Wodurch kommt das "e" am Wortende mancher Substantive zustande?

6 Antworten

Das mögliche e ist ein Zugeständnis der Korrektheit an die künstlerische Freiheit und die poetische Ästhetik.

Es gibt übrigens auch den umgekehten Fall, dass ein e bei femininen Wörtern weggelassen werden kann, wenn es in Melodie und Rhythmus besser klingt: Müh(e), Lieb(e), Seel(e), Hab(e), Leich(e) usw.


lumbricussi 
Beitragsersteller
 18.08.2024, 18:04

Ohne Müh' und Plag'! Mit Hab und Gut. Mit Leib und Seel.

Mit e und ohne e:
An einem Teiche
schlich eine Schleiche.
Da trieb ein dunkles Etwas ans Ufer im Wind.
Die Schleiche sah nichts; denn sie war blind.
Das dunkle Etwas aber war
die Kindsleiche einer Blindschleiche.

Gut, Ringelnatz hätte auch schreiben können:
die Kindsleich einer Blindschleich.
Hat er aber nicht. 😊

Danke für die Erklärung. Die deutsche Sprache steckt doch voller Seltsamkeiten und Schönheit. 🌻

lumbricussi 
Beitragsersteller
 18.08.2024, 18:44
@lumbricussi

Nein, auch beim letzten Absatz des Gedichts muss das e bleiben. Ohne e hätte das Gedicht eine andere Färbung. Passt nicht.

Machtnix53  18.08.2024, 18:47
@lumbricussi

Es ist da ja auch eine Resonanz oder ein Bezug zu den ersten Zeilen, die ohne das e fehlen würden.

lumbricussi 
Beitragsersteller
 18.08.2024, 18:55
@Machtnix53

Ja, es wäre ein abrupter Bruch. Ich fühle sowas, aber weiß nicht warum.
Danke. Das ist es! Es sind Resonanzen innerhalb von Gedichten.
Man spürt es, wenn man es laut vorsagt, bzw. ich.

Kann man googeln.

Ich kopiere mal aus einem Forum-Fund:

Im Mittelhochdeutschen (ganz grob gesagt vor ca. 1500) hatten all diese Wörter noch ein -e im Dativ singular, und im geschriebenen Deutsch war das auch noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein üblich. Allerdings begann dieses Dativ-e schon mit dem Aufkommen der frühneuhochdeutschen Sprache zu verschwinden, also vor rund 500 Jahren. (Der Beginn des Frühneuhochdeutschen wird auf 1350 bis 1650 datiert, das geschah also nicht über Nacht.)In den ostmitteldeutschen Dialekten wird diese Endung auch auch heute noch standardmäßig verwendet.

https://german.stackexchange.com/questions/70646/altmodische-rechtschreibungen-mit-e-am-ende

Hier noch fachmännischer:

https://www.slm.uni-hamburg.de/iaa/personen/ehemalige-emeriti/radden-guenter/downloads/radden-2020-e-dativ.pdf

https://de.wiktionary.org/wiki/Wiktionary:Dativ-e


lumbricussi 
Beitragsersteller
 21.07.2024, 23:23

Vielen Dank. Die Links sind spitze! Danke dafür.
Aber mir ist es total egal, ob dieses e jetzt veraltet ist oder nicht. Ich find es schön, es klingt sehr gut, melodisch und fließend, also verwende ich es weiterhin.

PaterAlfonso  21.07.2024, 23:26
@lumbricussi

Ja, ist es auch. Es klingt alles viel besser und poetischer.

Vom EisE befreit sind Strom und Bäche durch des Frühlings holden, belebenden Blick. Im TalE grünet Hoffnungsglück ...

lumbricussi 
Beitragsersteller
 21.07.2024, 23:33
@PaterAlfonso

Ich hab deine Verszeile laut gelesen, und das e weggelassen. Auch bei "grünet" das e weg. Einfach holperig. Mit dem e ist einfach Melodie drin.
Italienisch klingt so schön, weil es viele Vokale am Wortende hat.
Wäre ich Lehrer, würde ich im Unterricht auf diesem e bestehen.

PaterAlfonso  21.07.2024, 23:34
@lumbricussi
Wäre ich Lehrer, würde ich im Unterricht auf diesem e bestehen.

Dürftest du gar nicht. Ich war übrigens Lehrer.

lumbricussi 
Beitragsersteller
 21.07.2024, 23:41
@PaterAlfonso

Na gut. Aber ich würde in den Kindern den Sinn für den Klangreichtum der Sprache wecken. Bei mir ist der ja auch da, von ganz alleine entstanden, indem ichviel gelesen habe.
Aber was mir noch nicht klar ist: Warum heißt es das Dativ-e?
Hier passt es: vom Eise befreit. Wovon, von wem befreit.
Aber hier nicht: Im Tale grünet Hoffnungsglück.

lumbricussi 
Beitragsersteller
 21.07.2024, 23:50
@PaterAlfonso

Wo ist Dativ? Das wusste ich nicht.
Der Dativ führt doch ein Objekt mit sich. Bzw. das Dativobjekt ist "Eis".
Das fehlt im Tale. :-)
Ich bin kein Sprachwissenschaftler, hab nur ein einigermaßen gutes Sprachgefühl. Oft weiß ich nicht, warum etwas richtig oder falsch ist, sondern ich sehe, ob es richtig oder falsch aussieht. Der Herr Lehrer möge mir verzeihen. :-)
Beim Dativ frag ich "wem?"
Ich vermute, dass ich das etwas zu eng gesehen habe.
Gibt es also auch bei den Präpositionen diese Möglichkeit des Fragens?

