Selektionstypen?

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Hallo,

die Selektionsarten zu verstehen, ist eigentlich ganz einfach. Sieh dir dazu zunächst einmal diese Abb. an:

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Wir beschäftigen uns erst einmal mit dem Diagramm A. Stellen wir uns vor, wir wollen die Häufigkeitsverteilung eines Merkmals in einer Population einer Tier- oder Pflanzenart bestimmen. Z. B. wollen wir wissen, wie die Häufigkeit der Schnabelgröße einer Vogelart verteilt ist. Wir gehen also hinaus, fangen eine genügend große Stichprobe von Vögeln ein, vermessen ihre Schnäbel und lassen sie frei. Unser Ergebnis halten wir dann graphisch fest und erhalten ein solches Häufigkeitsdiagramm wie in A. Auf der X-Achse tragen wir das variable Merkmal auf, in unserem Fall die Schnabellänge in mm. Auf der Y-Achse tragen wir die Häufigkeit auf, also wie viele der von uns gefangenen Vögel einen kleinen, mittelgroßen und großen Schnabel haben. Meist ist ein Merkmal in einer Population normalverteilt, d.h. die Kurve hat die Form einer Glocke: wenige Individuen haben einen kleinen Schnabel, die meisten haben einen mittelgroßen Schnabel und mit zunehmender Schnabelgröße nimmt dann die Häufigkeit wieder ab. So weit alles klar? Gut.

Der Kurvenverlauf kommt natürlich zustande, weil die Individuen eine Varianz im Überlebenserfolg haben, weil also natürliche Selektion stattfindet. Gäbe es keine Selektion, bestünde die Population aus gleich vielen Vögeln mit kleinen, mittelgroßen und großen Schnäbeln. Die Kurve wäre keine Kurve, sondern eine zur X-Achse parallel verlaufende Gerade. Das ist aber in der Praxis nicht der Fall. Die Praxis sieht so aus, dass einige Individuen mit ihren Merkmalen zufällig besser an ihre Umwelt angepasst sind und diese "vorteilhafte" Merkmalsausprägung ist deshalb häufiger als "nachteilige" Merkmalsausprägungen.

Wir gehen also nach einiger Zeit erneut ins Feld, fangen wieder ein paar Vögel und schauen, wie sich die Merkmalsverteilung im Vergleich zu unserer ersten Fangaktion verändert hat. Unsere Daten tragen wir ins Diagramm nun als rote Kurve ein. Dabei gibt es nun drei mögliche Szenarien, wie die natürliche Selektion auf die Häufigkeitsverteilung eines Merkmals wirken kann:

  • In Diagramm B wird der Durchschnitt bevorzugt, die Extremwerte sind im Nachteil. Die Kurve grenzt sich daher noch stärker um den Mittelwert herum ein. Eine solche Selektion, bei der der durchschnittliche Phänotyp den größten Überlebenserfolg hat, nennt man stabilisierende Selektion.
  • In Diagramm D wird einer der Extremwerte (in unserem Beispiel die kleine Schnabelgröße) bevorzugt, dadurch verschiebt sich die Kurve (in diesem Fall nach links) in Richtung des bevorzugten Extremwerts. Würde der andere Extremwertv (großer Schnabel) bevorzugt, würde sich die Kurve entsprechend nach rechts verschieben. Eine solche Art von Selektion nennen wir gerichtete oder transformierende Selektion.
  • In Diagramm C werden beide Extremwerte bevorzugt, während der Durchschnittswert den geringsten Überlebenserfolg hat. Die Kurve spaltet sich deshalb in zwei "Kamelhöcker" auf. Eine solche Selektion nennt man spaltende oder disruptive Selektion.

Schauen wir uns dazu mal ein paar Beispiele an.

Ein Beispiel für stabilisierende Selektion ist das Geburtsgewicht von Babies. Die meisten Babies werden mit einem durchschnittlichen Geburtsgewicht geboren, in Richtung der Extremwerte, also zu leicht oder zu schwer, nimmt die Häufigkeit immer weiter ab. Ein Baby, das zu klein ist, kühlt schneller aus. Ein Kind, das zu schwer ist, passt auf der anderen Seite aber nicht mehr durch das Becken der Mutter. Ein anderes Beispiel ist die Gelegegröße von Vögeln. Einerseits wäre es voeteilhaft möglichst viele Eier zu legen, um mehr Nachwuchs zu generieren. Auf der anderen Seite würde ein großes Gelege aber zu viel Energie kosten, das Weibchen wäre dann zu schwach, um zu brüten. Bevorzugt werden deshalb durchschnittlich große Gelege.

Ein Beispiel für gerichtete Selektion finden wir ebenfalls im Vogelreich. Mary und Peter Grant haben über Jahrzehnte hinweg auf Daphne Major jedes Jahr die Schnabellängen der Mittelgrundfinken (Geospiza fortis) vermessen. Ende der 1970er Jahre nahm die durchschnittliche Schnabellänge infolge einer Dürre auf der Insel zu. Grund dafür war, dass es plötzlich kaum noch kleine Samen zum Fressen gab. Lediglich die großen, harten Samen des Burzeldorns waren noch verfügbar und diese lassen sich mit einem großen Schnabel besser bearbeiten. In den Jahren nach der Dürre pendelte sich dann mit dem größeren Nahrungsangebot die Schnabellänge wieder auf dem früheren Niveau ein. Ein anderes Beispiel für transformierende Selektion ist die Stoßzahnlänge Afrikanischer Elefanten. Infolge der Wilderei wegen des Elfenbeinhandels nahm seit den 1970er Jahren die durchschnittliche Stoßzahnlänge immer weiter ab. Die Elfenbeinwilderer schossen natürlich bevorzugt die Elefanten mit den größten Stoßzähnen. Übrig blieben die mit kleineren Stoßzähnen. Immer häufiger werden sogar Elefanten ganz ohne Stoßzähne geboren.

Ein Beispiel für spaltende Selektion ist die Schnabellänge des Purpurastrilds (Pyrenestes ostrinus). Es gibt Individuen mit kleinen und Individuen mit großen Schnäbeln, mittelgroße Schnäbel gibt es nicht.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig
 - (Menschen, Tiere, Bio)