Adaptive Radiation?

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Moin,

ja, das hängt alles irgendwie zusammen.

Zunächst einmal zur allgemeinen Definition:

Eine adaptive Radiation kommt als Erklärung stark in Betracht, wenn eine (unspezialisierte) Ausgangsart in einem geologisch kurzer Zeit (so um 5 Millionen Jahre) in viele (spezialisierte) Arten aufspaltete.

Der Vorgang ist dann in der Regel folgender:

Irgendwo entsteht (oft in abgelegener Gegend) ein neuer Lebensraum (zum Beispiel eine Inselgruppe durch vulkanische Aktivität). Dieser neue Lebensraum wird als erstes von Pflanzen (und vielleicht noch Insekten) besiedelt. Ansonsten gibt es seehr viele freie (unbesetzte) ökologische Nischen.

Als nächstes verschlägt es ein paar andere Lebewesen einer Art auf diese Inseln. Das können zum Beispiel Vögel oder „Reptilien” oder Säuger sein, die entweder auf Treibgut auf die Insel kamen oder dorthin geflogen sind...

Diese Neuankömmlinge sind ursprünglich in der Regel wenig spezialisiert und haben Verwandte in entfernten Küstenregionen des Festlandes.
Somit unterliegt die angekommene Minipopulation schon einmal der Gendrift, weil sie als Gründerpopulation nur einen kleinen Teil des ursprünglichen Genpools der Verwandten auf dem Festland mitbrachten.

Die Neuankömmlinge finden zunächst nahezu paradiesische Verhältnisse im neuen Zuhause vor, denn es gibt genügend Nahrungsquellen (Vegetation; Insekten), genügend Platz und keine Fressfeinde...

Das bedeutet, dass sich die Gründerpopulation am Anfang exponentiell vermehrt.

Irgendwann wird die Population jedoch so groß, dass sich die Individuen gegenseitig Konkurrenz um Nahrung, Nistplätze, Schlafplätze oder Geschlechtspartner machen (innerartliche oder intraspezifische Konkurrenz).

Und nun setzen verschiedene Mechanismen ein. Da es viele unbesetzte ökologische Nischen gibt, kann es zu einer sympatrischen Artenbildung kommen. Dabei spielt gegebenenfalls eine spaltende Selektion eine gewisse Rolle, denn der Haupttyp macht sich ja die größte innerartliche Konkurrenz, so dass auf ihm der Selektionsdruck lastet. Die Ränder der Merkmalsausprägungen haben eventuell gewisse Vorteile (zum Beispiel weil sie nicht nur Blätter fressen können, sondern die eine Seite auch Nektar trinken kann, während die andere Seite auch Insekten verträgt). Wenn diese beiden Ränder dann neue ökologische Nischen besetzt und nutzt, Isolationsmechanismen ausbildet und sich am Ende reproduktiv gegeneinander abgrenzt, kann die ursprüngliche Art in zwei neue Arten auspalten (sympatrische Artenbildung).

Eine andere Möglichkeit ist, dass es ein paar Individuen auf andere Inseln des Archipels verschlägt (Separation). In den dann wieder entstehenden neuen Teilpopulationen finden unabhängig Mutationen, Rekombinationen und Selektionen statt, so dass sich auch hier die ursprüngliche Ausgangsart aufspaltet (allopatrische Artenbildung).

Solche Vorgänge wiederholen sich mehrfach, bis schließlich in geologisch kurzer Zeit eine (unspezialisierte) Stammart in viele (zunehmend spezialisierte) Arten aufspaltete...

Das kannst du jetzt noch ein bisschen ausschmücken (mit genauerer Trennung von Gendrift-Ereignissen und / oder transformierender Selektion bei der allopatrischen Artenbildung oder den Einbezug von parapatrischen Mechanismen oder die genauere Abgrenzung von Isolationsmechanismen oder, oder, oder...), aber am Ende hast du stets das gleiche Erklärungsmodell, das man adaptive Radiation nennt.

LG von der Waterkant

Boenia17 
Fragesteller
 27.02.2023, 13:26

wie kommt es zu mutationen, gendrift. mutation hört sich echt negativ an

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DedeM  27.02.2023, 14:31
@Boenia17

Mutationen sind nicht negativ. Sie auch nicht positiv. Es sind einfach Veränderungen des genetischen Materials, die spontan auftreten. Manchmal haben die betroffenen Lebewesen durch die Mutation einen Vorteil. Manchmal haben sie einen Nachteil. Oft weder noch.

Manchmal betrifft die Mutation nicht das Lebewesen selbst, sondern dessen Nachkommen. Und dann geht das wieder so: manchmal haben die Nachkommen dadurch einen Vorteil, manchmal einen Nachteil und manchmal merken sie von der Mutation nichts.

Da das Erbgut ständig mutiert, sind alle Lebewesen davon immer wieder betroffen. Und alle Lebewesen sind deshalb auch verglichen mit anderen Lebewesen ihrer Art alle Mutanten. Biologisch ist das nicht negativ. Im Gegenteil, es ist sogar eine Eigenschaft, die man an eine geeignete Erbsubstanz stellen sollte, denn nur so kann erreicht werden, dass eine sich ändernde Umwelt von genügend Lebewesen toleriert werden kann, um das Leben an sich zu bewahren.