lumbricussi 
Beitragsersteller
 22.07.2024, 00:09
@PaterAlfonso

Oh, vielen vielen Dank. Das ist interessant. Hab wieder was gelernt.
An den Endungen ist der Dativ im Deutschen ja nicht so erkennbar.
Morgen stecke ich meine Nase mal wieder in meine Lateingrammatik.
Danke für die Erklärungen! und eine gute Nacht. :-)

Das e am Wortende kennzeichnet den Dativ und ist eine eher ältere Form. Damit wirkt es sprachlich gehoben, mehr besonders, betont oder poetisch bzw. ist in festen Wendungen erhalten geblieben:

Im Walde

Dem Deutschen Volke (Inschrift am Reichstagsgebäude)

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

lumbricussi 
Beitragsersteller
 22.07.2024, 19:59

Wusst' ich's doch, dass ich mich sehr gehoben ausdrücken kann! 😄😁😄

Aber ich meine, "im Walde" hat eine etwas umfassendere Bedeutung als "im Wald".
Im Wald, das ist eine ganz konkrete Ortsbezeichnung. Im Walde dagegen bedeutet mehr. Das ist ein Lebensraum, ein Zustand.

Außerdem klingt es musikalischer. Eben das gefällt uns doch an der italienischen Sprache so gut. Warum nicht die eigenen Melodien hegen und pflegen?

Ich ging im Walde so für mich hin
um nichts zu suchen, das war mein Sinn.

Gustav Stresemann sagte:
"Die deutsche Sprache ist das Herz der deutschen Kultur".

Und davon gebe ich kein Fizzelchen her!

DocPsychopath  18.08.2024, 19:39

Ich fasse es nicht. Ich hätte deinen Text lesen sollen, bevor ich schreibe. Und auch mir kam der Reichstag in den Sinn...

das e ist fakultativ.

kann man schreiben, aber auch weglassen.


lumbricussi 
Beitragsersteller
 21.07.2024, 23:24

Danke. Ich lasse es nicht weg, es klingt viel zu schön.

Das ist ein Schmiermittel, welches hervorragend geeignet ist, Sätze verständlicher zu machen. Vergleichbar mit dem Fugen-s. Leider geht es mit den Dativ-Endungen wie einem "-en" bergab, weil sich niemand mehr Mühe gibt und der Nachwuchs dazu auch keine Lust hat. Deshalb spricht man nur noch mit dem Patient und nicht mehr mit dem Patienten und weil die Vereinfachung zu sexistisch ist, werden wohl demnächst zumindest im Plural "Kränkelnde" draus.

Woher ich das weiß:Recherche

lumbricussi 
Beitragsersteller
 28.07.2024, 11:56

Danke für den Hinweis auf das "-en"! Das ist mir noch gar nicht so bewusst geworden, aber es stimmt. Bin nur daran gewöhnt, dass so vieles falsch geschrieben wird.
Seit der unseligen Rechtschreibreform bin ich auch nicht mehr so sattelfest in der deutschen Sprache wie früher. Als Kind und Jugendliche hatte ich immer eine Eins in Rechtschreibung, obwohl ich die Regeln überhaupt nicht verstand. Ich schrieb automatisch richtig, weil ich sehr viel las. Kein Buch war mir zu dick. Ich las mich durch die ganze Leihbücherei der Pfarrei durch.
Zur Leseratte wurde ich notgedrungen, weil wir auf unserer kleinen Hühnerfarm weitab vom Dorf lebten und ich deshalb keine Spielgefährten hatte. Wir lebten ohne elektrischen Strom, ohne Fernseher und ohne Radio.
Ich erinnere mich noch gerne an die Winterabende. Mein Vater saß ich Lehnstuhl neben dem Herd und las, Mama und ich saßen vor dem Herd, die Füße auf der geöffneten Türe des Backofens zum Wärmen, und lasen.
Als ich in der Pfarrbücherei am Regal mit den Karl-May-Bücher angelangt war, las mein Vater auch wieder mit. "Bist du schon an der Stelle, wo der Old Surehand ....."
Und ich hielt mir die Ohren zu und jammerte:" Nicht verraten, nicht verraten!"
Ich finde, an der deutschen Sprache darf man sich nicht vergreifen. Das ist ein Sakrileg.

WilliamDeWorde  19.08.2024, 13:26
@lumbricussi
Seit der unseligen Rechtschreibreform

Nun, die Verteufelung ist auch ein Sakrileg. Nur ob Gummiregeln nach dem Motto "kann man so oder auch nicht" hilfreich sind ... Das betrifft vor allem Kommaregeln. Und dann lässt man sich auch noch weichklopfen wie bei Deppenapostroph in Namensschildern! Viele Änderungen waren aber auch sinnvoll. Meine größten Schwierigkeiten habe ich nun bei Getrennt-und-Zusammenschreibung und bei Groß-und-Kleinschreibung.

Heißt es "zu Hause" oder "zuhause"? "Im Allgemeinen" oder "im allgemeinen"???