Wann begann die Vorstellung davon das Mythos = Unwahrheit bedeutet?

6 Antworten

ca. 500 v. Chr. - Griechenland - zumindest finden sich hier erste Betrachtungen:

Mythos vs Logos

schonin der griechischen aufklärung

Ich gebe dir insofern recht, als dass im umgangssprachlichen Bereich bei einem Sachverhalt, der als sehr unwahrscheinlich erscheint, man bisweilen sagt: "Das ist doch alles nur ein Mythos!", doch wird hier der Begriff "Mythos" eindeutig unkorrekt verwendet.

Bei richtiger Anwendung sollte man sich jedoch vor Augen führen, dass Mythen wichtige Erzählungen einer meist großen Gemeinschaft von Menschen sind, die sich von historischen Begebenheiten ableiten, allerdings durch das vielfältige Weitererzählen von einer Generation zur nächsten ständig phantastischer, großartiger und damit unrealistischer geworden sind. 

Ein sehr gutes Beispiel liefert uns das Alte Testament mit seiner Erzählung von der Flucht der Israeliten aus Ägypten. Da im alten Testament häufig bestimmte Begebenheiten in mehreren Versionen aus unterschiedlichen Zeiten gesammelt und aufgeschrieben wurden, kann man hier die Entwicklung solcher Erzählungen gut nachvollziehen. 

In der Ursprungsgeschichte flohen ca. 200 Menschen (Israeliten) aus der Gefangenschaft der Ägypter in einer Nacht- und Nebelaktion in relativ nahegelegene Sumpfgebiete, wo sie von den hinter ihnen her suchenden ägyptischen Soldaten nicht gefunden wurden. Dieses Nichtgefundenwerden durch den Feind betrachteten die Israeliten als ein Werk ihres Gottes Jahwe, dem sie dadurch zu großer Dankbarkeit und Glaubenstreue verpflichtet waren. 

Diese Erzählung wurde dann weiter gegeben, wobei nun ein phantastisches Element dazukam, dass die Großartigkeit Jahwes stärker hervorheben sollte. Jetzt stand zwischen den nachsetzenden ägyptischen Soldaten und dem Volk Israel eine Feuersäule, die deren Ansinnen, die Geflohenen zurückzuholen, vereitelte. Damit war Jahwe viel größer und mächtiger als Beschützer seines Volkes geworden.

Wieder Generationen später wurde die Geschichte noch weiter phantastisch ausgebaut zu der Erzählung, dass die fliehenden Israeliten an das Schilfmeer gelangten, das sich ihnen gegenüber aufweitete, so dass sie trockenen Fußes hindurchgehen konnten. Die nachsetzenden Soldaten des Pharao ritten in eben diese Gasse des Meeres, das aber - als sie gerade alle darin waren - jäh über ihnen zusammenschlug und alle Soldaten ertränkte. Damit ist das Wirken Jahwes nochmals grandioser und wirkmächtiger geworden. 

Bilanz: Die ursprüngliche historische Geschichte ist zu einem Mythos geworden. Man kann also sagen, dass den Mythen fast immer historisch stimmige Ereignisse zugrunde liegen, die aber phantastisch überhöht wurden und zu Erzählungen ausgestaltet wurden, die wichtige Funktionen in der Kultur- und Religionsgeschichte von Gruppen, Gemeinschaften und Völkern übernommen haben.


Mayahuel  27.10.2024, 10:19
In der Ursprungsgeschichte flohen ca. 200 Menschen (Israeliten)

Und das weißt du woher?

Die Umdeutung begann vor allem in der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert.

Zu dieser Zeit fingen die Menschen an, Wissenschaft und rationale Erklärungen über die traditionellen, mythologischen Geschichten zu stellen. Philosophen wie Kant und Voltaire kritisierten Mythen als irrational und machten den Weg frei für die Idee, dass etwas, das mythologisch ist, auch weniger wertvoll oder sogar falsch sein könnte.

Viele Mythen haben auch heute noch starke kulturelle und soziale Funktionen. Sie sind oft mehr als nur Geschichten, sie sind Teil unserer Identität. Das macht es ein bisschen traurig, dass sie in der modernen Welt oft als "Unwahrheit" abgetan werden, oder, was denkst du darüber? Ich finde schon!

LG aus Tel Aviv

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Globalgeschichte

Mayahuel  27.10.2024, 08:44
Die Umdeutung begann vor allem in der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert.

🤔

Platonischer Mythos ist die Bezeichnung für die mythischen Erzählungen, die Platon in seine literarisch gestalteten philosophischen Werke eingefügt hat.
Sie werden „platonisch“ genannt, weil Platon sie teils selbst erfunden, teils durch Umgestaltung von bereits vorhandenem mythischem Material für seine Zwecke adaptiert hat.
Platons Verhältnis zum Mythos ist ambivalent: Einerseits übt er scharfe inhaltliche Kritik an den überlieferten, allgemein verbreiteten Mythen, andererseits hält er das Erzählen von selbst erfundenen Mythen für einen legitimen Weg der Vermittlung von Einsichten im Rahmen einer philosophischen Didaktik.

https://de.wikipedia.org/wiki/Platonischer_Mythos

Platon verwendete Mythología für "Fiktion" und "Geschichtenerzählung".

Das Wort Mythologie wurde im 15. Jahrhundert ins Englische übernommen und bedeutete zunächst "die Darstellung/Beschreibung eines oder mehrerer Mythen", "die Interpretation von Fabeln". Das Wort wird erstmals in John Lydgates Troy Book (~1425) erwähnt.

Von Lydgate bis ins 17. oder 18. Jahrhundert war "Mythologie" eine Moralgeschichte, Fabel, Allegorie oder Parabel oder eine Sammlung traditioneller Geschichten, die als falsch verstanden wurden.

"Mythologie" kam vor "Mythos" in die englische Sprache. ZB Johnsons Dictionary hat einen Eintrag für Mythologie, aber nicht für Mythos.