Ich finde, das hört sich ausgesprochen positiv an (auch wenn ein paar Lebewesen einige wenige Mutationen mit dem Leben bezahlen müssen und das für sie selbst also nicht positiv ist).

Und Gendrift bedeutet nur, dass ein ehemaliger Genpool (Gesamtheit aller Gene in einer Population) kleiner wird. Das kann zum Beispiel durch das Aussterben vieler Organismen aufgrund einer Umweltkatastrophe erfolgen (Flaschenhalseffekt) oder durch das Verteilen einiger weniger Organismen in abgelegene Gebiete (Gründereffekt).

Hinzu kommen noch andere Evolutionsfaktoren wie Genshift, Migration, Genfluss, Isolation, Hybridisierung oder horizontaler und vertikaler Gentransfer, um die Evolution am Laufen zu halten.

Panta rhei (alles fließt); die Evolutionstheorie ist einfach grandios...

Nochmals ein lieber Gruß von der Waterkant

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Normalerweise ist es ja so, dass bei einem Artentstehungsprozess eine Ursprungsart sich in zwei neue Arten aufspaltet. In Stammbäumen wird das in Form von Dichotomien dargestellt. Damit ist nichts anderes gemeint als dass sich ein Ast des Stammbaums an einem Knoten in zwei neue Äste aufgabelt.

Der Artbildung liegen natürlich die verschiedenen Faktoren der Evolution zugrunde: Variation, natürliche Selektion, Isolation und genetische Drift.

  • Variation: die Merkmale einer Population sind nicht konstant, sondern variabel. In einer Vogelpopulation haben einige Vögel z. B. einen etwas längeren Schnabel, andere einen etwas kürzeren usw. Ursache der Variabilität sind zufällig auftretende Mutationen, die dem Genpool neue Genvarianten (Allele) hinzufügen.
  • natürliche Selektion: je nach Umweltbedingungen erweisen sich manche Mutationen als vorteilig, andere sind nachteilig, die meisten neutral. Individuen, die zufällig am besten an ihre Umgebung angepasst sind, haben einen Überlebensvorteil. Sie erreichen die größte Fitness und geben ihre erfolgreichen Allele an ihre Nachkommen weiter. Nachteilige Mutationen werden von der natürlichen Selektion wieder aus dem Genpool aussortiert, da ihre Träger den geringsten Überlebenserfolg haben und deshalb den niedrigsten Fortpflanzungserfolg erzielen. Zum Beispiel ist es in einer Umwelt, in der große, harte Samen wachsen, von Vorteil, wenn ein Vogel einen kräftigen "Nussknackerschnabel" hat. Individuen mit kleineren Schnäbeln können harte Samen nicht knacken und verhungern. Mit ihrem Tod verschwinden die Allele wieder aus dem Genpool.
  • Isolation: damit aus einer Art zwei neue Arten werden, muss die Population in zwei Populationen getrennt werden. Das heißt, dass die Individuen der einen Population sich nur noch mit Individuen derselben Population fortpflanzen können, nicht jedoch mit den Individuen der anderen Population. Es findet also kein Genfluss mehr zwischen den Populationen statt.
  • Genetische Drift: während Mutationen dem Genpool neue Genvarianten zufällig hinzufügen, können Allele auch zufällig aus einer Population verschwinden, ohne dass sie von der natürlichen Selektion aussortiert werden. Man soricht hierbei von der genetischen Drift. Beispielsweise kann das Geschlechterverhältnis einer Population nicht ausgeglichen sein. Wenn es z. B. mehr Männchen als Weibchen gibt, werden diejenigen Männchen, die keine Partnerin finden, ihre Gene nicht weitergeben. Ein anderes Beispiel für Gendrift sind Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Seuchen, denen wahllos ein Teil der Population zum Opfer fällt.

Wir gehen im Allgemeinen davon aus, dass die natürliche Merkmalsbreite normalverteilt ist, d. h. es gibt viele Individuen, die den durchschnittlichen Phänotyp aufweisen, zu den Extremwerten hin nimmt die Anzahl der Individuen immer mehr ab. Die Merkmalsverteilung folgt, graphisch dargestellt, m. o. w. einer Gaußschen Glockenkurve. Wie du richtig erkannt hast, kann man dabei drei verschiedene Selektionsarten unterscheiden:

  • stabilisierend: der durchschnittliche Phänotyp hat den größten Überlebenserfolg. Es wird also mehr in Richtung des Durchschnitts selektiert.
  • gerichtet oder transformierend: einer der Extremwerte hat den größten Überlebenserfolg. Die Kurve wird nach rechts oder links verschoben.
  • spaltend oder disruptiv: die beiden Extremwerte werden bevorzugt, der Durchschnitt hat den geringsten Überlebenserfolg. Die Kurve wird in zwei Maximalwerte aufgetrennt, die sich um die jeweiligen Extremwerte orientieren.

