Wozu sind religiöse Gesetze?
"Die Religion benutzt Gesetze, um sich selbst zu legitimieren und Macht über die Menschen zu erlangen, denn Kirchen können nur überleben, wenn sie Anhänger um sich scharen."
"Gesetze verleihen euch die Macht, über andere zu urteilen und euch ihnen überlegen zu fühlen. Ihr glaubt ein rechtschaffeneres Leben zu führen als jene, die ihr verurteilt."
Was haltet ihr von diesen beiden Aussagen (aus dem Buch "Die Hütte" von W.P. Young)?
10 Antworten
Das sind alles völlig korrekte Feststellungen - Deshalb halte ich mich auch nur dann an "religiöse Gesetze", wenn sie mir vernünftig erscheinen!
Diese Aussagen haben einen wahren Kern, ich würde sie aber nicht unkritisch als allgemeingültig übernehmen.
Religionen sind komplexe Regelwerke, die in erster Linie für den gesellschaftlichen Zusammenhalt gedacht sind. Nicht umsonst wurden unter verschieden Völkern und in verschiedenen Kulturen auch unterschiedliche Religionen geprägt.
In der früheren Menschheitsgeschichte waren es vor allem Naturreligionen, die gemeinsame Rituale und damit eine gemeinschaftliche Identität stifteten. Eine größere Bedeutung erlangten Religionen erst mit der Sesshaftigkeit des Menschen und dem Entstehen größerer Kulturverbünde und Staaten. Dort wurden die bisherigen Stammesgötter durch Staatsgötter ersetzt, als deren direkte Repräsentanten sich die jeweiligen Herrscher sahen.
Diese Entwicklungen verliefen beispielsweise in Sumer, in Babylon oder in Ägypten, aber auch bei den amerikanischen Kulturen erstaunlich parallel. Diese Religionen galten aber immer nur für das eigene Volk und grenzten es von den Barbaren ab, denen man im Namen der eigenen Götter durchaus die Schädel einschlagen durfte.
Mit dem Judentum wurde aber erstmals die Identität zwischen Religion und Königtum aufgehoben und die Religion zum regelrechten Gesetz entwickelt, dem sogar die Könige selbst unterworfen waren.
Christentum und Islam wiederum nahmen in ihre Religion noch die Mission auf und stülpten ihre Vorstellungen auch teils höchst gewaltsam anderen Kulturen über, die in ihren Machtbereich gelangten. Das Recht, das sich nun aus der Religion herleitete, wurde immer weiter kodifiziert und systematisiert, so dass religiöses und weltliches Recht dadurch weitgehend identisch waren.
Insoweit sind religiöse Gesetze kein Mittel zur Machterhaltung der Religion, sondern ein Ausdruck der Vermischung staatlicher und religiöser Identität.
Wie jedoch immer im Leben verleiht das gesetzte Recht den Machthabenden die Macht, über andere zu urteilen und natürlich auch gelegentlich diese Macht zu missbrauchen.
Erst mit der Aufklärung begann eine Zeit, in der diese Verflechtungen allmählich aufgebrochen wurden und sich Staatsherrscher zwar gerne durch ihren Gott legitimierten, aber ansonsten weitgehend eigenes Recht setzten.
Besonders drastisch und umbrechend wurde das durch die Napoleonischen Gesetzbücher "code civil" und "code pénal" vollzogen, die erstmals das weltliche Recht eindeutig vom moralischen Recht der Religionen abtrennten.
Die Übergänge gestalten sich aber im Allgemeinen eher fließend und benötigen oft Jahrhunderte und sind nicht zuletzt auch von Moden und Geistesströmungen abhängig.
Kompliment für das Schreiben 👍👌👍
Etwas zum Lachen und Nachdenken:
https://youtube.com/shorts/gXVILfAOMq4?si=wYbATBsr17fpWtje
Der französische Schriftsteller Charles Baudelaire bringt die Machtfrage ins Spiel. "Gott ist das einzige Wesen, das, um zu herrschen, noch nicht einmal existieren muss."
Der französische Philosoph Jean-Paul Sartre (1905 – 1980) sieht das Ende der Götter kommen. "Auch Götter sterben, wenn niemand mehr an sie glaubt."
Schönen Abend 👍👌👍
Ja logisch. Schau die mächtigen Kirchen an. Das kommt ja nicht von ungefähr …
Das sehe ich differenzierter.
Religiöse Gesetze hatten in ihren Ursprüngen oft den Zweck das Überleben bzw. Zusammenleben in einer Gesellschaft zu regeln. Die verschiedenen Götter wurden diesen Gesetzen eben als Autorität voran gestellt.
Unser heutiges Rechtssystem basiert in vielem auf den Grundlagen der Gesetze, die früher religiös waren.
Es gibt natürlich religiöse Gesetze, die heute überholt sind und die tatsächlich nur noch dazu dienen, die Macht der Religion aufrechtzuerhalten. Und das halte ich natürlich auch für falsch.
Text 1 würde gut zum Mittelalter passen.
Zumindest in der evangelischen Kirche trifft das nicht zu. Wenn man sieht, wie viele letztes Jahr aus der katholischen Kirche ausgetreten sind, auch nicht mehr sehr stark.
Text 2 trifft leider oft zu. Da muss jeder Christ hin und wieder in den Spiegel schauen.