen Beobachter auf der Erde habe und einen in der fliegenden Rakete, dann sagt man häufig die Erde ist das Ruhesystem, die Rakete das bewegte System.

Du verwendest das Wort "System" hier im Sinne von "Systemen von Objekten", aber meist ist "Koordinatensystem" gemeint.

Das Bezugssystem, das ich verwende, muss keinesfalls mein Ruhesystem sein. Angenommen, ich fahre mit dem Zug nach Köln. Würde ich den Zug als Anker meines Bezugssystems ansehen, würde ich gar nicht sagen "ich fahre nach Köln", sondern "ich lasse Köln auf mich zukommen".

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PhotonX  02.07.2019, 09:59
@SlowPhil
Du verwendest das Wort "System" hier im Sinne von "Systemen von Objekten", aber meist ist "Koordinatensystem" gemeint.

Ich nicht, aber viele viele Texte, die sich mit der SRT befassen.

Es gibt ja zwei (Systeme von) Objekte(n) und zwei Koordinatensysteme, jedes an einem der Objekte festgemacht. Aus der Sicht jedes Objekts ist das an ihm festgemachte System das Ruhesystem, das jeweils andere ist das bewegte System. So weit alles gut und fachlich korrekt.

Aber häufig sind Gedankenexperimente der SRT so konstruiert, dass ein Objekt intuitiv als ruhend verstanden wird (Erde, Labor) und das andere als bewegt (Rakete). Und da läuft man Gefahr das Ruhesystem mit dem Laborsystem zu identifizieren und das bewegte System mit der Rakete. Wenn man dann behauptet "Bewegte Uhren gehen langsamer", ist man versucht zu denken, dass die Uhren auf der Rakete im Koordinatensystem der Rakete langsamer gehen, was natürlich keinen Sinn macht.

Also wäre mein Vorschlag, den du gern als didaktischen Kniff betrachten kannst, zu sagen: Wenn schon die Gedankenexperimente so asymmetrisch konstruiert sind, dass ein Verlangen danach besteht die Sache aus der Laborsicht zu sehen, dann nennen wir das System der Rakete doch lieber "mitbewegtes System" statt einfach nur "bewegtes System". Da ist erstens klarer, dass von einem Koordinatensystem die Rede ist und nicht von einem System von Objekten; zweitens fällt dann der Perspektivenwechsel leichter, nämlich zu sagen: Im mitbewegten System ruht das Objekt per Definition, also ist es aus Sicht des Objekts (der Rakete etwa) doch eigentlich das Ruhesystem.

Tut mir Leid, sollte die Erklärung etwas konfus sein, mir fällt es immer noch schwer klare Worte zu finden, wenn es über die SRT geht. Aber ich habe mir Mühe gegeben. ;)

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