Man nahm ursprünglich an, dass spaltende Selektion eher eine Ausnahme ist und dass allgemein stabilisierende oder transformierende Selektion überwiegt. Das mag auch meist zutreffend sein. Solange die Umweltverhältnisse stabil bleiben, ändert sich der Phänotyp kaum und es wirkt stabilisierende Selektion. Ändern sich die Umweltverhältnisse über die Zeit, passt eine Art ihr Aussehen an sich ändernde Verhältnisse an, dann überwiegt transformierendecSelektion. Das Aussehen der Art verändert sich dann zwar, aber es entsteht keine neue Art. Gerade bei Artaufspaltungsprozessen ist daher die disruptive Selektion sehr häufig, sie bewirkt ja überhaupt erst, dass zwei Populationen mit einem deutlichen phänotypischen Unterschied entstehen. Artaufspaltungsprozesse werden daher häufig von spaltender Selektion ein- und begleitet.

Von adaptiver Radiation sprechen wir, wenn in ganz kurzen Zeitabständen mehrere Artaufspaltungsprozesse hintereinander erfolgen. Aus einer Ursprungsart gehen also innerhalb kurzer Zeit viele verschiedene Arten hervor. Oft erfolgen die einzelnen Artaufspaltungen so dicht nacheinander, dass sich mit den herkömmlichen Methoden der Stammbaumforschung (z. B. den Vergleich einzelner Gen-Sequenzen) nicht rekonstruieren lässt, in welcher Reihenfolge die Aufspaltungen erfolgten. Ein Stammbaum kann an dieser Stelle dann nicht vollständig aufgelöst werden. Das drückt sich durch sog. Polytomien aus, d. h. von einem Knoten zweigen mehr als zwei Äste ab. Adaptive Radiation ist also nichts anderes als eine rasche Aufeinanderfolge mehrerer Artbildungen, die in kurzer Zeit viele neue Arten entstehen lässt.

Wie du richtig geschrieben hast, kann man drei Formen von Artbildungsprozessen unterscheiden: allopatrisch (in getrennten Verbreitungsgebieten), sympatrisch (in einem gemeinsamen Verbreitungsareal) oder parapatrisch (in aneinander angrenzenden Verbreitungsgebieten). Der adaptiven Radiation kann eine Form zugrundeliegen, häufig aber auch eine Mischform. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass adaptive Radiation meist durch eine Mischrom hervorgerufen wird. Beispielsweise erfolgte die adaptive Radiation der Darwinfinken (Geospizinae) auf dem Galápagos-Archipel sowohl durch allopatrische als auch durch sympatrische Speziation. Wie du sich weißt, stammen die etwa 18 verschiedenen Arten von Darwinfinken alle von einer einzigen Art ab, die auf dem Festland lebte. Ein Sturm muss einige Individuen vom Festland auf die Inseln getrieben haben. Dort haben sich einerseits auf den verschiedenen Inseln getrennt voneinander unterschiedliche Arten ausgebildet, also durch allopatrische Speziation. Gleichzeitig haben sich aber auch auf derselben Insel verschiedene Arten ausgebildet, also sympatrisch, indem die Populationen unterschiedliche ökologische (Nahrungs)nischen besetzten. Ähnliches passierte auch bei der Radiation der Buntbarsche (Cichlidae) in den Seen des Ostafrikanischen Grabenbruchs, z. B. dem Tanganjikasee. Zum einen passten sich die Arten an unterschiedliche Nischen im See an (etwa an die steinigen Küstengebiete oder an Regionen mit höherem Sandanteil, manche wurden Räuber, andere Pflanzenfresser). Durch klimatische Schwankungen trocknete der See aber auch mehrmals fast vollständig aus, sodass nur einige kleinere Seen übeig blieben, in denen sich je unterschiedliche Arten entwickelten. Zu späteren Zeitpunkten änderte sich das Klima wieder und der See füllte sich wieder. An verschiedenen Küstenabschnitten des Sees kommen daher noch heute verschiedene Arten vor, die eine sehr ähnliche Lebensweise führen, aber eben entstanden sind, als die jeweiligen Kûstenbereiche voneinander geographisch isoliert waren.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Schau dir die Definition für den Begriff noch einmal an:

Unter adaptiver Radiation versteht man die Entstehung vieler neuer Arten aus einer einzigen Stammart heraus. Zur adapativen Radiationen kommt es durch Einnischung der Art in unterschiedliche ökologische Nischen. Faktoren wie geografische Isolation, sowie das Fehlen von natürlichen Feinden begünstigen den Vorgang der Adaptive Radiation.

https://www.biologie-schule.de/adaptive-radiation.php

Neue Arten entstehen allgemein durch Mutation und Selektion.

Zur adaptiven Radiation kommt es i.d. R. wenn viele ökologischen Nischen frei geworden sind.

Boenia17 
Fragesteller
 27.02.2023, 12:58

wie kommt es eigentlich zu mutationen, weil es klingt echt negativ und als ob dadurch krankheiten entstehen könnten

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agrabin  27.02.2023, 15:13
@Boenia17

Mutationen sind zufällig und ungerichtet. Sie sind oft negativ, es kann sich aber auch ein Vorteile ergeben. Durch Mutationen entsteht etwas Neues.

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